Internetfreiheit 2019: Mehr Wahlbeeinflussung und Überwachung in Social Media

Die sozialen Netzen rücken mehr und mehr in den Fokus der Gegner von Internetfreiheiten. Zensur ist dort nicht mehr das Mittel der Wahl, sagt Freedom House.

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Internetfreiheit 2019: Mehr Wahlbeeinflussung und Überwachung in Social Media

(Bild: roibu/wolfstudiobkk/Shutterstock.com)

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Das Internet und Social Media wird in Demokratien rund um den Globus immer öfter von inländischen Akteuren genutzt, um mithilfe von Desinformationen und Propaganda Wahlen zu beeinflussen. Auch deshalb ist die Freiheit des Internets weltweit im neunten Jahr infolge zurückgegangen, zumindest wenn man dem Report Freedom of the Net 2019 folgt, den die US-Nichtregierungsorganisation Freedom House nun veröffentlicht hat.

Unter den 65 untersuchten Staaten, in denen demnach zusammen 87 Prozent der Internetnutzer leben, kommt darin Island auf den ersten Platz vor Estland, Kanada und Deutschland. Auf den letzten drei Plätzen landen Syrien, der Iran und China.

Karte zur Freiheit im Internet 2019

(Bild: Freedom House)

Schon vergangenes Jahr hatte Freedom House festgestellt, dass Desinformation und Propaganda die Digitalsphäre "vergiften". 2019 heißt es nun die auf diesem Weg erreichte Verzerrung der Online-Landschaft vor Wahlen sei die mit Abstand "beliebteste Taktik für digitale Wahlbeeinflussung". In insgesamt 30 Staaten hat die Organisation Vorgänge rund um nationale Wahlen analysiert und in 24 "informationale Maßnahmen" von staatliche und nicht-staatlichen Akteuren beobachtet, darunter Propaganda, "klare Fake News", bezahlte Kommentatoren, Bots und die Übernahme von Social-Media-Accounts. Das habe man unter anderem in den USA, in Brasilien, Italien, Indien, Australien und Südafrika gesehen.

In mehreren Ländern hätten sich extremistische Parteien als besser gerüstet erwiesen, um mit diesen Mitteln auf Wahlen Einfluss zu nehmen. Rechte Gruppen etwa könnten mehr Erfolg haben, weil "falsche, schockierende, negative, übertriebene und emotional aufgeladene Inhalte" sich in sozialen Medien schneller und weiter verbreiten als andere, vermuten die Autoren. Gleichzeitig verblasse das Risiko einer Bestrafung angesichts der Vorteile eines Wahlsiegs. Lediglich in Deutschland, Frankreich, Estland, Armenien, Kambodscha und Malawi sei diese Angriffsart nicht beobachtet worden. In den letzten beiden habe es dafür technische (wie Seitenblockaden) und juristische Arten der Einflussnahme gegeben, weswegen nur in vier Staaten frei von "digitaler Wahlkampfbeeinflussung" abgestimmt werden konnte. Viele Regierungen seien zu dem Schluss gekommen, dass in sozialen Netzen Propaganda besser wirkt als Zensur, fasst Freedom-House-Präsident Mike Abramowitz diesen Aspekt zusammen.

Auch bei einem weiteren Trend konzentriert sich die Organisation auf soziale Netze: Dabei geht es um hochentwickelte Werkzeuge, um Internetnutzer online zu überwachen. War derartige Technik einst den mächtigsten Geheimdiensten vorbehalten, würden solche Spionage-Tools für Big Data nun weltweit eingesetzt. Fortschritte bei der KI-Entwicklung befeuerten hier einen unregulierten Markt für Social-Media-Überwachung, kritisieren die Autoren. "Die Zukunft der Internetfreiheiten hängt an unserer Fähigkeit, Social Media zu reparieren", fasst deswegen Adrian Shahbaz zusammen, der bei der Organisation die Forschung zu Technologie und Demokratie leitet. Weil es sich dabei um US-Plattformen handelt, müssten die USA sich als Anführer für Transparenz und Rechenschaft im digitalen Zeitalter einsetzen.

Weiterhin sehen die Autoren des Reports die freie Meinungsäußerung im Netz bedroht: In 47 der 65 untersuchten Staaten seien Internetnutzer für politische, soziale oder religiöse Äußerungen festgenommen worden. In mindestens 20 Staaten seien soziale Netze oder andere Kommunikationswege blockiert worden und in 38 Staaten hätten Politiker im Netz auf Bots oder falsche Accounts gesetzt, um ihre politischen Gegner zu belästigen.

Während sich der Zustand der Internetfreiheit in der Mehrzahl der Länder im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert hat, gab es die umfangreichsten Einschränkungen im Sudan (-10 auf 25 von 100 möglichen Punkten) und Kasachstan (-6 auf 32). Brasilien (64), Bangladesch (44) und Simbabwe (42) sahen jeweils eine Verschlechterung um 5 Punkte. Deutschland verschlechterte sich um einen Punkt auf insgesamt 80. Die größten Verbesserungen sahen demnach Äthiopien (+11 auf 28), Angola (+4 auf 64) und die Türkei (+3 auf 37). Den USA (-1 auf 77) wird eine verstärkte Überwachung von Social Media und die intransparente Durchsuchung elektronischer Geräte angekreidet. In China (-2 auf 10) wiederum habe die Zensur vor dem 30. Jahrestag des Tian’anmen-Massaker bislang unerreichte Extreme erreicht.

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(mho)