Polizeigesetz NRW: Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner und "Lex Hambi"

Bürgerrechtler von Digitalcourage ziehen gegen das neue NRW-Polizeigesetz und die massiv erweiterten Überwachungsbefugnisse vor das Bundesverfassungsgericht.

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Polizeigesetz NRW: Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner und "Lex Hambi"

Padeluun, Kerstin Demuth und der Verfahrensbevollmächtigte Prof. Jan-Dirk Roggenkamp am Mitwoch in Karlsruhe.

(Bild: Digitalcourage/Mischa Burmester/CC-BY-SA)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Vertreter der Bürgerrechtsvereinigung Digitalcourage planen eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Novelle des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes, die Ermittlern weitreichenden Zugriff auf Daten aus einer Telekommunikationsüberwachung erlaubt. Rena Tangens, Kerstin Demuth und Padeluun wollen ihre Beschwerde am Mittwoch beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen.

Die Beschwerde richtet sich gegen neue Bestimmungen im § 20c des Polizeigesetzes NRW. Demnach muss ein Telekommunikationsanbieter bei einer richterlich genehmigten Telekommunikationsüberwachung der Polizei den Rohdatenstrom als "Überwachungskopie" zur Verfügung stellen. Das betrifft alle Daten, die über den Anschluss übertragen werden – Telefonie und Internet.

Digitalcourage kritisiert, dass mit diesen Daten umfassende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der überwachten Person möglich sind: "Telekommunikationsüberwachung ist heutzutage eigentlich nichts anderes als eine Online-Durchsuchung – mit anderen Mitteln und unter viel geringeren gesetzlichen Voraussetzungen." Bei Erfolg könnte die Verfassungsbeschwerde alle vergleichbaren Überwachungsregeln kippen.

Um Verschlüsselung zu umgehen, darf die Polizei in NRW zweitens im Rahmen der Quellen-Telekommunikationsüberwachung spezielle Softwareprogramme auf den Geräten der Nutzer installieren, um deren laufende Kommunikation zu überwachen. Der Einsatz dieser sogenannten Staatstrojaner ist auch in allen anderen Bundesländern erlaubt, die in jüngster Zeit ihre Polizeigesetze novelliert haben.

Digitalcourage kritisiert, dass eine Funktionsbeschränkung des Staatstrojaners auf die Überwachung der laufenden Kommunikation technisch nicht möglich sei. Zudem würden zwangsläufig Sicherheitslücken ausgenutzt, um die Überwachungssoftware überhaupt auf dem Zielgerät installieren zu können. Dafür müssten alle Geräte mit gleicher Hardware und Software "sperrangelweit offen" bleiben. Diesen Umstand könnten Kriminelle für ihre Zwecke ausnutzen.

Ein dritter Kritikpunkt ist, dass die Voraussetzungen für die Überwachung gesetzlich zu weit gefasst seien: Es genügt nämlich eine "drohende Gefahr" sowie eine Handlung, die dem Katalog der "terroristischen Straftaten" in § 8 Abs. 4 PolG NRW zugeordnet werden kann. "Alle diese Regelungen würden wie Dominosteine fallen, wenn sich das Gericht unserer Rechtsauffassung anschließt", schätzt der Verein.

Obwohl die Kriminalitätsrate seit 25 Jahren gesunken ist, haben fast alle Bundesländer ihre Polizeigesetze verschärft. Allein die in Thüringen bisher regierende rot-rot-grüne Koalition hatte kein neues Gesetz vorgelegt. In Bayern wurde das schärfste Polizeigesetz seit 1945 verabschiedet, gegen das mehrere Klagen anhängig sind - unter anderem auch eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. In Bayern habe das neue Polizeigesetz viel Aufmerksamkeit erfahren, sagt Beschwerdeführerin Kerstin Demuth von Digitalcourage, "doch in Nordrhein-Westfalen sind wir bisher die einzigen, die klagen".

In Nordrhein-Westfalen wendet sich auch das Bündnis "Polizeigesetz NRW stoppen" gegen die neuen Regelungen im Polizeigesetz, die im Dezember 2018 vom Landtag verabschiedet wurden. Es kritisiert unter anderem, dass Umweltaktivisten im Hambacher Wald zur Identitätsfeststellung für längere Zeit in Gewahrsam genommen wurden. "Die ersten Anwendungsfälle beweisen, was wir monatelang angemahnt hatten: Tatsächlich richtet sich die Verschärfung gegen soziale Bewegungen und eine kritische Zivilgesellschaft", kritisiert Sabine Lassauer, Sprecherin des Bündnisses.

Im Gesetzgebungsprozess hatte das nordrhein-westfälische Innenministerium diesen Beweggrund noch verneint und die Verschärfung mit einer verbesserten Terrorabwehr begründet. Bereits im Februar hatte es aber in einer Stellungnahme gegenüber der WAZ bestätigt: "Es sind genau diese Fälle, für die wir die neue Befugnis für die Polizei eingeführt haben." (vbr)