Impfstoff gegen Covid-19 im Selbstbau

Eine kleine US-Forschergruppe will nicht auf einen zugelassenen Impfstoff gegen Covid-19 warten und hat schnell selbst einen gemixt. Kann das gut gehen?

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Gesundheit: Selbstgemixter Covid-19 Impfstoff

(Bild: Alex Hoekstra)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Antonio Regalado

Etwa 200 Covid-19-Impfstoffe werden gerade entwickelt, über 30 werden gerade klinisch am Menschen erprobt. Einer kleinen, prominent besetzten Gruppe von US-Forschern geht das nicht schnell genug. Sie haben die "bürgerwissenschaftliche" Impfstoff-Initiative "Rapid Deployment Vaccine Collaborative" oder kurz "Radvac" ins Leben gerufen.

Um die Gründer Preston Estep, Don Wang, Alex Hoekstra und Ranjan Ahuja scharten sich weitere Forscher, Technologen oder Wissenschaftsenthusiasten, von denen viele mit der Harvard-Universität und dem Massachusetts Institute of Technology verbunden sind. Sie alle testen freiwillig die Do-it-yourself-Impfung gegen das Coronavirus. Unter ihnen ist auch der Rockstar der Genetik, Harvard-Forscher George Church. Er hat Anfang Juli zwei Impfstoffdosen von Estep im Abstand von einer Woche in seiner Nase zerstäubt. Die Bestandteile waren im Briefkasten, mischen musste er selbst.

Im März kam die Initiative mit einer E-Mail von Estep in Gang. Er stellte die Frage in den Raum, ob ein Do-it-yourself-Projekt schneller einen Impfstoff entwickeln könnte als in den vorausgesagten 12 bis 18 Monaten. Nach seiner Einschätzung waren "bereits genügend Informationen über das Virus veröffentlicht worden, um ein unabhängiges Projekt zu starten.

Die Gruppe arbeitet in gemieteten Labors mit Zutaten aus dem Versandhandel. Ihr Ziel: Eine einfache Formel, die sich mit leicht erhältlichen Materialien herstellen lässt. Auch die Impfgabe selbst sollte einfach sein – und ohne Spritze funktionieren. Sie entwickelten eine Rezeptur, die die Nasenschleimhaut passieren kann und das Impfen mit einem Nasenspray möglich macht.

TR 10/2020

Anfang Juli veröffentlichte Radvac dann ein Dokument, in dem die Gruppe den Impfstoff detailliert beschrieb und das jeder kopieren konnte. Ohne Tests. Ohne Beweise. Dennoch hat die Radvac-Gruppe den Impfstoff einem immer größer werdenden Kreis von Freunden und Kollegen angeboten. Estep hat inzwischen den Überblick verloren, wie viele Menschen genau den Impfstoff eingenommen haben.

Die Gruppe beruft sich auf eine unter Impfwissenschaftlern lange Tradition: den Selbstversuch, um schnell und billig an erste Daten zu gelangen. Das Radvac-Projekt sprengt jedoch den Rahmen des klassischen wissenschaftlichen Selbstversuchs, denn die Mitglieder haben begonnen, ihre Arbeit publik zu machen und Bekannte zu kontaktieren, um sie zur Teilnahme zu ermutigen. Das ist sehr dünnes Eis, denn die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA – und auch alle anderen weltweiten Zulassungsbehörden – haben nicht grundlos strenge Regeln für die Erprobung neuartiger Medikamente.

Die Radvac-Gruppe hat jedoch nicht einmal Anträge gestellt und bestreitet die Zuständigkeit der FDA, weil die Mitglieder der Gruppe den Impfstoff selbst mischen, sich selbst verabreichen und kein Geld den Besitzer wechselt. Der Übergang zu einer ungenehmigten Impfstudie ist fließend. Und sie wiegt die Teilnehmer in falscher Sicherheit. Denn unabhängig davon, ob die FDA dem Treiben der Gruppe einen Riegel vorschiebt, verändert der Do-it-yourself-Impfstoff für Covid-19 bereits die Einstellung derer, die ihn eingenommen haben.

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