36C3: Das regulierte Internet – Sorgen um den "Digital Services Act"

Als "Kreuzzug zur Säuberung des Internets" bezeichnen Aktivisten die Bestrebungen europäischer Gesetzgeber zur Regulierung von Online-Diensten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 18 Kommentare lesen
36C3: Das regulierte Internet – Sorgen um den "Digital Services Act"

(Bild: mixmagic/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Sollen Konzerne wie Facebook und Google künftig entscheiden, welche Inhalte online sichtbar sein dürfen? Auf dem Chaos Communication Congress in Leipzig warnen Bürgerrechts-Aktivisten vor neuen Gesetzen, die etwa terroristische Inhalte bekämpfen sollen. Insbesondere der angekündigte "Digital Services Act" der Europäischen Union könne die Natur des Internets wesentlich verändern.

Der Kampf um die EU-Urheberrechtsrichtlinie ging verloren – nun sorgen sich Netzaktivisten um die künftigen EU-Regulierung des Internets. So habe das deutsche Netzwerksdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bereits großen Einfluss gehabt, weil es von anderen Ländern kopiert werde – samt der Verlagerung der Rechtsdurchsetzung auf die Plattformbetreiber. Die Bestrebungen der Regierungen sollen nun in einen neuen Rechtsrahmen der EU münden. Thomas Lohninger von der österreichischen Bürgerrechts-Organisation Epicenter.works spricht von der "Mutter aller Debatten um digitale Rechte".

Die Aktivisten befürchten, dass staatliche Regulierungen immer weiter durch Vertragsrechte der Plattformen ersetzt werden. Insbesondere die Ende 2018 überarbeitete Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste der EU sei kritisch zu betrachten, sagte Lohninger: "Statt den Unternehmen bestimmte Maßnahmen aufzugeben, wird hier vorgeschrieben, wie die Nutzungsbedingungen der Plattformen auszusehen haben".

Folge sei, dass nicht mehr staatliche Stellen für die Umsetzung des Gesetzes verantwortlich seien. Die Entscheidung, welche Inhalte zu löschen seien, müssten in erster Linie von den Unternehmen getragen werden. Diese hätten dabei einen starken Anreiz, Inhalte zu löschen, selbst wenn sie die Illegalität nicht eindeutig feststellen könnten. So sind die Fristen sehr kurz, die Strafen bei Nichtbefolgung sehr hoch. Auch die vorgeschlagenen Regeln zur Bekämpfung terroristischer Inhalte sehen eine solche Lösch- und Filterpflicht für Plattformen vor.

"Das ist sehr bequem für die Regierungen, weil sich die Firmen nicht an die Menschenrechtsvereinbarungen wie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union halten müssen", erklärte Chloé Berthélémy von der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi). Doch die Firmen seien mit ihren automatisierten Filtern überhaupt nicht in der Lage, Inhalte korrekt zu erkennen und einzustufen. So hätten die Plattformbetreiber etwa versucht, Hassrede gegen Minderheiten zu reduzieren. Im Endergebnis hätten aber genau diese Minderheiten am meisten unter den Löschungen zu leiden gehabt.

Anna Mazgal, Lobbyistin für Wikimedia Deutschland, beschäftigte sich insbesondere mit den vorgeschlagenen Regeln zur Bekämpfung terroristischer Online-Inhalte. Sie argumentierte in ihrem Vortrag, dass die derzeit debattierte Gesetzgebung übereilt und unzureichend sei. Auch bei dem beabsichtigten Vorgehen gegen Radikalisierung fehle bisher jeder wissenschaftlicher Nachweis, wie diese vor sich gehe. Die EU-Kommission habe lediglich eine Annahme getroffen und versuche nun eilig, diese Annahme in verbindliche Regeln umzusetzen.

Eine solche gesetzgeberische Eile sei gar nicht geboten. So hätten 94 Prozent der Bürger angegeben, niemals in Kontakt mit terroristischen Inhalten gekommen zu sein. Wenn sie jedoch mit Vertretern der EU-Kommission dazu debattiere, werde dieses Argument ignoriert. Ein Vertreter habe gar mit seinem Handy herumgewedelt und angeboten, ein Video einer Köpfung zu zeigen. "Ich erachte das eher als emotionale Erpressung, nicht als guten regulatorischen Impuls", sagte Mazgal.

Das Problem sei in erster Linie, dass Leute enthauptet werden, nicht das Video. Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regeln seien jedoch so unklar formuliert, dass neben den Inhalten der Terroristen selbst auch journalistische Berichterstattung oder sogar Initiativen zu Bekämpfung des Terrorismus betroffen sein könnten. Die vorgeschlagenen Regeln zeigten zudem, dass es den staatlichen Stellen gar nicht darauf ankomme, die in den Videos gezeigten Taten zu verfolgen. Zudem zeigten Veröffentlichungen von Europol, dass es den staatlichen Stellen auch um die Löschung nicht-gewalttätiger Inhalte wie Gedichte gehe, wenn diese in einen Kontext mit Terrorismus gestellt werden könnten.

Die in den Anti-Terror-Regeln vorgesehen Regelungen könnten zum Vorboten einer umfassenden EU-Netzregulierung werden, die die Freiheit im Internet wesentlich einschränke, befürchten die Bürgerrechtler. So hatte die neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, die E-Commerce-Richtlinie neu zu fassen, die Providern bisher ein Haftungsprivileg verschafft hatte.

Die ersten Anhörungen zu der neuen Gesetzgebung sollen bereits im Frühjahr 2020 beginnen. Hierbei werden aus Ansicht der Netzaktivisten auch begrüßenswerte Entwicklungen beraten: So will die EU-Kommission laut Gerüchten etwa die Rolle der Online-Werbung erstmals genau analysieren und regulieren. Lohninger warb dafür, diese Phase der Gesetzgebung zu nutzen: "Je eher man sich beteiligt, um so einfacher ist es, Einfluss auf ein Gesetz zu haben", erklärte der Aktivist. Wenn man erst protestiere, wenn ein Gesetz schon vom Parlament verabschiedet werden soll, sei es hingegen meist zu spät. (tiw)