Nichts als die Wahrheit

Verschwörungstheorien haben eine Ursache: Verschwörungen.

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Kennen Sie schon die neuste Verschwörungstheorie? Die Demos gegen die Corona-Auflagen, die jetzt überall im Fernsehen gezeigt werden, und auf denen sich angeblich Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker tummeln – die sind nicht echt. Alles bezahlte Provokateure, die den Leuten Angst machen sollen.

Finden Sie nicht witzig? Ist es eigentlich auch nicht. Ein großer Teil der Erzählungen über den Ursprung von Covid19, die globale Impf-Verschwörung oder die neue Weltordnung, die gerade durch das Internet geistern, sind gradezu erschütternd abstrus. Das schreiben Leute, die offiziell als geschäftsfähig gelten. Die wählen dürfen. Das ist ein Gedanke, der mich zutiefst verstört.

Aber der ganze Fake-News-Sumpf speist sich aus einer tiefer liegenderen Quelle. Und an der Stelle haben wir ein echtes Problem:

Sozialforscher erklären den derzeitigen Boom der Verschwörungserzählungen gerne mit einer Sehnsucht nach "einfachen Antworten", die in Krisenzeiten besonders zunimmt. Dem Wunsch, einen Schuldigen benennen zu können und der Sehnsucht, die eigene Bedeutung durch einen passenden Deutungsrahmen zu erhöhen. Doch die entsprechenden akademischen Erklärungsversuche sind tendenziell gefährlich, denn sie erklären grundlegende Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen recht leichtfüßig für pathologisch.

Weil sie ein Problem ausblenden, das der Schriftsteller Cory Doctorow in seiner Präsentation für die diesjährige Re:Publica gewohnt prägnant zusammengefasst hat (fängt etwa bei 8:56:00 an): "Die Leute glauben nicht an mehr Verschwörungstheorien, weil sie dumm oder faul sind", sagte Doctorow. "Die Leute glauben an mehr Verschwörungstheorien, weil es mehr Verschwörungen gibt".

Das ist natürlich argumentativ ein wenig zugespitzt, denn Doctorow meint keine konspirativen Treffen von Geheimgesellschaften, sondern vielmehr die alltägliche, legale und illegale Einflussnahme von Lobbygruppen auf öffentliche Diskurse und Entscheidungen – im Zuge der Finanzkrise, im Zusammenhang mit der Opioidkrise in den USA, in der laufenden Klimakrise. "Wahrheit kann man kaufen", beklagt Doctorow. Und da hat er Recht.

Es hilft leider nichts, in politischen Fragen auf die Objektivität und Unbestechlichkeit der Wissenschaft zu verweisen. Die historische Erfahrung hat gezeigt, dass sowohl die Wissenschaft selbst als auch Wissenschaftler problemlos zu korrumpieren sind. Was leider auch für öffentliche Entscheidungsträger gilt.

Der Boom an Verschwörungstheorien entsteht aus einem Mangel an Vertrauen in Institutionen. Und in vielen Fällen sind diese Institutionen selbst Schuld daran, denn sie haben das Vertrauen der Öffentlichkeit leichtfertig verspielt (ich sage nur: Kraftfahrtbundesamt und Diesel-Skandal). Es kommt darauf an, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Nur dadurch wird den Verschwörungs-Theoretikern der Boden entzogen. Aber um das zu tun, wird mehr nötig sein, als sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und zu versichern, man gehöre ja immer noch zu der kleinen Minderheit, die ihren Verstand nicht beim Einloggen abgegeben hat.

(wst)