Klassiker neu gelesen: Der Sandmann

Der Spezialist für Abgründig-Übersinnliches, E.T.A. Hoffmann bringt einen Mensch und eine mechanische Puppe zusammen. Die Thematik hat nicht an Reiz verloren.

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Menschen, die sich in Maschinen ­verlieben, ziehen sich quer durch die ­Geschichte der Science-Fiction. Wer nun glaubt, dies seien Auswüchse einer modernen, technikfixierten Gesellschaft, der kennt die Romantiker schlecht. ­Niemand Geringerer als Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822), sonst eher Spezialist für Abgründig-Übersinnliches, ließ den Studenten Nathanael 1816 in seiner Erzählung „Der Sandmann“ sich in eine mechanische Puppe namens Olimpia verlieben. Nathanael ist zwar mit der klugen und nüchternen Clara verlobt, die ihm bei Bedarf den versponnenen Kopf zurechtrückt, doch diese ist weit weg und kann sich nur brieflich einmischen. Und so verfällt ­Nathanael den Reizen Olimpias:

So flüsterte Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: ,Ach – Ach!‘

,Ja, du mein holder, herrlicher Liebesstern‘, sprach Nathanael, ,bist mir auf­gegangen und wirst leuchten, wirst verklären mein Inneres immerdar!‘

,Ach, ach!‘, replizierte Olimpia fortschreitend.“

Mit einem solch begrenzten Wortschatz kann Nathanael gut leben: „Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diese wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der Anschauung des ­ewigen Jenseits.“

Der Trick funktioniert noch immer. Als Joseph Weizenbaum 1966 „Eliza“ programmierte, gewissermaßen die Mutter aller Chatbots, konnte diese kaum mehr als mechanisch Rückfragen stellen. Trotzdem verwickelte Eliza ihre Nutzer in Gespräche über intimste Geheimnisse. Und noch etwas anderes taucht bei Hoffmann wohl erstmals in der Literaturgeschichte auf: das Captcha, also ein Test zur Unterscheidung von Computern und Menschen. „Um nun ganz überzeugt zu werden, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze“, heißt es bei Hofmann. Auch beobachteten die Menschen, dass Olimpia öfter niese als gähne. Letzteres diene dem „Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks“. Also wurde „in den Tees unglaublich gegähnt und niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen“.

E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann, Reclam, 79 Seiten, 2 Euro (E-Book: 1,99 Euro)

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(jle)