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Was war. Was wird. Eine kleine Geburtstagsgeschichte vom rechtsfreien Raum.

Man soll die Geburtstage feiern, wie sie fallen. Besonders alt muss man sich aber im rechtsfreien Raum nicht fühlen, meint Hal Faber. Alles ist Neuland.

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Was war. Was wird. Eine kleine Geburtstagsgeschichte vom rechtsfreien Raum.

Es geht doch nichts über einen schönen Raum, dessen Rechtsfreiheit man wortreich und wiederholt beklagen kann. Oder nicht? Dieses verfluchte Neuland eben, das die einen beklagen, andere aber unverstanden einfach benutzen.

(Bild: IM_VISUALS / Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** In dieser Woche hat das Internet seinen 50. Geburtstag gefeiert. Viele feierten mit, nicht nur der Newsticker mit Artikeln über die Frühzeit des Netzes, den Weg in die Kommerzialisierung und das Laben der ersten Netzgeneration, der Generation X. Besonders alt ist das nicht. Man denke nur an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, gemeinhin FAZ genannt, die dieser Tage ihren 70. Geburtstag feierte, stilecht mit Alexander Gauland im Berliner Nobelrestaurant Borchardt. Oder wie wäre es mit der ältesten noch heute existierenden Schnüffelbehörde der Welt, die sich vor 100 Jahren als Government Code and Cypher School ans Schnüffeln machte und später als GCHQ Pionierarbeit beim Abhören der Satellitenkommunikation leistete?

*** Immerhin gab es dieses Internet schon vor dem Fall der Mauer. Damit könnte man an Demos.su erinnern, den ersten kommerziellen Service-Provider, der sich den Spaß machte, die Adresse kremvax.demos.su zu sichern und einen alten Witz mit neuem Leben füllte. 30 Jahre später haben die Internet-Provider dort nichts mehr zum Lachen und die Opposition wird im Netz kaltgestellt.

*** Da könnte man auch an den Remailer anon.penet.fi von Julf Helsingius erinnern, der Post aus Russland transportieren sollte, wegen seiner Anonymisierungsfunktion aber abgeschaltet werden musste. Weil ja nicht sein darf, was sein kann, nämlich ein Internet, das lange vor Tor ein rechtsfreier Raum war. Damit bin ich beim Thema dieser Woche angelangt, das beim Feiern des Netzes der Netze gerne vergessen wird. Wann entstand eigentlich dieser rechtsfreie Raum da im Internet? Wer lebt(e) in ihm mit Saus und Braus? Wer fürchtet sich vor ihm wie vor Sauron, dem Herrn der Ringe? Was ist das eigentlich für ein merkwürdiger Raum, in dem ein Chemiekonzern wie Monsanto einfach einen fliegenden Gerichtsstand einrichten konnte, der jedweden Kritiker beim Anflug zerquetscht? Redet eigentlich heute noch jemand über diesen Raum? Zu denken gibt das aktuelle Statement eines Wählers, der von der Piratenpartei zur AfD gewechselt ist, um den rechtsfreien Raum im Internet für die Netzgemeinde zu verteidigen.

*** Die Rede vom Internet als rechtsfreier Raum kennt jeder, der sich mit den politischen Aspekten des Netzes beschäftigt, das nunmehr seit 50 Jahren aufgespannt und ausgerollt wird. Am schönsten im Sinne von schöner Metapher hat dies "Kohls Küken" ausgedrückt. Denn was ist schon ein Raum? Am 26.09.1996 erklärte die damalige Familienministerin Claudia Nolte: "Das Internet darf keine Insel mit Sonderrechten sein." Allein auf einer Insel der Seligen, wie Robinson Crusoe unter warmer Sonne sein eigenes Recht setzend, das ist doch ein schönes Bild. Weniger schön der Hintergrund: Nolte versuchte damals, eine Reihe von Servern mit kinderpornografischem Material in Südamerika schließen zu lassen und stritt sich mit der "Internet Content Task Force", heute eco Verband der Internetwirtschaft genannt. Die Vorgängerin von Zensursula kam mit ihrer Idee der Netzsperren nicht durch.

