Ausweispflicht in Foren und Venenscanner im Freibad - Big Brother in Österreich

Seit 20 Jahren werden Österreichs Big Brother Awards vergeben, Negativpreise für arge Datenschutzverletzer. Diesmal dabei: Microsoft, REWE und die Post.

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Zettel mit Aufschrift "Jö Bonusclub, Kuvert mit Aufschrift "Vorsicht schändlicher Inhalt"

Die Preisträger wurden in solchen gelben Kuverts bis zur letzten Sekunde geheimgehalten.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Inhaltsverzeichnis

Das Seebad Weiden verfügt über "einen gepflegten Badestrand mit großer Liegewiese, schattenspendenen Bäumen" – und Handvenenscanner. Er soll jene üblen Zeitgenossen abschrecken, die sich den Zugang ohne Kartenkauf erschleichen wollen, aber gleichzeitig zu faul sind, über den Zaun zu hüpfen oder durchs seichte Wasser des Neusiedlersees zur Liegewiese zu waten. "Hochsicherheits-Technologie in einem Freibad aufzubauen entspricht dem sprichwörtlichen mit Kanonen auf Spatzen zu schießen", meint die Jury der österreichischen Big Brother Awards 2019.

Also hat sie das kommunale Seebad Weiden am See mit dem Negativpreis in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" bedacht. Die Big Brother Awards Austria werden seit 20 Jahren an "jene Behörden, Personen und Organisationen (vergeben), die zu unserer Zukunft als gläserne Menschen beitragen." Die jährliche Gala steigt stets am Vorabend des österreichischen Nationalfeiertags, also am 25. Oktober. Schauplatz war wieder einmal das Rabenhoftheater in Wien.

Die Marktgemeinde Weiden gibt an, die biometrischen Daten "bis auf Widerruf" zu speichern. Die Anschaffungskosten der Handvenenscanner haben sich übrigens auf mehr als 50.000 Euro belaufen. Eine Jahreskarte für das Bad kostet 50 Euro, eine Halbtageskarte drei Euro.

Bevor sie am Ibiza-Skandal zerbrochen ist, wollte Österreichs rechtskonservative Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz eine Ausweispflicht für alle Österreicher einführen, die auf Nachrichtenseiten kommentieren oder sich in sozialen Netzen äußern. Sie sollten bei der verpflichtenden Registrierung Name und Adresse nachweisen, was Spin-Doktoren dem Volk als "Digitales Vermummungsverbot" schmackhaft machen wollten.

Big Brother Awards Austria 2019 (7 Bilder)

Big Brother Award aus Beton

So sieht ein österreichischer Big Brother Award aus. Nur selten kommen Preisträger, ihn sich abzuholen.
(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Bei der Identifizierung sollten die Datenbanken der Telecom-Netzbetreiber helfen. Durch die kürzlich eingeführte SIM-Karten-Registrierungspflicht gibt es nämlich keine anonymen Telefonanschlüsse mehr. Die an sich selbst gescheiterte Regierung Kurz kommt noch zu späten "Ehren" – in Form des österreichischen Big Brother Award 2019 in der Rubrik "Politik".

Die Post, schon wieder

Seit Jahren handelt die österreichische Post AG mit Daten. Beispielsweise bietet sie Werbetreibenden Informationen über drei Millionen Österreicher feil. Für 2,2 Millionen davon hat sie sogar die angebliche "Affinität" zu politischen Parteien errechnet und verkauft. Nachdem Datenschützer von epicenter.works diese Geschäfte Anfang des Jahres aufgedeckt hatten, stellte die Post die Berechnung angeblicher Partei-Affinität ein. Eine Strafe der Datenschutzbehörde will die Post aber nicht hinnehmen. Sie prozessiert dagegen.

Bereits 2001 war die die Post für den Verkauf von Datensätzen an den Datenhändler Schober mit einem Big Brother Award bedacht worden. Im Jahr darauf ging sogar der dieses Jahr nicht vergebene Preis für das "lebenslange Ärgernis" an die Post. Etwa weil das Unternehmen durch Kleingedrucktes die Zustimmung seiner Kunden zum Adresshandel zu erwirken sucht, oder durch Berufung auf EU-Vorgaben zur Bekämpfung von "Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung" Geburtsort und -Datum von Nachnahmeempfängern erheben möchte.

Der Handelskonzern REWE betreibt in Österreich ein Kundenbindungsprogramm namens Jö Bonusclub, das über die Konzerngrenzen hinausgeht. Insgesamt ein Dutzend Unternehmen, von Supermärkten über Tankstellen zu Möbelhäusern ist dabei und freut sich über die vielen Kundendaten.

Diese Datenkonzentration ist nicht nur Verbraucherschützern sondern auch der Big-Brother-Jury ungeheuer: "Irgendwer muss die Werbung und Verwaltung der Karte ja bezahlen, da diese sicherlich nicht auf Kosten des Gewinns von REWE ausgegeben wird. So bleiben wohl nur die Kunden und Lieferanten übrig, die die Mehrkosten tragen müssen." Grund genug, dem Jö Bonusclub den Big Brother Award für "Kommunikation und Marketing" zuzusprechen.

Bleibt noch die Sparte "Weltweiter Datenhunger". Hier hatte die Jury drei US-Konzerne in die engere Wahl genommen: Facebook, das private Messenger-Unterhaltungen für Werbezwecke auswertet; Microsoft, das Skype-Telefonate aufzeichnet und von Mitarbeitern abtippen lässt, ohne dass die Kunden ausdrücklich darauf hingewiesen werden; und Amazons Alexa, wo ebenfalls Aufnahmen abgehört wurden.

Mehr Infos

Anbieter von Sprachassistenten haben Kunden-Aufzeichnungen transkribiert und ausgewertet. Lassen sich die Assistenten überhaupt datenschutzkonform betreiben?

"Kameras und Mikrophone werden in Privathaushalte gepusht, durch Werbung und Kampfpreise – ohne dass auf die Risiken hingewiesen wird", sagte Adi Hirschal, "Das ist eine Frechheit." Hirschal ist ein bekannter österreichischer Schauspieler, Kabarettist und Musiker, der sicherlich der witzigste Laudator der Gala war. Gewonnen hat diesen Big Brother Award Microsoft, zumal das Mitschneiden eines Telefonats ohne Beteiligung aller Betroffenen in Österreich doppelt rechtswidrig ist – sowohl nach Strafrecht als auch nach Telekommuikationsrecht.

Seit 1999 vergibt der Verein quintessenz die Big Brother Awards Austria. Nach Deutschland und in die Schweiz kamen die Negativpreise im Jahr darauf. Quintessenz-Präsident Georg Markus Kainz zog Freitagabend eine zwiespältige Bilanz. Einerseits seien die Angriffe auf den Datenschutz weitaus heftiger geworden: "1999 haben wir uns über die Rufnummernanzeige geärgert, wenn jemand angerufen hat. Heute heben viele Leute gar nicht mehr ab, wenn sie nicht sehen, wer anruft."

Dennoch hätten die Preise etwas bewegt: "Wir haben schon auch etwas erreicht. Es gibt einige Firmen nicht mehr, es gibt einige Produkte nicht mehr, beispielsweise die Personensuchmaschine 123people." Ab sofort kann jedermann Kandidaten für die Big Brother Awards 2020 nominieren. (ds)