Klassiker neu gelesen: Der Untergang des Abendlandes

Oswald Spengler (1880–1936) war ein Mann voller Widersprüche. Er bewunderte Mussolini, aber verachtete Hitler. Ich habe seinen Klassiker "Der Untergang des Abendlandes" neu gelesen.

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Spengler war wissenschaftlich gebildet, hielt sich aber lieber an gefühlte Wahrheiten. Diese Widersprüche finden sich auch in seinem Hauptwerk "Der Untergang des Abendlandes". Darin behauptet er, jede Hochkultur durchlebe ähnliche Lebensphasen wie ein Mensch – "Jugend, Männlichkeit und Greisentum" – und habe eine Lebensdauer von rund tausend Jahren. Das Ableben der "abendländischen" wähnte er kurz bevor.

Der erste von zwei Bänden erschien 1918, nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Kaiserzeit. Der wuchtige Titel wurde zum geflügelten Wort, das Buch zum Bestseller. Gelesen haben es wohl die wenigsten. Auf mehr als tausend Seiten assoziiert sich Spengler quer durch die Kulturgeschichte, von ionischen Säulen bis zur Quantenphysik. Dabei fallen Sätze wie: "Kausalität ist gewordenes, entorganisiertes, in Formen des Ver­standes erstarrtes Schicksal" – was auch immer das bedeuten mag. Spenglers Methode ist eben eher die des "Erfühlens, nicht des Zerlegens".

Mitunter gelingen ihm trotzdem modern anmutende Einsichten: Die eigene Kultur als Krone der Schöpfung zu betrachten nennt er eine "durch keine Skepsis gezügelte Eitelkeit des westeuropäischen Menschen". Ein Kulturchauvinist war Spengler jedenfalls nicht.

Allerdings treibt er seinen Relativismus sehr weit: "Es gibt keine Mathematik, es gibt nur Mathematiken. Und keine absolute Physik, nur einzelne, auftauchende und schwimmende Physiken innerhalb einzelner Kulturen." Als Beleg dient ihm die "zunehmende Benützung statistischer Methoden, die nur eine Wahrscheinlichkeit der Ergebnisse erstreben und die absolute Exaktheit der ­Naturgesetze ganz aus dem Spiele lassen!" Naturwissenschaften seien, so Spengler, nicht weniger "dogmatisch" und "mythologisch" als Religionen.

Und die ­Relativitätstheorie bezeichnet er als ­"Arbeitshypothese von zynischer Rücksichtslosigkeit", durch astronomische Befunde weder zu bestätigen noch zu widerlegen. Seine eigenen Thesen vertritt er indes mit absolutem Wahrheitsanspruch: Das Vergehen der Kulturen geschehe mit der "unabänderlichen Notwendigkeit eines Schicksals" – ebenso wie der Untergang der Wissenschaft: "Noch in diesem Jahrhundert wird ein neuer Zug von Innerlichkeit den Willen zum Siege der Wissenschaft überwinden. Man will glauben, nicht zergliedern. Die kritische Forschung hört auf, ein geistiges Ideal zu sein."

Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, Anaconda, 1472 Seiten, 9,95 Euro (E-Book: 0,49 Euro)

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(bsc)