Automatisierter Minibus "Tabula" in Lauenburg unterwegs

In Lauenburg ist nun ein autonomer Shuttle unterwegs. Er darf erstmals Fahrgäste mit an Bord nehmen und nicht wie bisher nur Ingenieure und andere Experten.

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Automatisierter Minibus "Tabula" in Lauenburg unterwegs

(Bild: vhhbus.de)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Almut Kipp
  • dpa

Shuttle-Begleiter Alparslan Barcin ist genervt: "Ich begreife nicht, warum uns die Autos überholen wollen", flucht er. Barcin hebt den Arm und signalisiert durch das rückwärtige Fenster des automatisiert fahrenden "Tabula"-Minibusses dem nachfolgenden Autofahrer zu stoppen. Schließlich blinkt das blau-weiße Elektro-Shuttle links, und die durchgezogene Fahrbahnmarkierung signalisiert das Überholverbot auf dem Askanierring in Lauenburg. Barcin blickt sich nach allen Seiten um, dann gibt er auf einem Display den Befehl zur Weiterfahrt. Angekommen an der Haltestelle des zentralen Omnibus-Bahnhofs (ZOB) ertönt ein Straßenbahn-Klingeln: "Tabula" ist da.

Barcin ist einer von neun Busfahrern der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH), die von Freitag an Premiere haben. Dann dürfen sie erstmals Fahrgäste mit an Bord nehmen und nicht wie bisher nur Ingenieure, Software-Entwickler, Ausbilder, Verkehrsexperten und Wissenschaftler. Sie haben seit mehr als einem Jahr den Minibus aufgerüstet, damit er drei Strecken bewältigen kann. Zunächst geht es auf die beiden kürzeren Routen von 800 beziehungsweise einem Kilometer Länge. Die 2,5 Kilometer lange Klettertour, die den alten Stadtkern mit seinen Fachwerkhäusern an der Elbe mit der Oberstadt verbinden soll, schafft das Fahrzeug mit Allradantrieb noch nicht.

Seit mehr als einem Jahr haben Ingenieure, Software-Entwickler,
Verkehrsexperten und Wissenschaftler den Minibus darauf vorbereitet,
mit maximal 18 km/h zwei Strecken zu befahren. Die erste ist 800
Meter lang, die zweite 200 Meter länger, beide bedienen drei
Haltestellen.

(Bild: VHH)

Doch das liegt weder am holprigen Kopfsteinpflaster noch an bis zu 17 Prozent starken Steigungen, wie der Projektkoordinator Matthias Grote von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) erläutert. Vielmehr erhalte der Minibus des französischen Herstellers Navaya in einem Waldabschnitt dieser Strecke nicht flächendeckend die von Satelliten benötigten Signale für seine Fahrt. Daher müsste das Fahrzeug auf seine Lidar-Sensoren (Laserstrahl-Technik) zurückgreifen und sich anhand von Gegenständen entlang der Strecke orientieren. Dies müsse noch weiter getestet werden, sagt Grote. Vielleicht ist es Ende des Jahres so weit.

Auf den ersten beiden Strecken in der Oberstadt kennt die rollende Kabine ihren Weg schon genau: Zentimetergenau ist die Route einprogrammiert worden. An späteren Reifenspuren werde zu sehen sein, dass immer die gleichen Spuren abgefahren werden, erläutert Grote. "Der freie Spurwechsel oder das Ausweichen – diese Fahrprobleme sind noch nicht gelöst". Als ein Auto zu nah an der virtuellen Strecke geparkt ist, bremst der Minibus abrupt ab. Weil er aber vorbeikommen wird, gibt Barcin die Fahrt wieder frei. Über eine Art Spielkonsole mit Joysticks hat er den Minibus – wenn nötig – im Griff.

Zum Beispiel, als der Minibus nicht an einem Kleintransporter vorbeikommt. Jetzt steuert Barcin das Gefährt zunächst manuell und führt es fließend in den automatisierten Betrieb über. "Sauber übergeben", lobt ihn VHH-Gruppenleiter Andreas Scheske. "Das muss man wirklich trainieren", sagt Barcin. Ihm macht die neue Aufgabe nach sieben Jahren mit herkömmlichen VHH-Bussen sichtlich Spaß. "Das ist was anderes, aber auch anstrengend." Schließlich muss er vorerst die Rundum-Sicht behalten.

Die Grundidee des Projektes "Tabula" sei, ländliche Räume dort zu versorgen, wo Linienverkehr wirtschaftlich schwer leistbar ist, sagt Andy Yomi, Verkehrsplaner des Herzogtum Lauenburg. Tabula steht für "Testzentrum für autonome Busse im Kreis Herzogtum Lauenburg".

Es ist im Norden nicht das einzige Fahrzeug seiner Art: Auf Sylt hat ein automatisierter Elektro-Shuttle schon mehr als 3000 Kilometer zurückgelegt und mehr als 9000 Menschen in Keitum transportiert (Projekt NAF-Bus). In Hamburg wird ein Elektro-Kleinbus auf einer 1,8 Kilometer langen Strecke auf Autonomie trainiert, der bis zum Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme in zwei Jahren möglichst mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h unterwegs sein soll (Heat-Projekt).

Gemächlicher, mit einer maximalen Geschwindigkeit von 18 km/h, kommt der Minibus in Lauenburg voran. In seiner Probezeit nimmt "Tabula" die Fahrgäste kostenlos mit. Sie können auf zehn Sitzschalen Platz nehmen, ein Rollstuhl oder Kinderwagen passt hinein, ebenso Gepäck. Eine Rampe erleichtert hierfür das Einsteigen. Mitfahrten sind dienstags bis freitags vor- und nachmittags möglich, samstags von 8 bis 14 Uhr.

Das Projekt wird vom Kreis und der TUHH gemeinsam mit Partnern umgesetzt, darunter die Stadt Lauenburg/Elbe, die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH (VHH) und die Siemens Mobility GmbH. Die Beteiligten sind gespannt darauf, ob sich ihre schon vor der Fahrzeuganschaffung gestartete Umfrage bewahrheitet. Fast zwei Drittel von 436 Antworten aus einer Haushaltsbefragung ließen wissen, dass das Shuttle ausprobiert werden soll. "Einfach mal mitfahren. Der Weg ist das Ziel", ermuntert Verkehrsplaner Yomi die Lauenburger und ihre Gäste.

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(anw)