IT-Arbeitsmarkt -- Mythos Expertenmangel?

Norman S. Matloff, Professor für Computerwissenschaften, sieht den Grund für Green Cards und H-1B-Visa nicht im Expertenmangel, sondern im Lohn-Dumping.

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Norman S. Matloff ist ein Mann mit klaren Standpunkten, die er auch gerne und häufig artikuliert. Der Professor für Computerwissenschaften an der University of California, Davis, predigt seinen Studenten beispielsweise, nicht den beliebten, leicht zu bedienenden Unix-Mail-Client Pine zu benutzen: "Das Programm wurde für Leute entwickelt, die Angst vor Computern haben." Für angehende IT-Experten sei die "Einsteiger-Software" dagegen ungeeignet. Matloffs Streitbarkeit in Sachen Auswahl geeigneter E-Mail-Tools für seine studentischen Schützlinge ist wohl der geringste Bereich, in dem man mit dem Doktor der theoretischen Mathematik einen Krach vom Zaun brechen könnte. Sein von der amerikanischen Presse geprägter Spitzname lautet "Geißel des Silicon Valley". Und diesen Namen hat sich Matloff als langjähriger Aktivist gegen das H-1B-Programm der amerikanischen Bundesregierung gemacht, mit dem vor allem die Hightech-Industrie ausländische Programmierer und Ingenieure ins Land holt, um offene Stellen besetzen zu können.

Das Interesse des Hochschullehrers an der Thematik entsprang anfangs einleuchtenden Motiven: Er musste feststellen, dass viele seiner eigenen Studenten auf dem Softwaresektor keine Jobs fanden – trotz großem Wachstum im Silicon Valley. "Ich interessierte mich natürlich für deren Wohlergehen", sagte Matloff im Gespräch mit heise online, "deshalb habe ich mir die Situation näher angeschaut". Die parallel verlaufende Debatte zur Erhöhung des H-1B-Kontingents nahm er zum willkommenen Anlass, den amerikanischen Arbeitsmarkt für Programmierer unter die Lupe zu nehmen.

Der Professor, der sich vor seinem Wechsel in die Informatik lange Jahre mit Statistik beschäftigt hat, ging ein Hauptargument an, das die ganze Diskussion über die IT-Migranten auch bei der deutschen Green-Card-Regelung begleitet hat: Der Mangel an qualifizierten Fachkräften im Inland, den die Industrie lautstark beklagte. Matloff stieß auf erstaunliche Zahlen. Wie, fragte er bei einer Anhörung vor dem Einwanderungsausschuss des US-Kongresses, kann es sein, dass große Softwarefirmen wie Microsoft oder Oracle nur zwei Prozent aller Kandidaten, die sich bei den Unternehmen bewerben, schließlich auch einstellen, wenn tatsächlich viel zu wenig IT-Experten vorhanden sind?

Dies sei auch nicht mehr mit dem Streben nach Elite zu begründen, meinte Matloff. An dieser Personalpolitik habe sich weder in der Boom-Phase bis Mitte 2000 noch im heutigen Abschwung etwas geändert. Auch bei weniger renommierten Firmen wiederhole sich das Bild. Von B wie Broderbund Software bis R wie Red Hat – kein Unternehmen stelle mehr als fünf Prozent der potenziellen Kandidaten ein. Die Personalabteilungen wiesen viele Vorsprechende auf Grund mangelnder Spezialkenntnisse ab, die auch nicht von den Universitäten vermittelt werden könnten, weil sich die Anforderungen zu schnell änderten: "Die Firmen sieben falsch."

Auch stellte Matloff einen Trend zur Diskriminierung älterer Arbeitnehmer fest, denen immer wieder vorgeworfen werde, sie hätten eine falsche Ausbildung: "Doch wer einmal C gelernt hat, wie das in den USA schon seit langem der Fall ist, kann sich sehr schnell neue Technik erschließen." Viele ältere Software-Ingenieure hätten das Feld längst verlassen und kämen in keiner Arbeitslosenstatistik mehr vor. Sein Fazit: "Die Human-Resources-Manager schauen sich ihre Kandidaten nicht nach dem wichtigsten Kriterium an: dem Programmiertalent. Stattdessen schießen sie sich mit ihrem jetzigen Herangehen in den Fuß."

