Missing Link: Die Rettung des Internet Governance Forum

Die Bundesregierung will das Internet Governance Forum retten – allerdings sieht nicht jeder den Bedarf für eine Rettung, es gibt andere Möglichkeiten.

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Missing Link: Die Rettung des Internet Governance Forum

(Bild: NicoElNino/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

5000 Teilnehmer aus 160 Ländern erwartet Berlin für das 14. Internet Governance Forum der Vereinten Nationen ab morgen. Die deutschen Gastgeber sind stolz auf den Rekord. Sie wissen aber auch, dass das IGF in der Krise steckt, vor allem weil auch im zweiten Jahrzehnt noch Uneinigkeit darüber besteht, welche Rolle das IGF hat – und wer dafür bezahlen soll. Eine kurze Einführung zur reichen Agenda des armen IGF und zum Streit um seine Aufgaben.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wer immer dem IGF im Berliner Estrelle kommenden Woche einen Besuch abstatten will, der sollte Zeit, ein eigenes Vesper und gute Schuhe mitbringen. Zeit braucht es, weil der Besuch einer oder zwei aus den Hunderten von Veranstaltungen zwischen Tag 0, Montag, bis Tag 4, Freitag, ein schlechtes Bild des IGF bieten kann. Vielleicht hat man gerade die KI-Sitzung erwischt, die einen nicht weiter gebracht hat und verpasst eine produktivere Sitzung zum Thema am folgenden Tag.

Ein Vesper mitzubringen lohnt sich, weil man nie weiß, ob man zwischen hart getakteten Einzelterminen wirklich irgendwo für Essen anstehen kann. Gute Schuhe schließlich helfen, das Laufpensums zu absolvieren, das man schon mal bei einer derartigen Megakonferenz absolvieren kann, wenn man zwischen den Panels über Techno-Nationalismus, dem offenen Forum zum Backlash gegen Verschlüsselung und dem Stand der chilenischen Bürgerrechtsorganisation Derechos Digitales hin- und herpendelt.

Drei zentralen Themen hat das Forum dieses Jahr, Datengovernance, Sicherheit (Safety&Security) und Teilhabe. Man wolle Fragen diskutieren wie "Welche Lösungen gibt es, um die Wettbewerbsfähigkeit der Kleinen im Zeitalter der Plattform-Riesen zu sichern?", "Wie schützen wir uns gegen Angriffe auf die Integrität des Netzes, ohne Privatheit, Datenschutz und Meinungsfreiheit aufzugeben" oder "Welche Rolle spielt der Globale Süden bei den Entwicklungen?", schreibt Thomas Jarzombek (CDU) im Vorwort zu einem der vielen Bücher, die eigens zum Start der Konferenz veröffentlicht werden. Mit der angebotenen Buchlektüre lässt sich ein ganzer Gabentisch für Weihnachten füllen.

Die Vielfalt des IGF ist dabei nicht nur eine Stärke. Die Konferenz ist nicht nur mega, sie ist auch "messy". Nicht selten laufen Veranstaltungen zum gleichen Thema parallel, eine Zusammenführung der verschiedenen Tracks ist bislang praktisch nicht gelungen, wie der Blick ins Programm zeigt. Außerdem ist ein gewisses Buzzword-Bingo der Digitalthemen nicht ganz von der Hand zu weisen. Über 20 Einzelveranstaltungen befassen sich mit dem Thema Daten Governance, ein Dutzend Workshops und Panels diskutieren das Thema KI. Zehn oder mehr Veranstaltungen widmen sich dem Schutz von Kindern, eine davon mit dem Schutz von Kindern vor KI.

Auch für die 14. Ausgabe hat das IGF, oder besser gesagt, das IGF Membership Advisory Committee (MAC), es nicht geschafft, so etwas wie Ordnung in das Programm zu bringen. Das vielstimmige Chaos ist Programm. Das wird sich auch in Berlin nicht ändern und die Berliner Gastgeber konnten da auch wenig machen.

Trotzdem sind die deutschen Organisatoren, federführend das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), schon jetzt ganz stolz. 5000 Teilnehmer sind ein neuer Rekord und man habe es geschafft, so viele Minister, nämlich rund 30 Minister und Vizeminister, zum IGF zu bringen wie noch nie in der Geschichte des Forums, heißt es aus dem BMWi. Man habe, so schreibt das Ministerium in einer Antwort an heise, von Anfang an sehr viel Wert auf eine hochrangige Teilnahme am IGF gelegt. Die Kanzlerin eröffnet das Forum selbst und erstmals wurden Parlamentarier aus aller Welt extra eingeladen.

Wenn auch spät, hat die Bundesregierung das IGF entdeckt. Zum IGF nach Nairobi 2011 reiste der FDP-Abgeordnete und Digitalpolitikexperte Jimmy Schulz noch allein und auf eigene Rechnung, und ein deutscher Minister hat sich in den ersten 13 Jahren seines Bestehens noch nicht zum IGF verirrt.

In Berlin wollen sich die Gastgeber ins Zeug legen, um das IGF aus der Krise zu führen, in der es seit einigen Jahren steckt, weil es nur debattiert, und nicht handelt. Das Fehlen greifbarer "Ergebnisse" des Forums hat zunächst mehr und mehr Regierungen, und in deren Gefolge auch die von Anfang an schwächer vertretenen Unternehmens-Stakeholder vertrieben. Die technische Community, die anfangs kam, um ihre Interessen zu vertreten und Kontakt zu Regierungen zu bekommen, lädt heute letztere zu eigenen Veranstaltungen ein.

Die Machtlosigkeit ist dabei ein Geburtsfehler. Nach der Gründung des IGF 2006 hatte das Forum zunächst große Regierungsdelegationen aus manchen Ländern angezogen. Es sollte vor allem eine Plattform sein, um die beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft der Vereinten Nationen nicht beigelegten Streitfragen zur Verwaltung von Rootzone und Domain Name System zu lösen. Dass die US-Regierung auf diesen zentralen Ressourcen die Hand hielt, hatte den ersten UN-Internetgipfel fast zum Scheitern gebracht.