Coronavirus: Tele-Unterricht ist bisher keine Option für Schulen

Um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verlangsamen, werden auch punktuell Schulen geschlossen. Können Kinder und Jugendliche trotzdem weiter beschult werden?

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Computer-Arbeitsplatz in Schule

(Bild: George Rudy/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
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Mit der Ausbreitung von SARS-CoV-2 stellt sich vielerorts die Frage, wie zwischenmenschliche Kontakte möglichst vermieden werden können, ohne zugleich essentielle Bereiche der Gesellschaft lahmzulegen. Schließlich gilt es die Kurve flach zu halten (#FlattenTheCurve), damit das Gesundheitssystem schwer Erkrankte noch ausreichend gut behandeln kann.

Um die Ausbreitung des Virus möglichst stark zu verlangsamen, werden infizierte und potentiell infizierte Menschen in Quarantäne geschickt, Veranstaltungen abgesagt und öffentliche Einrichtungen geschlossen – darunter auch immer wieder Schulen. Virologe Christian Drosten hat in seinem vielbeachteten NDR info-Podcast "Coronavirus-Update" zwar schon darauf hingewiesen, dass flächendeckende Schulschließungen derzeit nicht zu empfehlen und auch kaum gesellschaftspolitisch umzusetzen sind, allerdings können weiterhin gezielte Schließungen an einigen Standorten sinnvoll sein, um die Epidemie zu verlangsamen.

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Eltern stellen sich deshalb die Frage, ob und wie der Schulbetrieb für Kinder weitergehen kann – vor allem auch dann, wenn nicht nur eine Erkrankungswelle droht, sondern, wie bei anderen Erkrankungen auch, mehrere Wellen zu erwarten sind. Wie sind unsere Schulen also darauf vorbereitet, dass der Betrieb immer wieder stillstehen könnte? Was bedeuten Schließungen für Kinder und Jugendliche, für Abiturientinnen und Abiturienten? Fällt der Unterricht einfach aus oder gibt es Ausweichmöglichkeiten wie zum Beispiel Tele-Unterricht?

Dr. Ilka Hoffmann, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat dazu eine klare Einschätzung: Derzeit gibt es "keine flächendeckenden Möglichkeiten", um Unterricht digital unterstützt nachzuholen oder stattfinden zu lassen. Dies liege unter anderem daran, dass Schulen durch den Föderalismus sehr unterschiedlich ausgestattet werden und selbst in den Ländern große Unterschiede von Region zu Region festzustellen sind.

Dr. Ilka Hoffmann von der GEW

Laut Hoffmann fehle es hier generell an einem Konzept oder auch einem "fachlich bewertetem Kompass für digitale Bildungsangebote" an dem sich Verantwortliche orientieren können, um die Digitalisierung des Unterrichts umsetzen zu können. Denn dabei müsse nicht nur die Hard- und Software-Ausstattung beachtet, sondern auch die Lehrerausbildung angepasst werden. Technik und Methodik müssen aufeinander abgestimmt werden. Bislang herrscht vielerorts der lehrerzentrierte, analoge Unterricht vor.

Würden Schulen etwa Tele-Unterricht anbieten, müssten das "selbstständige Lernen" und "offenere Lernformen" pädagogisch begleitet und mit den Schülerinnen und Schülern eingeübt werden. Denn wie Hoffmann unterstreicht, sind viele Kinder und Jugendliche derzeit "nicht darauf vorbereitet, die nötige Selbstdisziplin aufzubringen, um selbstständig mit digitalen Medien zu lernen". Zudem komme Tele-Unterricht nicht für alle Altersklassen infrage.

Hoffmann zweifelt an, dass Tele-Unterricht für Grundschüler schon eine praktikable Option sein könne, da die jungen Schülerinnen und Schüler gerade erst Lesen und Schreiben lernen und der direkte Austausch mit den Lehrkräften in dieser Phase sehr wichtig ist.

