Zukunft machen

Frankreich will zusätzliche Milliarden in die Forschung stecken. Geld alleine macht aber noch keinen Fortschritt.

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Mit einer virtuellen Feierstunde – wegen Corona – ist die Montage des Fusionsreaktor ITER feierlich eröffnet worden. Das ist in der Tat ein historischer Moment: Erste Gespräche über ein internationales Konsortium, das gemeinsam einen Fusionsreaktor entwickeln sollte, wurden bereits 1985 geführt. Der ITER-Vertrag wurde 2005 unterzeichnet und die Bauarbeiten im französischen Cadarasche begannen 2007.

Ich will an dieser Stelle aber nicht über Sinn und Unsinn der Fusionsforschung diskutieren. Ich habe vor einigen Jahren mal an einem Artikel zu Privatunternehmen recherchiert, die kleine Fusionsreaktoren entwickeln. Und seitdem bin ich, was die Fusionsenergie angeht, sehr viel optimistischer. Nein, heute geht es mir um etwas anderes: Um die Frage, wie Zukunft gemacht wird.

Denn in Cadarache steht am symbolischen Knopf höchstpersönlich Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron. Der Mann hat schließlich nicht nur ein Gespür für melodramatische Auftritte, sondern will sich selbst auch als Förderer des Fortschritts inszenieren. Und tatsächlich hat die französische Regierung beschlossen, in den nächsten zehn Jahren 26 Milliarden Euro zusätzlich in die Forschung stecken. Das liest sich sehr zukunftsorientiert – und war wohl auch bitter nötig. Denn in diesem Artikel ist zu lesen, dass beispielsweise die Bezahlung für den wissenschaftlichen Nachwuchs 37 Prozent unter dem Schnitt der OECD lag.

Das Echo ist trotzdem eher gemischt. Und ich glaube, das liegt nicht nur daran, dass die 26 Milliarden nicht ausreichen. Eine Zukunftsperspektive wird nicht – nur – mit Geld gemacht. Sie muss auch einen perspektivischen Anteil enthalten. Und der fehlt, und zwar nicht nur in Frankreich.

Ich arbeite zur Zeit an einem Artikel, der sich damit beschäftigt, was die "großen Fragen" in den Naturwissenschaften sind. Sie wissen schon: Was ist Realität? Wie funktioniert das Universum? Wo kommen wir her? Was ist Leben? Was ist Bewusstsein? Diese Dinge. Und natürlich die naheliegende Frage: Wie überleben wir die nächsten hundert Jahre, ohne diesen Planeten völlig vor die Wand zu fahren? Ich bin sicher, dass viele intelligente junge Menschen, die anfangen zu studieren, solche Fragen im Kopf haben. (Ok, das ist vielleicht idealistisch, aber dazu stehe ich jetzt einfach mal). Und was passiert dann? Sie müssen jede Menge Grundlagen lernen: Analysis, lineare Algebra, klassische Mechanik – und so weiter. Zusammenhänge, Visionen, große Fragen kommen da nicht vor. Spätestens wenn sie fertig sind mit dem Studium hat ihnen die "höhere Bildung" derlei Flausen erfolgreich ausgetrieben.

Deswegen war das Silicon Valley so erfolgreich. Auch wenn es jetzt ein bisschen in der Krise ist. Weil es da noch große Visionen gab. Klar, oft genug geprägt von naivem Solutionismus, aber die Brins und Musks dieser Welt wollen wenigstens noch was verändern – nicht nur den Antrag für das nächste Forschungsprojekt durchkriegen, auf die nächste Vertragsverlängerung hoffen, und die nächste Gremiensitzung vorbereiten. Und genau solch einen Geist würde ich mir auch wieder für die viel gerühmten europäischen Universitäten wünschen. Geld alleine wird das aber nicht bewirken – auch wenn es bitter nötig ist. Das braucht tiefgreifende Veränderungen. Früher hat man das mal Reformen genannt. Bevor die Bedeutung dieses Wortes komplett verhunzt worden ist.

(wst)