Jugendmedienschutz: PIN soll Betriebssysteme für Jugendliche abschotten

Das bewährte Schutzsystem wird auf den Kopf gestellt, lautet die Kritik an der geplanten Jugendschutzreform. Die Länder wollen mehr technische Sicherungen.

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Jugendmedienschutz: PIN soll Betriebssysteme für Jugendliche abschotten

(Bild: JJFarq/Shutterstock.com)

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Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat sich mit ihrem Referentenentwurf zur Novelle des Jugendschutzgesetzes viel Ärger eingehandelt. Nicht nur Verbände der Medien- und Computerspielbranche laufen dagegen Sturm. Auch aus den Ländern kommt scharfe Kritik.

Im Ziel sei man sich zwar einig, erklärte die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab am Dienstag bei einem parlamentarischen Abend des Game-Verbands der deutschen Computerspielwirtschaft in Berlin. Herauskommen müsse aber ein "Jugendmedienschutz aus einer Hand", kein "Kuddelmuddel bei rechtlichen Begriffen".

Schon die Definition von "Medien" in dem Entwurf ist heftig umstritten. Das Familienressort will darunter Trägermedien wie DVDs sowie Telemedien wie Webseiten fassen. Dies sei eine "semantische Mogelpackung", kritisiert der Game-Verband in einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme. Der Rundfunk bleibe dabei außen vor, auch zahlreiche Angebote aus der Branche wie "Let's Plays, Walkthroughs und Esport-Turniere bei Live-Streaming" würden so nicht erfasst.

Panelteilnehmer der Bund-Länder-Debatte

(Bild: Stefan Krempl)

Mit diesem Manöver wolle der Bund offenbar die Klippe umschiffen, dass der Bundesrat der Initiative bei einem realitätsnäheren Medienbegriff zustimmen müsse, konstatierte Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Der SPD-Politiker zeigte sich zwar zuversichtlich, dass die "Schnittstellenprobleme" sauber gelöst werden könnten. Er empfahl aber beiden Seiten, sich wie bei einer Paartherapie "professionelle Hilfe von Dritten" wie einem Mediator zu holen. Der weitere Gesetzgebungsprozess sollte ihm zufolge "moderiert" werden, um die ebenfalls betroffenen Baustellen des Telemediengesetzes (TMG), des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) im Blick zu behalten und bis zum Sommer an all diesen Fronten zu Ergebnissen zu kommen.

Beliebige Verbreitungswege erforderten gleiche, einfachere Regeln, betonte der Leipziger Medienrechtler Marc Liesching. Die Novelle des Jugendschutzgesetzes würde aber in mancherlei Hinsicht das Gegenteil bewirken. So sollten damit etwa künftig auch dynamische Interaktionsrisiken wie das Heranpirschen an Kinder und Jugendliche über Chatfunktionen von Spielen (Cybergrooming) oder In-Game-Käufe mit "Abzockcharakter" in der Altersklassifizierung berücksichtigt werden. Nicht mehr nur die Spieleinhalte seien so für eine Freigabe beispielsweise ab 12 oder ab 16 entscheidend, sondern auch Zusatzfunktionen.

Der Rechtswissenschaftler erinnerte zudem daran, dass nach den EU-Vorgaben das Herkunftslandprinzip beachtet werden müsse. Ein Anbieter habe sich also nur nach den Regeln des Landes zu richten, in dem er sitzt. Damit werde es schwierig, an relevante Akteure wie Amazon, Facebook, Netflix, YouTube oder Twitter heranzukommen. Weiter warnte er, dass etwa eine vom RTL-Jugendschutzbeauftragten derzeit ab 12 Jahren freigegebene Schatzsuche-App in der Mediathek TVNOW künftig bußgeldbewehrt sei, da der Sender ein solches Spiel künftig "durch einen Bewertungsautomaten schieben" müsse. Dabei sei es zweifelhaft, ob ein Algorithmus eine potenzielle Jugendgefährdung besser erkenne als ein Mensch.

"Wir plädieren fürs Marktortprinzip", hielt Raab entgegen. "Wir müssen die Dinge hier verfolgen können". Mit dem Herkunftslandprinzip "läuft viel ins Leere", assistierte Eumann der SPD-Kollegin. Mit niederländischen Servern gebe es das größtes Problem, was strafrechtlich relevante, jugendschutzgefährdende Inhalte angehe. Auch gegen Anbieter in Irland und Malta liefen Verfahren und die KJM werde schauen, ob sie damit weiterkomme oder der Gesetzgeber nachjustieren müsse.

Raab plädierte als Koordinatorin der Länder für Medienpolitik auch für einen viel breiteren Einsatz des "technischen Jugendschutzes" analog etwa zu Sicherheits- und Assistenzsystemen im Straßenverkehr. Auch was die Betriebssysteme angehe, "brauchen wir eine Anbieterverantwortung", forderte die Sozialdemokratin. Bisher sei es erforderlich, Kinderschutzprogramme wie JusProg im Nachhinein auf Geräten zu installieren. Sinnvoller sei es, wenn der Nutzer schon beim Systemstart "eine Jugendschutz-PIN eingeben muss".

Game-Geschäftsführer Felix Falk warf dem Familienministerium vor, "total problematische Ideen" im Eiltempo durchdrücken zu wollen. Dabei habe Deutschland schon das "schärfste Jugendschutzgesetz" und sollte daher besser auf "Anreize für die setzen, die sich besonders konform verhalten". Nur so könne Jugendschutz als Wettbewerbsvorteil verkauft und internationalen Plattformbetreibern schmackhaft gemacht werden. Auf den Vorwurf, dass es der Branche nur um Gewinnmaximierung gehe, wollte er gar nicht erst eingehen.

"Über eine Million Jugendliche haben schon Erfahrungen mit sexueller Anmache und Mobbing im Netz gemacht", verteidigte Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, das Vorhaben. "Wir wollen dort für mehr Sicherheit sorgen." So solle es künftig etwa die Voreinstellung geben, dass eine Chatfunktion zunächst ausgeschaltet sei und man sich Kommunikationspartner aussuchen könne. "Wir latschen beim Bund nicht durch den Vorgarten der Länder", begründete sie zudem den Ansatz, den JMStV nicht anzurühren. Das Gesetz sei daher schlicht nicht zustimmungspflichtig. Bei einer Verbändeanhörung am Freitag habe das Ressort zudem "viel Zuspruch" von Kinderschutzorganisationen und etwa den beiden Kirchen erfahren.

"Ich kenne kein Elternteil, das nicht sagt, hier gibt es nichts zu tun", unterstützte auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann die Initiative. Für die Familienpolitikerin ist daher klar: "Wir sollten es einfach machen." Die Reform sei dringlich. Um "sachdienliche Lösungen" zu finden, sei es aber trotzdem eventuell ratsam, noch eine Abstimmungsrunde mit den Ländern zu machen. (kbe)