QAnon: Die Gefährlichkeit absurder Geschichten

Die populärste Verschwörungserzählung findet derzeit bei Demos gegen die Corona-Maßnahmen Verbreitung. Wie gefährlich ist "QAnon"?

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QAnon: Die Gefährlichkeit absurder Geschichten

(Bild: leungchopan/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Alexandra Stober
  • Sebastian Fischer
  • dpa
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Auf den ersten Blick muten sie harmlos an: bunte Fähnchen mit dem Buchstaben Q. Zahlreich zu erblicken auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in den vergangenen Wochen. Und sicher auch wieder am Wochenende in Konstanz, wenn Zehntausende Menschen zu einer Menschenkette um den Bodensee und zahlreichen Demos auch gegen die Corona-Politik erwartet werden. Q steht für Querdenken, ja. Doch das ist nicht die einzige Bedeutung dieses Buchstabens: "Q" ist auch der Name des Urhebers der übergreifenden Verschwörungserzählung "QAnon", die in den USA ihren Anfang nahm.

Der Sektenexperte Matthias Pöhlmann beobachtet die Proteste hierzulande seit deren Beginn, war selbst bei einigen vor Ort. Er hat den Eindruck, dass mancher darauf aus sei, eine Verbindung zwischen der QAnon-Bewegung und den Querdenkern herzustellen. "Bei den Demos werden diese Fahnen verteilt", erzählt er, "und viele wissen gar nicht, was sich dahinter verbirgt". Man müsse unbedingt einen Blick auf diese Entwicklung haben, gehe es doch bei QAnon um antidemokratische und zum Teil antisemitische Überzeugungen, so Pöhlmann, der Sektenbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist.

Die Verschwörungserzählung von "Q" ist relativ neu: Sie wird seit 2017 verbreitet, ursprünglich auf 4Chan, wo man anonym und quasi ohne Einschränkungen Beiträge posten kann. Und sie geht so: "Q", ein angeblicher Mitarbeiter oder eine Gruppe aus der Regierung, bringt regelmäßig Geheiminformationen über Kriminelle aus Politik, Finanzwesen und Showbusiness ans Licht. Grundlegend geht es darum, dass hinter allem, was auf der Welt passiert, eine Clique, ein Geheimbund die Fäden in der Hand hält – der "Tiefe Staat" ("Deep State"). Dieser wolle eine "Neue Weltordnung" ("New World Order") durchsetzen, eine Art globale Regierung zur Unterjochung der Menschheit.

QAnon-Anhänger sehen sich indes selbst als Elite; nur wer ihre Codes kennt, gehört dazu. Am häufigsten ist das Kürzel "WWG1WGA" zu finden, das Zusammengehörigkeitsmantra "Where We Go One, We Go All" – sinngemäß: Einer für alle, alle für einen. "Dieses Rätselraten und Basteln macht für viele einen großen Reiz aus. Man puzzelt an der großen Verschwörungserzählung mit, ist daran beteiligt", erläutert Pöhlmann. "Man zählt sich zu den Erwachten." Apropos erwacht: QAnon habe für viele ersatzreligiöse Funktionen, so der Experte. Es gebe etwa typisches Schwarz-Weiß-Denken, und auch apokalyptische Motive spielten eine Rolle. "Ich spreche bei QAnon gerne von einem versekteten Verschwörungsglauben."

Und ihr Messias ist: Donald Trump. QAnons glauben, der US-Präsident rette die Welt vor einem satanischen Kult aus Pädophilen und Kannibalen. Immer wieder verbreiten sie vollkommen an den Haaren herbeigezogene Mythen über vermeintliche Befreiungsaktionen, die angeblich aus dem Oval Office in Auftrag gegeben werden. Trump wiederum hat offenbar kein Problem damit, von der Bewegung vereinnahmt zu werden. Im August etwa ließ er die Gelegenheit verstreichen, sich von den Verschwörungsgläubigen zu distanzieren: "Ich habe gehört, dass es Leute sind, die unser Land lieben."

Eine massive Untertreibung. Denn die QAnon-Lügen sind anschlussfähig für Demokratiefeinde, Rechtsextreme und Antisemiten; in Deutschland stehen der Bewegung auch radikale Reichsbürger, christliche Fundamentalisten und Esoteriker nahe. Man müsse sehr genau beobachten, ob das enorme Hasspotenzial von einzelnen nicht möglicherweise zu Gewaltausbrüchen führen könne, so Pöhlmann. Die US-Bundespolizei hatte abseitige Verschwörungstheorien intern bereits 2019 als inländische terroristische Bedrohung eingestuft.

Wissenschaftliche Studien stützen diese Befürchtung: Der Glaube an Verschwörungserzählungen geht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einher, Gewalt zu befürworten oder gar selbst gewalttätig zu werden. "Verschwörungserzählungen können dazu dienen, Gewalt gegen andere zu legitimieren, und sie schirmen gleichzeitig die eigene Gruppe gegen Kritik ab", fassen Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem jüngst erschienenen Buch "Fake Facts" zusammen. Bunte Fähnchen und krude Geschichten dürfen also nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter häufig antidemokratische Tendenzen stecken, die alles andere als harmlos sind.

(mho)