Lieferfahrer-Startup: Genossenschaft statt Risikokapital

Nach dem Aus von Deliveroo versuchen sich Lieferfahrer in der Gig-Economy zu behaupten.

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Lieferfahrer-Startup: Genossenschaft statt Risikokapital

Retro-Look statt App-Economy – der erste Anlauf von "Kolyma 2" scheiterte am Verwaltungsaufwand.

(Bild: Screenshot / heise online / Torsten Kleinz)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Fünf Monate nachdem der Lieferdienst Deliveroo seine Tätigkeit in Deutschland eingestellt hat, versuchen sich einige der Fahrer die Arbeit selbst zu organisieren. Doch wer kein Kapital und keine Strukturen hat, kann das Geschäftsmodell der Multi-Millionen-Plattformen nicht kopieren, wie sich in der Praxis zeigt.

Das Aus der Lieferplattform Deliveroo im August war nach hartem Konkurrenzkampf zwar nicht völlig unerwartet, kam dann aber ganz plötzlich. Die Lieferfahrer hatten kaum Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Die formell eigenständigen Fahrer standen plötzlich komplett ohne Auftraggeber da, lange Kündigungsfristen oder große Abfindungen konnten sie nicht erwarten. Doch für manche Fahrer war die Arbeit als Essenskurier nicht nur ein "Gig", nicht nur eine auswechselbare Beschäftigung zum Mini-Gehalt. Schon damals taten sich erste Fahrer zusammen, um ganz auf eigene Rechnung zu arbeiten. Das neue Projekt "Kolyma 2" war deshalb sofort am Start, als Deliveroo die Aufhebungsverträge verschickte.

Die Arbeit auf eigene Faust war deutlich anders. So schätzten viele Lieferfahrer das freie Arbeiten, bei dem sie in der Regel nur per App mit ihrem Auftraggeber in Kontakt kamen. Doch mit dem Ende von Deliveroo verschwand auch dieser Komfort. Die Fahrer mussten sich untereinander neu organisieren. Und statt bequem per App oder Website das Lieferessen zu bestellen, mussten die Kunden sich das Essen aus einer PDF-Speisekarte heraussuchen und an die Fahrer melden.

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Trotz des Komfortverlusts waren viele Kunden und Restaurants bereit, sich mit den Newcomern zu arrangieren. Führte Kolyma 2 anfänglich nur zwei Lokale auf der simpel gehaltenen Website auf, waren es nach einigen Wochen bereits 16 verschiedene Restaurants in den Berliner Bezirken Kreuzberg, Schöneberg und Friedrichshain. Die Bestellung lief einfach per Messenger, die Preise unterschieden sich nicht stark vom großen Vorgänger: 3 Euro pro Lieferung bei 20 Euro Mindestbestellwert. Die Bestellungen wurden unbürokratisch an Messenger-Gruppen in den Stadtteilen weitergeleitet.

Obwohl zu den Liefergebühren noch die Provisionen der Restaurants kamen, reichte dies nicht dafür, das Modell am Leben zu erhalten. "Wir hatten uns bemüht, den Restaurants den Deal anzubieten, den sie von Deliveroo kannten", erklärt Stefano Lombardo im Gespräch mit heise online. "Folge war: Wir hatten sieben Tage die Woche an 12 Stunden am Tag offen. Wir haben zwei Monate durchgearbeitet." Schon bald zeigte sich: Das Konzept war nicht nachhaltig. Zwar hatten die Fahrer bei den Kunden Erfolg, doch der Verwaltungsaufwand war enorm. Im November trat das hoffnungsvolle Startup deshalb in einen "Winterschlaf".

Anders als die multinationalen Plattformen konnten die Fahrer nicht auf Millionen-Investitionen zurückgreifen, um einen Markt zu übernehmen. Anfangsverluste waren für sie keine Option. Ohne Investoren war es ihnen nicht möglich, das Liefergeschäft auf finanziell gesunde Füße zu stellen. Den Branchenriesen Lieferando herauszufordern, der Deliveroo erfolgreich aus dem Markt gedrängt hatte – unvorstellbar.