*** Wer sich auf die Suche nach den Wurzeln all dieser Metaphern von freien Inseln und rechtslosen Räumen macht, muss bis in das Jahr 1987 zurück, als Ed Krol als NFSnet-Administrator den Hitchhikers Guide to the Internet (hier die Fassung als RFC1118 von 1989) verfasste. Dem kleinen Führer war als Anhang die Acceptable Use Policy des NSFnet beigegeben, die zu klären versuchte, was im Dienste der Forschung und der Weiterbildung erlaubt ist und was nicht. Aus dem Handbuch des Anhalters durch das Internet entstand im Jahre 1992 ein sehr einflussreiches Buch von Krol, The Whole Internet User's Guide. Krols Verleger Tim O'Reilly war von den Chancen, die das darin geschilderte Internet bot, so begeistert, dass er jedem Kongressabgeordneten eine Kopie des Buches schenkte.

*** Krol versuchte am Anfang, den lesenden Novizen das seltsame Netz zu erklären, das auf dem ersten Blick anarchisch erscheint: "In actualtity, the network is a very ethical place, the ehtics are just a bit different than normal. To understand this, consider the term 'frontier justice'. When the West was young, there was a set of laws for the United States, but they were applied differently west of the Mississippi river. Well the network is on the frontier of technology, so frontier justice applies here too." Damit war Krol allerdings kein Cypherpunk, sondern durchaus ein Realist, als er schrieb: "Just be aware that this is a murky part of law which will be hammered out in the next decade."

*** Während sich Ed Krol mit dem Internet beschäftigte, beschäftigte sich eine junge Organisation namens Electronic Frontier Foundation (EFF) mit der Meinungsfreiheit. Sie war 1990 anlässlich der Durchsuchung von Steve Jackson Games durch das FBI gegründet worden. Unter dem Eindruck des Vorfalls schrieb John Perry Barlow sein einflussreiches Crime and Puzzlement: Wenn Computersysteme beschlagnahmt werden können, auf denen Mailboxen laufen, die dem Meinungsaustausch dienen, dann sei die freie Rede gefährdet, erklärte Barlow in dem Gründungsdokument der EFF. Im Diskussionsraum, den Mailboxen zur Verfügung stellen, müssten Meinungsfreiheit und das Recht der freien Rede Vorrang haben. Das FBI verlor das Verfahren. Ein Jahr später veröffentlichte Barlow seinen Wachruf Jackbots on the Infobahn: Er war in der Maschine des Vizepräsidenten Al Gore mitgeflogen und diskutierte dort Bestrebungen, alle Computer für den Anschluss an den "Information Highway" mit einem Clipper-Chip auszustatten. Das war der Beginn der großen Krypto-Debatte (ein anderes Thema), aber auch hier argumentierte Barlow mit der Redefreiheit.

*** Wir schauen auf Deutschland, wo sich auch eine Mailboxszene entwickelte und finden im Jahr 1992 den Hinweis auf eine Veranstaltungsreihe namens Public Domain in einem unbekannten Ort namens Bielefeld. Dort stellte man sich in einem Keller am Ulmenwall die Frage: "Globales Dorf – Rechtsfreier Raum?" Hinter der Frage stand das Problem, ob Mailbox-Betreiber nicht mit einem Bein im Knast stehen und für das haften müssen, was die Besucher in einem Tölleturm, im Fidonet oder im CL-Netz oder im Z-Netz alles anstellen. Das war eine Frage, die auch die Hacker bewegte, wie die Datenschleuder 39 zeigt. Sie berichtete direkt aus Bielefeld. Dort trat der Rechtsanwalt Günter (Freiherr von) Gravenreuth auf und erklärte die juristische Drei-Unterschiedheit von Mailboxen. Zusammengefasst: Mailboxen, die nur persönliche Nachrichten weiterleiten, unterliegen dem Postgeheimnis. Mailboxen, die öffentliche Bretter haben, entsprechen dem Medienrecht. Mailboxen, die Software verteilen, sind für Gravenreuth des Teufels Ausgeburt, egal wie die Lizenzbestimmungen dieser Software aussehen. Ein paar Datenschleudern später wurde im Jahre 1994 ein Leserbrief von Gravenreuth abgedruckt, in dem es heißt: "So hatte ich beispielsweise bei der Netzwerk-Tagung in Kiel und der vorangegangenen Diskussion im FIDONET den Eindruck gewonnen, dass bei so manchem SYSOP und USER sich erstmalig die Erkenntnis durchsetzte, dass Netze wohl ein globales Dorf, jedoch nicht zwingend ein rechtsfreier Raum sind." Dem CCC warf Gravenreuth vor, sich im Bildzeitungsstil über diese Erkenntnis hinwegzusetzen.