Matloff hat seine Argumentation samt einem Berg von Quellen und statistischen Belegen in eine lange FAQ gepackt, die er ständig erweitert und ergänzt. Doch bislang stößt er damit vor allem auf Unverständnis: "Ich habe es die letzten beiden Male abgelehnt, vor dem Kongress zu sprechen. Meine Daten scheinen ihn nicht zu interessieren", meint er. Doch sonst kann man kaum behaupten, Matloff habe die Problematik unter der Decke gehalten. Er schrieb Meinungsstücke für die Washington Post und die New York Times, an Manager gerichtete Informationen im Wirtschaftsmagazin Forbes und in Newsday. Doch das hilft offenbar alles nichts – die herrschende Meinung in Industrie und Politik ist nach wie vor: Es gibt zu wenige Programmierer, wir müssen uns externe Spezialisten ins Land holen.

Dass man den Computerwissenschaftler Matloff die "Geißel des Silicon Valley" nennt, hängt vor allem mit seiner Erklärung zusammen, warum die IT-Branche sich weiterhin massiv für eine Aufrechterhaltung und Erweiterung des vorhandenen Einwanderungsprogrammes ausspricht, anstatt die inländischen Ressourcen "korrekt abzuzapfen": Sie bekomme ganz einfach günstige und hörige Arbeitsnehmer und müsse Projekte nicht ins Ausland verlagern, um einiges an Kosten zu sparen. Dabei, behauptet Matloff, seien die Software-Importe keinesfalls die Crème de la crème des jeweiligen Landes. "Viele H-1Bs lernen die neuen Technologien an ihrem Arbeitsplatz und machen so genau das, was ich für ältere Arbeitnehmer längst fordere." Der Grund für den Mythos vom Arbeitskräftemangel in der IT-Branche sei also nur eines: das liebe Geld. "Die H-1Bs sind billiger und lassen sich auf Grund ihres Abhängigen-Status sehr gut kontrollieren", sagt Matloff scharf und ergänzt, sie seien auf Grund des komplizierten Status nichts anderes als "Arbeitsabhängige".

In der Tat erhalten viele Import-ITler in den USA zwischen 25 und 30 Prozent weniger Gehalt als ihre inländischen Kollegen, obwohl sie eigentlich "vergleichbar" verdienen müssten. Doch die enge Bindung an den Arbeitgeber lässt sie kaum mehr fordern. Dieser "Vorteil" gilt in Wirtschaftskreisen als offenes Geheimnis. Dass die Technologie-Einwanderer nicht sonderlich zufrieden sind mit ihrer Lage, zeigen auch die Wege, die sie gehen, sobald eine Green Card, was in den USA mit einer weitgehend unbeschränkten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung gleichzusetzen ist, erteilt wurde. Relativ wenige Computerexperten bleiben bei dem Arbeitgeber, der sie ins Land geholt hat – und die, die ihren Job behalten, verlangen häufig eine satte Gehaltserhöhung, die sie zumeist auch bekommen. Bevor das Visum da ist, können die Arbeitnehmer ihren Job kaum wechseln, weil sie sonst den Green-Card-Prozess verlangsamen. Eine entsprechende Gesetzeserleichterung aus dem vergangenen Jahr bringt nur schleppende Abhilfe.

Die deutsche Variante namens Green Card ist laut Matloff nichts anderes als ein Abklatsch des amerikanischen H-1B-Programmes. "Das ist kein Zufall. Die deutschen Lobbyisten nutzen die gleichen Argumente wie bei uns." Auf den Einwurf, ein ausländischer IT-Spezialist sorge für fünf Arbeitsplätze im Inland, meint er nur lapidar, ein inländischer IT-Spezialist täte das gleiche.

Ausländerfeindlichkeit kann man Matloff kaum vorwerfen. Er ist selbst mit einer Asiatin verheiratet und spricht fließend Chinesisch. Er hat sich lange in Minderheitenprogrammen der Universität engagiert. Und seine Familie wanderte aus Russland ein. "Migration ist gut", meint er denn auch, "es kommt allerdings auf die richtige Menge an". Das H-1B-Programm solle wieder auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückgefahren werden – nämlich, die "besten und schlauesten Köpfe" ins Land zu holen. (Ben Schwan) / (jk)