Für ältere Schülerinnen und Schüler, die schon gelernt haben sich selbst zu organisieren, komme Tele-Unterricht und eine stärkere Digitalisierung des Unterrichts eher infrage. Allerdings komme selbst hier noch die soziale und ökonomische Ungleichheit zum Tragen, welche auch Experten der OECD als ein großes Hindernis für gleichwertige Bildungserfolge sehen.

Kinder aus ärmeren Schichten können häufig weder auf eine entsprechende technische Ausstattung in ihrem Zuhause hoffen, noch genügend Unterstützung durch ihre Eltern erfahren, wenn sie Unterrichtsinhalte nicht gleich verstehen. Wie Ilka Hoffmann zu Bedenken gibt: "Ein Notebook oder andere technische Arbeitsmittel müssen die Familien bisher alleine stellen. Die gibt es nicht vom Staat." Fällt Unterricht aus oder erkranken Kinder, können diese Familien sich auch häufig nicht um ein eigenverantwortliches Nacharbeiten der Lerninhalte kümmern.

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Eine flächendeckende Digitalisierung von Unterrichtseinheiten und mehr digitale Lernmittel würden also mit sich bringen, diese Fälle mitdenken zu müssen und sich Modelle zu überlegen, die Kinder nicht weiter abhängen – besonders dann, wenn ihnen mehr Eigenverantwortlichkeit abverlangt wird.

Hier sieht Hoffmann auch auf Ebene der Schulen große Probleme. Zwar gibt es schon jetzt einige geeignete "Online-Learning"-Tools, aber die Lizenzgebühren sind für Schulen sehr teuer. Ein staatlich initiiertes Tool, um den Lernerfolg unabhängiger vom Klassenzimmer zu machen, ist laut Hoffmann die bundesweite "Schul-Cloud", die zwar schon lange diskutiert wurde, aber nur schleppend und mit einigen Pilot-Schulen aufgebaut wird – und für die immer noch Bring Your Own Device (BYOD) gilt. In der Schul-Cloud sollen Schülerinnen und Schüler Lerninhalte bearbeiten und Lehrende diese auch tagesaktuell bereitstellen können.

Momentan, ergänzt Hoffmann, sei eher zu beobachten, dass Firmen in die Schulen drängen und – in ihrem Sinne – Lerninhalte zur Digitalisierung und Medienkompetenz übernehmen. Aus Sicht der GEW wünschen sich Lehrende aber, dass generell in die Digitalisierung und Medienbildung der Schülerinnen und Schüler investiert wird und Schulen unabhängig von speziellen Firmeninteressen bleiben. Die Digitalisierung des Unterrichts müsse eben umfassend gedacht werden. Dass allerdings Abstimmungsprozesse rund um diesen Themenbereich sehr schleppend und zäh verlaufen können, zeigt unter anderem das lange Gezerre um den 2019 verabschiedeten Digitalpakt. Noch heute werden die Mittel des Digitalpakts nur teilweise von den Ländern abgerufen, weil nötige Medienkonzepte fehlen.

In China hat man derweil nach Ausbruch von SARS-CoV-2 nicht lange gefackelt. Schüler und Studierende in Quarantäne erhalten Zugang zu Lernmaterialien über ein landesweites "E-Learning-Projekt". Das Cloud-Vorhaben wird von zahlreichen großen Unternehmen unterstützt. Sowohl die drei größten Telekommunikationsunternehmen des Landes beteiligen sich an der Umsetzung, als auch Firmen wie Huawei oder Baidu. Neben dem Zugriff auf Lernmaterialien gibt es Live-Sessions, über die Lehrende direkt mit Schülerinnen und Schülern interagieren können. Auch hier gibt es Abstufungen je nach Reifegrad der Kinder. Das Grundschulprogramm wird über das Fernsehen ausgestrahlt, älteren Kindern wird mehr Eigenverantwortung zugetraut. Sie arbeiten selbstständiger mit Hilfe der Cloud.

heise online hat auch das Kultusministerium Niedersachsen zu Tele-Unterricht und anderen technischen Möglichkeiten für die Unterrichtsfortsetzung um Informationen befragt. Antworten auf den eingereichten Fragenkatalog stehen bis jetzt aus. (kbe)