Seuchenschutz – Chance oder Gefahr fürs Klima?

Der Stillstand bei Verkehr und Produktion senkt die Treibhausgas-Emission. Ob das aber auf lange Sicht beim Klimaschutz hilft, gilt nicht als ausgemacht.

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Ist die Seuche eher Chance oder Gefahr für den Klimaschutz?

(Bild: Roschetzky Photography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Teresa Dapp
  • Verena Schmitt-Roschmann
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Die EU-Kommission versichert, man arbeite trotz Corona-Krise weiter am „Green Deal”. Der Plan für ein klimaneutrales Europa 2050 ist das zentrale Projekt von Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Erst vor drei Wochen hat sie ein Klimagesetz vorgelegt, das ihr Mammutprojekt endgültig auf die Spur setzen soll. Aber drei Wochen scheinen schier endlos in Zeiten von Corona. Und es ist längst nicht ausgemacht, ob die Viruskrise den Klimaschutz voranbringt oder lähmt.

„Europa sollte den Green Deal jetzt vergessen und sich stattdessen auf das Coronavirus konzentrieren”, verlangt der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis. Für die polnische Regierung fordert Vizeminister Janusz Kowalski Ausnahmen beim Emissionshandel, um Geld für den Kampf gegen die Corona-Krise frei zu machen. Der AfD-Europapolitiker Markus Buchheit wettert ebenfalls gegen den „ohnehin fragwürdigen” Green Deal. Sie alle argumentieren: Wir haben Wichtigeres zu tun.

In Deutschland gibt es ähnliche Angriffe auf die Klimaschutzpläne der schwarz-roten Koalition, die sich bereits hinter das europäische Ziel gestellt hat. FDP-Politiker fordern, die Erhöhung der Flugticket-Steuer und die für 2021 geplante Einführung des CO2-Preises auf Sprit und Heizöl aufzuschieben. Auch sie begründen das mit der Corona-Krise. Sie waren freilich schon immer dagegen.

Andererseits schafft der Kampf gegen das Virus täglich Fakten – auch für den Ausstoß an Treibhausgasen. Wenn Autos stillstehen, fast keine Flüge mehr gehen, Unternehmen weniger produzieren, hat das natürlich Folgen. Die Denkfabrik Agora Energiewende rechnet kurzfristig mit einem massiven Rückgang bei den deutschen CO2-Emissionen: zwischen 50 und 120 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase.

Das eigentlich schon abgeschriebene deutsche Klimaziel, in diesem Jahr 40 Prozent Kohlendioxid weniger auszustoßen als 1990, scheint wieder erreichbar. Für das Klima ist die Lungenkrankheit Covid-19 – pardon – so etwas wie eine Atempause. Doch das klingt befremdlich in einer Zeit, in der Millionen um ihre Jobs bangen.

Wie stark die Emissionen langfristig sinken, lasse sich noch gar nicht abschätzen, erklärt das Umweltministerium. „In der aktuellen Lage einen Gewinn für den Klimaschutz zu sehen, wäre falsch und zynisch”. Es helfe nichts, wenn Emissionen kurzfristig mit der Konjunktur einbrechen, dann aber wieder nach oben schnellten.

Die Klimaexperten des Wuppertal-Instituts plädieren deshalb dafür, beide Krisen gemeinsam zu sehen und die Gegenmaßnahmen zu verknüpfen. Wirtschaftshilfen und Konjunkturprogramme seien sinnvoll, schreiben die Professoren Manfred Fischedick und Uwe Schneidewind. „Sie dürfen aber nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Finanzielle Unterstützung muss zukunftsgerichtet für dringend notwendige Investitionen erfolgen.” Gemeint sind „grüne” Investitionen.

Die langfristige Umstellung etwa der Stahlindustrie auf klimafreundliche Produktion, abgasarme Autos, neue Heizungen – all das hat sich durch Corona ja nicht erledigt. Umweltschützer mahnen fast täglich, die Konjunkturprogramme „grün” zu gestalten. Nicht die kurzfristigen Hilfen, die Unternehmen vor der Pleite retten sollen, aber das, was danach kommt – Anreize, um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen.

Greenpeace will einen „grünen Marshallplan”, der BUND einen „Green Deal für Deutschland”. Auch der Chef der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, fordert Wachstumspakete für „saubere” Energie. Und die Agora Energiewende warnt: Wenn Investitionen in klimafreundliche Technologien und Ökostrom ausbleiben, schade die Krise dem Klima mehr, als sie vielleicht kurzfristig bringe.

Praktisch lahmt die Klimapolitik aber vorerst sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Die deutsche Arbeitsgruppe zum Ökostrom-Ausbau kommt im Schatten der Pandemie im Streit über Mindestabstände für Windräder nicht ins Arbeiten. In Brüssel tagen Europaparlament und Ministerräte nur in Notformaten. Selbst die EU-Kommission musste zugeben, dass sich die Prioritäten in diesen Tagen verschoben haben.

(fpi)