Analyse: Nvidias Angriff auf den ARM-Markt – und sich selbst

Mit der Übernahme von ARM und Mellanox hat Nvidia alles in der Hand, um die Server der Zukunft zu gestalten. Es lauern aber Probleme, analysiert Nico Ernst.

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Analyse: Nvidias Angriff auf den ARM-Markt - und sich selbst

(Bild: Nvidia)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Ernst
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Jensen Huang steht kurz vor dem Ziel: Seit den frühen 2000er Jahren hat der Nvidia-Mitbegründer immer wieder betont, nicht nur bei GPUs, sondern auch bei CPUs ganz oben mitspielen zu wollen. Ein erster Hinweis waren die NForce-Chipsätze für AMD- und später Intel-Prozessoren, dieses Geschäft gab das Unternehmen aber schnell wieder auf. Mit einer x86-Lizenz, die wesentlich von Intel vergeben werden müsste, wurde es dann nichts. Dann kam Tegra, und als einer von vielen ARM-Lizenznehmern baut Nvidia seitdem unter anderem SoCs für autonomes Fahren und die Nintendo Switch. Der ganz große Durchbruch, wie etwa Intels langsame Übernahme des Servermarktes seit den 1990er Jahren, blieb Huang aber verwehrt.

Eine Analyse von Nico Ernst

Nico Ernst schreibt seit über 20 Jahren über IT-Themen und gelegentlich auch über Musik. Hardware, Fotografie, Wirtschaft und Netzpolitik sind seine bevorzugten Themen. Da er mit ZX81, C64 und Atari VCS aufwuchs, kann er sich auch einem gelegentlichen Spiel noch immer nicht entziehen.

Nun will sich Nvidia, selbst Chipentwickler, einen weiteren Chipentwickler kaufen. Der funktionale Unterschied der beiden Firmen liegt im Endprodukt. ARM ist eine reine Ideenschmiede, welche Designs entwickelt, sie aber nur zu Testzwecken auch in kleinen Mengen herstellen lässt. Nvidia dagegen designt seine Bausteine, lässt sie in den Chipfabriken von Samsung und TSMC bauen, und verkauft sie an Hardwarehersteller – bisweilen auch in vollständigen Produkten, wie bei Grafikkarten. Noch weiter gehen in diesem Geschäft Firmen wie Intel, die auch eigene Chipfabriken besitzen.

Sollten die Wettbewerbshüter dem 40-Milliarden-Deal zustimmen, wäre Nvidia in wenigen Monaten der größte Prozessorentwickler der Welt. Die ARM-Architektur steckt heute in Milliarden von Geräten, als Mikrocontroller für Waschmaschinen, in sämtlichen modernen Smartphones, vielen Servern – und bald auch in Apples Macbooks. Allein 2019 wurden laut Huang 22 Milliarden ARM-SoCs weltweit eingebaut. Rein wirtschaftlich kann ein Chipentwickler wie Nvidia nichts Besseres tun, als sich über das Lizenzmodell von ARM kontinuierliche Einnahmen zu sichern. Weiterentwickeln muss Nvidia die Technik ohnehin, schon allein aus eigenem Interesse. Immerhin konnte man erst im April 2020 die Übernahme von Mellanox abschließen, was 7 Milliarden US-Dollar kostete. Die Technik der Interconnect-Spezialisten im Haus zu haben ergibt nur Sinn, wenn dessen CXL-Verbindungen sich in Rechenzentren auch durchsetzen – dafür braucht es auch immer leistungsfähigere Prozessoren, die nun eben mit ARM-Technik gebaut werden sollen.

Dabei ist Nvidia aber nicht allein, auch Riesen wie Amazons AWS und Fujitsu haben konkurrenzfähige Serverplattformen mit ARM im Programm. Der Vorteil des Geschäftsmodells von ARM liegt ja gerade daran, dass jedes Unternehmen Lizenzen erwerben kann, um aus einem Baukastensystem anwendungsspezifische Chips zu entwickeln. Eine Stufe weiter geht die Architekturlizenz, die Änderungen an den Cortex- und anderen Kernen erlaubt, was beispielsweise Apple schon seit langem macht. Bei den A-SoCs für iPhone und iPad hat man sogar die schnellste GPU für mobile Geräte. Das ist ein Umstand, den der Grafikkönig Nvidia sicher nicht besonders lustig findet.

