Nichts als die Wahrheit?

Ein theoretischer Physiker will mit einer statistischen Analyse zeigen, dass Frauen in der Physik nicht benachteiligt werden.

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Er hat es wieder getan.

Vor gut einem Jahr sorgte der Physiker Alessandro Strumia bei einem Workshop am Forschungszentrum CERN für einen Eklat. Denn Strumia behauptete, aus der Analyse von Veröffentlichungsdaten belegen zu können, dass Physik „von Männern erfunden und betrieben“ würde und unter dem Vorwand von Gleichbehandlung Männer im Forschungsbetrieb diskriminiert würden - und nicht Frauen. Über 3000 Forscherinnen und Forscher unterzeichneten eine Erklärung, in dem sie den Vortrag als „unethisch“ zurückwiesen. Andere, wie die Physikerin und Autorin Sabine Hossenfelder, arbeiteten sich stärker an der Methodik ab. Strumia wurde gefeuert, und das Video des Vortrages von der CERN-Website entfernt - die Slides sind allerdings noch immer online verfügbar.

Doch jetzt legt Strumia nach: Er hat es geschafft, seine Analyse in einer wissenschaftlichen Zeitschrift unterzubringen. Das Journal Quantitative Science Studies, das im Verlag MIT Press erscheint, wird die Studie veröffentlichen, berichtet das Wissenschaftsmagazin Science. Eine Vorabversion von dem Paper hat er bereits auf seiner Website veröffentlicht.

Die Kernaussagen darin sind:

  • Es gibt keine Unterschiede in der Häufigkeit, in der Frauen und Männern Paper von Frauen oder Männern zitieren
  • Frauen werden im Schnitt häufiger eingestellt, auch wenn sie weniger Paper veröffentlicht haben als Männer
  • Und der Anteil von Frauen und Männern, die aus der Wissenschaft ausscheiden, ist prozentual gleich hoch
  • Daraus folgt Strumia, dass Männer und Frauen in der physikalischen Forschung gleiche Chancen haben - und Diskriminierung nicht existiert.

Das ist aber noch nicht alles: Strumia hat auch eine "Produktivitätslücke" zwischen Männern und Frauen gefunden. Soll heißen: Männer produzieren im Schnitt mehr Paper, was nicht daran liegt, dass sie geschwätziger sind, sondern vielseitiger. Da die Daten gesellschaftliche Gründe für diesen Unterschied ausschließen, müsse man „biologische Gründe in Betracht ziehen“, schreibt Strumia.

Warum ist diese Geschichte so bemerkenswert? Aus zwei Gründen: Ob beim Streit um den Klimawandel, Fahrverbote, der Debatte um soziale Ungleichheit oder Diskriminierung - in all diesen Diskussionen treten Menschen auf, die behaupten, ihre Thesen und Deutungen durch objektive Daten und felsenfeste, wissenschaftliche Analysen belegen zu können.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich glaube an objektive Fakten. Ich glaube daran, dass es richtige und falsche Aussagen gibt. Auf einer ganz elementaren Ebene ist Wissenschaft oft schwarz oder weiß. In komplexen Zusammenhängen ist sie das aber nicht. Es kommt ganz darauf an, wer mit welchem Interesse welche Fragen stellt.

Das ist blöd und verwirrend, aber leider wahr. Bei der Frage, warum es nicht mehr Frauen in den „harten“ Naturwissenschaften wie Physik gibt, spielen viele Dinge eine Rolle: Das Selbstverständnis von Physikern, die weitgehende Ausblendung von eigenen Interessen, Emotionen und Sympathien, die mangelnde Fehlerkultur - und natürlich die Zuschreibung von Kompetenzen. Jeder, der behauptet, Physiker würden immer - auch und gerade bei Einstellungen - nur objektive, rationale und reproduzierbare Entscheidungen treffen, lügt entweder. Oder er hat keine Ahnung, wovon er spricht.

(wst)