Niedersachsen: Umstrittenes Polizeigesetz muss angepasst werden

Niedersachsens Polizeigesetz muss nachgebessert werden. Die grundsätzliche Kritik der Gegner aber bleibt bestehen. Auch die Polizei ist noch nicht zufrieden.

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Niedersachsen: Umstrittenes Polizeigesetz muss angepasst werden

(Bild: FOTOKITA/Shutterstock.com)

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Von
  • Michael Evers
  • dpa
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Kaum beschlossen und schon korrekturbedürftig: Mit dem nach langem Tauziehen vor gut einem halben Jahr beschlossenen niedersächsischen Polizeigesetz muss sich in der letzten Landtagssitzung vor Weihnachten prompt wieder das Parlament befassen. Wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts müssen Passagen im Gesetz zur automatischen Kennzeichenerfassung und zur Schleierfahndung nachgebessert werden.

Dabei war in Niedersachsen wohl über kaum ein Gesetz so lange und kontrovers diskutiert worden wie über das Polizeigesetz, das sogar Gegner zu Demonstrationen auf die Straße trieb. An der Notwendigkeit einer Gesetzesreform gab es spätestens seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor drei Jahren keinen Grundsatzzweifel mehr. Wie weit aber sollten Behörden im Zuge des Antiterrorkampfs in die Privatsphäre von Bürgern eingreifen dürfen? Die zunächst noch von Rot-Grün vorbereitete Gesetzesverschärfung wurde schließlich im Mai von der SPD/CDU-Regierung beschlossen.

Mit der Einführung von Körperkameras für Streifenbeamte oder des Streckenradars gegen Raser war die Polizei in Niedersachsen zwischenzeitlich vorgeprescht, mit dem Gesetz gibt es dafür nun auch eine rechtliche Grundlage. Das bei Hannover als bundesweit erstes Pilotprojekt installierte Streckenradar musste zwischendurch auf eine Klage hin erst noch einmal außer Betrieb genommen werden. Erst nach Verabschiedung des Gesetzes gab es grünes Licht vom Gericht. Und die Bodycams, die Beamte in potenziellen Konfliktlagen einschalten können, durften zunächst nur Bilder und keinen Ton aufnehmen. Dank der neuen Regeln sind sie nun vollwertig in Betrieb.

Obwohl die Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel so manche Nachbesserung im Gesetzesverfahren sowie das Beseitigen von aus ihrer Sicht verfassungswidriger Praktiken bei der Polizei lobt, hält sie weiter an Kritik fest. Den Betrieb der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) etwa hält sie nach wie vor für rechtswidrig. Die Eingriffsschwelle für viele polizeiliche Maßnahmen sei ohne stichhaltige Begründung herabgesetzt worden. Schon im Vorfeld einer konkreten Gefahrenlage könne die Polizei nun zu einer Online-Durchsuchung oder einer elektronischen Fußfessel greifen.

Für das meiste Tauziehen zwischen den Parteien im Vorfeld sorgte das Einführen einer erweiterten Präventivhaft für terroristische Gefährder. Statt der geplanten 74 Tage darf diese nun für maximal 35 Tage verhängt werden. Tatsächlich zum Einsatz kam dieser viel diskutierte Eingriff in Freiheitsrechte – schließlich geht es um das vorsorgliche Wegsperren von Menschen, die noch nichts verbrochen haben – seit Verabschiedung des neuen Gesetzes erst ein einziges Mal. Im Juni drohte ein 33 Jahre alter polizeibekannter Gewalttäter damit, sich in Berlin in die Luft zu sprengen. Bis sich die Lage geklärt und beruhigt hatte, kam der Mann aus Osnabrück für 14 Tage hinter Gitter.

Nach wie vor wirft die Opposition der Regierung vor, ein nicht auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüftes Gesetz beschlossen zu haben. Die mehrfache Ankündigung, den Staatsgerichtshof mit einer Prüfung zu beauftragen, scheiterte am Unwillen von FDP und Grünen, einen gemeinsamen Antrag mit der AfD einzureichen. Die beiden Parteien alleine kommen nicht auf die erforderliche Mindestanzahl von 20 Prozent der Abgeordneten – und die Parlamentarier von SPD und CDU lehnten es verständlicherweise ab, das selber beschlossene Gesetz in Frage zu stellen. Die von der AfD inzwischen alleine eingereichte Verfassungsklage wird mangels Unterstützung der anderen Parteien erfolglos bleiben.

Die Polizei, deren Arbeit das neue Gesetz erleichtern soll, ist nicht mit allem zufrieden. So forderte der Leiter der für Extremismusbekämpfung zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig, kürzlich den Abbau formaler und technischer Hürden bei der Online-Durchsuchung. Trotz der mit dem Polizeigesetz geschaffenen Möglichkeiten dazu seien Fahnder in der Praxis weiter auf ausländische Nachrichtendienste und deren Einsatz von Trojanern angewiesen. "Wir haben die Online-Durchsuchung im Gesetz, aber die Hürden sind zu hoch", sagte der Generalstaatsanwalt. "Da sich alles im virtuellen Raum abspielt, brauchen wir funktionsfähige Online-Infiltrationsmöglichkeiten."

Auch das Landeskriminalamt sieht noch Regelungsbedarf. Telekommunikationsanbieter müssten verpflichtet werden, Inhalte unverschlüsselt zu übermitteln, außerdem müssten Standortinformationen von Handynutzern durchgängig verfügbar sein. Provider müssten zudem zur Mitwirkung bei polizeilichen Maßnahmen verpflichtet werden. "Dieser Regelungsbedarf wird als erforderlich angesehen, um mittels Telekommunikationsüberwachungen auch zukünftig entsprechend schwerwiegenden Gefahren begegnen und schwerste Straftaten verfolgen zu können", sagte eine LKA-Sprecherin. (bme)