Umwelt: Trinkwasser mit Nebenwirkung

Antibiotika, Antidepressiva und Schmerzmittel spült die Pharmaindustrie in den Rhein und damit ins Trinkwasser. Kostspielige neue Klärstufen sollen es richten.

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Umwelt: Trinkwasser mit Nebenwirkung

(Bild: Ded Mityay/Shutterstock)

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Von
  • Susanne Donner

Noch knapp hundert Kilometer stromabwärts konnte Heinz Singer von der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz Medikamente im Rhein nachweisen, die eine Schweizer Arzneimittelfabrik aus ihren Anlagen laufen lässt. 25 unterschiedliche Arzneistoffe, darunter eine Substanz, die in der Schweiz gar nicht zugelassen ist. Die Gehalte im Ablauf der Industriekläranlage lagen zehnmal so hoch wie in einer vergleichbaren Kläranlage für Haushaltsabwässer. Unter den Stoffen waren Opioide, Antibiotika, Diabetesmedikamente und Antidepressiva. Brisant: Aus den Uferfiltraten des Rheins stammt das Trinkwasser für rund 22 Millionen Bürger. "Eine einzige Industrieanlage kann diese Trinkwasserressource beeinträchtigen", warnt der Schweizer Gewässerspezialist aus Dübendorf und fügt hinzu: "Wir haben die Industrie in den letzten Jahren aus dem Blick verloren und zu sehr im Glauben gelebt, dass das Wasser ja sauber sei."

Grenzwerte für Schadstoffe im Wasser gibt es jedoch kaum, und auch in welchen Konzentrationen sie giftig wirken, ist meist gar nicht untersucht – von Langzeiteffekten ganz zu schweigen. Im Anhang der Wasserrahmenrichtlinie stehen gerade einmal 40 sogenannte prioritäre Stoffe, für die ein Limit gilt. Unter den 40 sind wenige Sexualhormone und Antibiotika – die meisten sind keine Arzneien.

TR 10/2020

Für die Wasserwerke wird dieser bunte Mix aus Medikamenten zunehmend zum Problem, denn sie können die Spurenstoffe kaum filtern. Dann gelangen sie mit dem Trinkwasser in die Haushalte. Mehrmals im Jahr erhalten die Wasserwerke am Rhein Warnungen, weil das Wasser des Flusses zu stark mit einer Substanz belastet ist, sodass sie die Wassergewinnung stoppen müssen, bis die Schadstofffracht vorübergezogen ist. 2017 gab es zweimal einen entsprechenden internationalen Alarm an alle Rhein-Anrainerstaaten. 13-mal gingen regionale Warnungen hinaus. Und die Spurenbelastung in Gewässern hat in der Tendenz in den letzten Jahren zugenommen.

Klar ist: Die Medikamente müssen aus dem Trinkwasser. Die momentan favorisierte Lösung – weil sie als einzige überhaupt ausreichend breit wirksam ist – ist eine End-of-Pipe-Lösung: die vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen. Das Wasser wird dann nach dem bisher üblichen Klärprozess noch einmal über Aktivkohle geleitet und mit Ozon behandelt. In der Schweiz bekommen die hundert größten und bedeutsamsten Stationen gegenwärtig einen solchen Ausbau.

Auf Anordnung der städtischen Umweltbehörde müssen die Berliner Wasserwerke ebenfalls ihre Kläranlagen Schritt für Schritt aufrüsten: Bis 2021 soll das größte Klärwerk der Hauptstadt bei Berlin-Schönerlinde eine vierte Reinigungsstufe erhalten. 20 Millionen Euro veranschlagen die Manager dafür und erwarten, dass das nur eine Etappe ist und nachfolgend alle sechs Klärwerke bei Berlin damit ausgestattet werden. Die Belastungen des Wassers sind legal – den mit der Technik steigenden Preis für das Trinkwasser zahlen also die, die den Wasserhahn öffnen.

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