Die eigenen Angebote weiterzuentwickeln bringt Nvidia also automatisch in Konkurrenz mit den bisherigen Lizenznehmern, die auf einen Schlag Kunden von Nvidia werden. Natürlich ist das auch Jensen Huang klar, der sich in einer Telefonkonferenz zur Übernahme sehr sanftmütig zeigte: Das Geschäftsmodell um ARM solle weiterhin "offen und fair" gepflegt werden. Nur: Wie viel sind solche Versprechen noch wert, wenn es beispielsweise in zwei Jahren bei Samsung darum geht, die Wahl zwischen einer selbst optimierten Mali-GPU oder einer neuen mobilen Geforce zu treffen? Wenn es noch dazu, rein hypothetisch, den dann aktuellen Cortex-Kern nur im Bundle mit der Geforce gibt, ist Nvidia ganz schnell in der Situation, die Intel schon mehrfach Ärger mit den Wettbewerbsbehörden eingebracht hat. Milliardenstrafen und Imageverlust inklusive.

Wie rücksichtslos Nvidia mit seinen Kunden umgehen kann, zeigt die bei den Spiele-Grafikkarten seit bald drei Generationen gepflegte "Founders Edition". Während andere Chipentwickler ihre Referenzplattformen nur bauen, um Drittfirmen die Entwicklung zu erleichtern und Werbung für die Bausteine zu machen, verkauft Nvidia seine neuen Grafikkarten inzwischen für eine bestimmte Zeit nur selbst – und zwar zu sehr aggressiven Preisen. Solche Taktiken kann man sich aber im Serverumfeld und bei den mobilen Geräten kaum leisten, die Macht der direkten Kunden ist hier viel größer.

Jensen Huang sprach in der erwähnten Konferenz daher bereits von drei Optionen: ARM-Interessenten können weiterhin aus dem Baukasten selbst Chips entwickeln, bei Nvidia Custom-Designs erstellen lassen, oder das SoC gleich direkt von Nvidia kaufen. Letztere Möglichkeit muss jene, die bereits viel Knowhow in die Entwicklung gesteckt haben, alarmieren – zumal Nvidia über seine Erfahrungen mit Chipfertigern auch die Herstellung gut und günstig anbieten kann. Die zweitgenannte Option ist dagegen wesentlich eleganter, sie hat zum Überleben von AMD vor den Zen-Architekturen beigetragen, denn als Semi-Custom-Chips entwickelt das Unternehmen seit der letzten Generation die Bausteine für Xboxen und Playstations.

Kluges Taktieren beherrscht Nvidia durchaus, wie der Blick auf die kommende Geforce-Generation zeigt: Zum gleichen Preis die Leistung zu verdoppeln und generell das Preisniveau wieder auf das der Vor-Vor-Generation zu bringen ist genau das, was die Kunden sich wünschten. Jensen Huang bezeichnete in einer anderen Telefonkonferenz die anfänglichen Verkaufszahlen der RTX-2000-Generation als "Tritt in den Hintern". Schnell auf solche Signale aus dem Markt zu reagieren, gehört eben auch zur Stärke von Nvidia.

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Dazu kommt die Innovationskraft des Unternehmens, das auch langfristige Investitionen nicht scheut. Bestes Beispiel ist CUDA, eine Softwareumgebung für Allzweckberechnungen auf GPUs. Hier hat Nvidia mit viel Geld und langem Atem einen Standard für GPUs in Rechenzentren geschaffen, als viele Konkurrenten noch nicht an einen dauerhaften Erfolg für GPU-Computing glauben wollten. Anders als etwa Intel, die noch vor dem Mobilboom ihre XScale-Prozessoren an Marvell verkauften. Die basierten übrigens auf ARM.

Bei Intel muss in diesen Tagen auch die größte Alarmglocke läuten, und zwar so deutlich, dass man das auch im einen Steinwurf von der Intel-Zentrale entfernten Nvdidia-Hauptquartier in Santa Clara hört: Sollte Nvidia das Geschäft mit den mobilen ARM-SoCs so ruhig weiterführen wie skizziert, kann das eigene Business mit ARM nur über den Servermarkt wachsen. Und hier ist Intel noch immer unangefochten führend, nach Stückzahl wie Umsatz. Zwar wird Nvidia nach der Übernahme nach Stückzahl über alles gesehen zum Prozessorprimus – langfristig wirtschaftlich erfolgreich kann das Unternehmen aber nur sein, wenn es dem Markt nicht wie bei den Geforces seine eigenen Regeln aufdrücken will.

Klappt das nicht, muss man nicht gleich wie Charlie Demerijan von Semiaccurate das Ende von ARM ausrufen. Nvidia kann den Chipentwickler ja jederzeit wieder verkaufen und muss dazu gar nicht weit fahren, um die Verträge vorzulegen: In Cupertino würde man sich sicher sehr freuen. Vielleicht ist Tim Cook aber schon so weit, dass er sich irgendwann ganz unabhängig von Lizenzen macht. Ein Weckruf für die ganze Branche ist Nvidias Übernahme von ARM aber allemal: Faire Konkurrenz kann Kunden wie Partnern nur nutzen. Alles andere nicht.

(mho)