Post aus Japan: Autofahren in der Laserpunktwolke

Nippon bietet schon, wovon andere Länder noch träumen: zentimetergenaue Satellitenortung in hochpräzisen 3D-Karten. Der Nissan Skyline nutzt dies zur freihändigen Fahrt auf der Autobahn.

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Post aus Japan: Autofahren in der Laserpunktwolke

Der Nissan Skyline.

(Bild: Nissan)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Landkarten und Globen sind schon lange beliebte Elemente der Innenarchitektur. Bei hochpräzisen 3D-Straßenkarten für autonomes Fahren ist das nicht anders. Im Hauptquartier von Nissan in Yokohama sieht der Kunde, wie das Auto seine Umwelt bereits ab Werk kennt: Bäume, Häuser und Straßen aufgelöst in eine futuristische Laserwolke.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Doch die derart vermessene Welt macht sich nicht nur gut, sondern erfüllt auch eine Funktion. Im Verbund mit Japans zentimetergenauer Satellitenortung ermöglichen die Karten Autos in Japan bereits extrem vorausschauendes Fahren. Bei Nissan nutzt das neue viersitzige Sportcoupé Skyline die Daten bereits für fahrerloses Fahren auf der Autobahn.

Und noch ein Novum ermöglicht das System: Der Fahrer darf sogar erstmals in einem japanischen Großserienfahrzeug während der Fahrt die Hände in den Schoß legen – wenigstens solange das Auto sich sicher fühlt. Bei bisherigen Fahrassistenten musste wenigstens eine Hand pro forma auf dem Lenkrad ruhen. Damit sollte sichergestellt werden, dass die rechtliche Verantwortung für alle Missgeschicke weiterhin beim Fahrer liegt. Wie diese Zwischenstufe zum Roboterauto in der Praxis funktioniert, muss natürlich ausprobiert werden.

Bei Pressewagen handelt es sich um ein rotes Hybridmodell. Wie üblich bei Testwagen in Japan wird erwartet, dass man das Auto vollgetankt und gewaschen zurückbringt. Ansonsten hat man freie Fahrt. Ein Druck auf das blaue Symbol am Lenkrad und der Fahrassistent ist eingeschaltet. Und sofort wird die erste Einschränkung offenbar.

Anders als der Toyota-Van Alphard, den ich kürzlich ausprobierte, versucht der Skyline erst gar nicht, im normalen Straßenverkehr selbst die Spur zu halten. Das Auto bremst nur automatisch. Die selbstständige Überquerung von Kreuzungen wird wohl erst dieses Jahr folgen. Aber das hatte ich nicht erwartet. Ich wollte wissen, ob der Nissan wenigstens den ersten Härtetest für autonome Autos meistern kann: die Fahrt auf Tokios Stadtautobahn.

Noch hat jedes der japanischen Systeme, die ich getestet haben, vor diesem System an engen 90-Gradkurven, Einfahrten von links und rechts sowie gelegentlichen Pfeilern auf den Spuren meist früher als später kapituliert. Auch der Skyline forderte mich hin und wieder auf, eine Hand ans Lenkrad zu legen oder gar selbst zu steuern. Aber es war später und selten der Fall – dank der 3D-Straßenkarte. Und so funktioniert die Realität autonomen Fahrens.

Der Fahrassistent stellt den Umfang seiner Hilfe farblich dar: Ein grünes Steuer mit Händen am Lenkrad im Display symbolisiert die erste Stufe, also Steuerung des Autos unter Aufsicht des Fahrers. Schaltet das Symbol auf blau um, darf man das Auto ansatzweise sich selbst überlassen. Allerdings überwacht das Fahrzeug mit einer Kamera, dass der Fahrer nach vorne schaut. Lenkt er sich ab, piept und blinkt das System zur Warnung. Denn der Fahrer muss immer noch relativ rasch in der Lage sein, das Lenkrad wieder zu übernehmen.

Das Schöne an Tokios Stadtautobahn ist, dass sie viele Herausforderungen bietet. Bei bisherigen Fahrzeugen war ich daher regelmäßig dankbar, dass ich als Fahrer die Hände am Lenkrad haben musste. Denn oft stellten die Autos erst in der Mitte der Haarnadelkurven fest, dass die Fliehkräfte die Lenkhilfe bei dem in Japan üblichen Autobahntempo (Tempolimit 60 plus 15 bis 20 km/h) überforderten. Selbst mit mentaler Vorbereitung gibt dieses Gefühl einen kurzen Adrenalinkick.

Der Nissan löste die Aufgabe smarter. Erstens lässt sich das freihändige Fahren nur aktivieren, wenn das Zieltempo nicht mehr als zehn Kilometer pro Stunde über der Geschwindigkeitsbegrenzung liegt. Autonom chauffiert ist man also ohnehin schon langsamer unterwegs als fast alle anderen Fahrer. Dann bremst das Auto vor Kurven auch noch selbstständig auf das Tempolimit ab, um die Kurve sicher zu durchfahren. Denn es kann ja den genauen Kurvenverlauf samt seiner aktuellen Position akkurat einsehen.

Dieser Kniff lässt mich als Fahrer zwar daran zweifeln, ob der Kauf von Sportwagen in der autonomeren Autozukunft überhaupt noch Sinn macht. Aber die Mitfahrer würdigen es, nicht so hin- und hergeschleudert zu werden wie bei der üblichen Hatz durch die Kurven mit der japanischen Realgeschwindigkeit.

Auch der Spurwechsel funktioniert schon, nur eben noch nicht vollständig selbst. Das Auto zeigt an, dass es bereit zum Ausscheren ist. Der Fahrer muss allerdings noch selbst den Blinker setzen und eine Hand ans Lenkrad legen. Den Rest traut sich der Wagen dann alleine zu. Der Skyline zuckte sogar einmal zurück als ein Wagen mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit den Sicherheitsabstand allzu rasch reduzierte.

Auf Tokios Stadtautobahn funktioniert das System zwar noch nicht perfekt. Aber es entspannt die Fahrt und erhöht die zwischenmenschliche Kommunikation bereits merklich. Ich kann mir immer besser vorstellen, die von den Autoherstellern vielgepriesene Fahrfreude gegen den Luxus einzutauschen, den sich bisher nur Reiche leisten konnten: den Chauffeur.

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