*** Den Vogel schoss in dieser Hinsicht ein ganz anderes Blatt ab. Unter dem Titel Gesetzlos im Cyberspace berichtete der Spiegel im August 1994 vom Treiben der US-amerikanischen Anwälte Laurence Canter und Martha Spiegel, die kurzerhand die "Acceptable Use Policy" der Backbones für juristisch ungültig erklärten und das Netz mit Werbung für ihre Kanzlei spammten. In völliger Umdrehung des Sachverhaltes wurden im Artikel diejenigen Administratoren und Nutzer, die sich gegen die Anwälte wehrten, zu Anarchisten und die das Recht ignorierenden Anwälte zu redlichen Bürgern erklärt, die nur ein bisschen Profit im Internet machen wollen. So werden die ehrbaren Anwälte gelobt: "Ihr Vorteil: Das Internet bildet inzwischen den größten rechtsfreien Raum der Welt. Verträge zur Benutzung, wie etwa beim deutschen Bildschirmtext der Telekom, gibt es nicht."

*** Den Höhepunkt der Debatte über den rechtsfreien Raum markierte das Jahr 1996. Es war das Jahr, als Ministerin Nolte das Internet als "Insel mit Sonderrechten" denunzierte, es war aber auch das Jahr, in dem die Bundesanwaltschaft alle deutschen Internet-Provider verpflichten wollte, den Kunden-Zugang zu "World-Wide-Web-Computern zu sperren, die die Untergrund-Zeitung 'radikal' vorrätig halten", wie es damals formuliert wurde. Beanstandet wurden zwei Nummern der Zeitschrift, die nach ihrem Verbot auf Papier elektronisch auf einem niederländischen Server des Providers XS4all gehostet wurde. Pikant wurde der Fall dadurch, dass ein Provider handelte: Compuserve schloss kurzerhand die Homepage http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/. Damit wurde die stellvertretend PDS-Vorsitzende Angela Marquardt aus dem Internet geworfen, denn sie hatte einen Link auf die Zeitschrift gesetzt. Während deutsche Internet-Provider die Aufforderung der Bundesanwaltschaft ignorierten, handelte die deutsche Niederlassung eines US-Konzerns – und betonte dabei auch noch, dass das Internet schließlich kein rechtsfreier Raum sei. Der gesamte Vorfall ist ausführlich dokumentiert.

*** Die Debatte um die Erfolgsaussichten von Sperrungen im Internet führte dazu, dass sich ausgewiesen Juristen mit dem Problem beschäftigten. So veröffentlichte Rigo Wenning 1997 den umfänglichen, aber gründlich recherchierten Artikel Das Internet – ein rechtsfreier Raum? Heute erinnert sich der Jurist amüsiert an diese Zeit. "Unter den Juristen galt ich fortan als der John Perry Barlow der Juristerei." John Perry Barlow schon wieder? Genau der hatte eine donnernde Unabhängigkeitserklrung des Cyberspace verfasst und auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos den verwunderten Staatslenkern und Staatsdenkern vorgetragen. Auf der Milia in Cannes erhielt er stehenden Applaus und einen spontan verliehenen Milia d'Or der Multimediamesse. "Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes ..."

Es geht weiter, ganz bestimmt. Im rechtsfreien Raum ist immer was los, weil das Hetzen zum schlechten Ton gehört. Bekanntlich hat Twitter-Chef Jack Dorsey angekündigt, dass sein Dienst künftig keine politische Werbung zulassen wird. Das findet US-Chef Trump blöd. Die weltweiten Sozialisten von der Vierten Internationale sprechen gar von einer neuen Zensur des Internet.

So ist es nur natürlich, dass deutsche Politiker klare Regeln für diesen Raum sehen wollen, den Elon Musk gerade verlässt. Er will sich künftig bei Reddit zu Worte melden, auch das ein Angebot, das einmal mit seinen recht anarchischen AMAs als rechtsfreier Raum galt. (jk)