IT-Freiberufler: "Jammern tu ich nicht!"

Alexander Engelhardt ist IT-Freelancer und ohne Auftrag ab April. Hilfe will er keine beantragen und klagen über die Krise auch nicht.

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IT-Freiberufler: "Jammern tu ich nicht!"

Alexander Engelhardt (sitzend) mit einem Kollegen, bevor das Kontaktverbot verhängt wurde.

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Mein Name ist Alexander Engelhardt. Ich bin 33 Jahre und einer von etwa 120.000 Freiberuflern in Deutschland, die ihr IT-Wissen an Unternehmen verkaufen. Die allermeisten von uns haben gut davon gelebt in den jüngsten Jahren, mich eingeschlossen. Ich selbst bin seit drei Jahren dabei. Das war eine wunderbar unbeschwerte Zeit. Ich habe mich oft gefragt: Warum arbeiten IT-Profis festangestellt, wo es einem als Freier doch viel besser geht? Aufträge kann man sich aussuchen und man verdient mehr. Bislang kannte ich nur Vollauslastung.

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Dieser einzige Zustand vermittelte meinem Unterbewusstsein das trügerische Gefühl, dass es immer so weitergehen wird. Ein Wunschgedanke, der sich zur Scheinrealität verfestigte – obwohl jeder weiß, dass auf fette Zeiten magere folgen. Die sind jetzt da und für mich eine harte und die erste Probe darin, ob ich in einer Krise klaren Kopf behalten und ruhig bleiben kann. Oder ob ich an Corona verzweifle.

Schon aufgrund meiner Ausbildung hätte ich wissen müssen, wie wahrscheinlich Krisen sind. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker habe ich Statistik mit Nebenfach Informatik studiert, anschließend in Statistik promoviert. Meine Schwerpunkte als Freelancer sind Data Science und Künstliche Intelligenz. Ich hätte ein Programm schreiben können, das die Wahrscheinlichkeit einer Virus-Pandemie prognostiziert. Nur wollen wir das nicht wahrhaben.

Wir denken in schlüssigen Geschichten, verknüpfen Fakten zu einem stimmigen Bild und nehmen die Vergangenheit als Modell für die Zukunft. So schaffen wir uns eine Welt, in der wir uns zurechtfinden. Aber die Wirklichkeit ist anders. Sie ist chaotisch, überraschend, unberechenbar. Das zusammengefasst steht in einem meiner Lieblingsbücher "Der schwarze Schwan" von Nassim Nicholas Taleb, einem Finanzmathematiker und Börsenmakler.

So wie er uns Menschen beschreibt, hat mein Unterbewusstsein regiert und sich eine glänzende Scheinwelt vorgegaukelt. Zum Glück haben wir auch ein Bewusstsein. Das hat bei mir dafür gesorgt, dass ich Rücklagen gebildet habe für schlechte Zeiten. Die beginnen jetzt wohl für mich.

Ende März hat mein aktuelles Projekt ganz regulär geendet. Ich habe für einen Energieversorger mit an einem Prognosemodell entwickelt, das in einer Vorhersage für mehrere Tage berechnet, wie viel Strom das Unternehmen mit seinen Photovoltaikanlagen und Windrädern wahrscheinlich erzeugen wird. Das ist wichtig, um zu wissen, ob der erzeugte Strom für die Kundschaft reicht, oder ob zugekauft werden muss. An dem Auftrag habe ich eineinhalb Jahre gearbeitet: vier Tage beim Kunden, einen Tag im Homeoffice. Ab Mitte März haben alle Entwickler im Homeoffice gearbeitet. Das läuft bei uns IT-Leuten problemlos, weil wir uns mit der Technik dafür auskennen und als Freelancer bin ich diese Arbeitsorganisation gewohnt.

Selbstverständlich ist die Corona-Krise das zentrale Thema unter uns IT-Freiberuflern, denn jedem von uns ist klar: Wenn es nicht mehr läuft in einer Firma, dann sind wir Externen die ersten, die gehen müssen. Das macht vielen meiner Kollegen Sorgen, bis hin zur Existenzangst. Das weiß ich aus einer Community, in der sich viele IT-Freelancer vernetzt haben und der auch ich angehöre. In der Gruppe wurde sogar ein eigener Kanal angelegt, in dem es ausschließlich um die Pandemie geht. Dort habe ich gelesen, dass manche Unternehmen ihre Mieten und Rechnungen nicht mehr bezahlen. Ich habe noch offene Rechnungen für insgesamt 40 Arbeitstage, also zwei Monatslöhne. Wenn ich darüber nachdenke, dass die nicht bezahlt werden, dann wird mir schon mulmig, vor allem, wenn die Krise noch länger dauert.

Drei Monate kann ich ohne Einkommen überleben. So viel habe ich zur Seite gelegt. Dann müsste ich an die Altersversorgung, was sehr schade wäre. Noch ist es nicht so weit, und meine Fixkosten sind gering, wie bei vielen IT-Freiberuflern. Um arbeiten zu können, genügt ein Schreibtisch mit Laptop und Internetanschluss. Ich habe ein Arbeitszimmer in meiner Wohnung in München und einige Software-Abonnements für Anwendungen, die ich zur Arbeit brauche. Allerdings habe ich keinen Folgeauftrag ab April. Projekte bieten Unternehmen auf unterschiedlichen Plattformen zwar immer noch an, allerdings deutlich weniger. Für mich ist aktuell nichts Passendes dabei.

Wirklich traurig stimmt mich das nicht, denn ich habe die vergangenen drei Jahre nahezu durchgearbeitet. Deshalb würde ich mir gerne mal eine Pause gönnen, um die Wohnung aufzuräumen, Möbel umzustellen und mich beruflich fortbilden, etwa eine neue Programmiersprache lernen. Schön ist es auch, sich einfach mal zurückzulehnen und nichts zu tun. Das fällt mir schwer, jetzt habe ich aber keine Ausrede mehr.