Bundesregierung hat Telegram als extremistisches Auffangbecken im Visier

Als Schaltzentrale für Anti-Corona-Demonstrationen will die Bundesregierung Telegram zwar nicht bezeichnen, dort sammelten sich aber zunehmend Extremisten.

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(Bild: Shutterstock.com / weedezign)

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Die Bundesregierung hat "Ausweichbewegungen" festgestellt, wonach Personen, deren Konten auf YouTube, Facebook oder Instagram gelöscht wurden, vermehrt zu Telegram wechseln. Der Messenger-Dienst werde etwa von der rechtsextremistischen Szene unter anderem dafür genutzt, sich zu vernetzen, zu koordinieren und propagandistische Inhalte auszutauschen.

"Rechtsextremisten nutzen grundsätzlich die verschiedensten Arten von Plattformen", schreibt die Regierung in einer jetzt veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. Dabei sei eine "Tendenz zu einer stärkeren Absicherung in der Szene festzustellen". Insbesondere würden Messenger-Dienste genutzt, die – wie Telegram – eine "Ende zu Ende-Verschlüsselung" anböten.

Solche Chat-Services können laut dem federführenden Bundesinnenministerium "grundsätzlich als Ausweichmedium genutzt werden, wobei jedoch die unterschiedlichen Nutzungszwecke der einzelnen Dienste zu berücksichtigen sind". Im Bereich des islamistischen Terrorismus sei ein vermehrter Wechsel von Konten hin zu Telegram nicht festzustellen, da der Anbieter seit Ende 2019 selbst massiv dschihadistische Kanäle und Gruppen lösche.

Nach Ansicht der Liberalen hat sich Telegram in den vergangenen Monaten zunehmend zu einer Plattform für Rechts- und Linksextremisten, Verschwörungstheoretiker sowie Reichsbürger entwickelt. Darauf ließen sich mit einfachen Suchanfragen Drogen, Waffen und gefälschte Dokumente finden. Die wachsende Attraktivität des Dienstes innerhalb der extremistischen Szene werde dadurch beflügelt, "dass der Betreiber die von Nutzern gemeldeten Inhalte kaum löscht". Die Anonymität und die hohe Anzahl gleichgesinnter Personen in solchen Gruppen heizten das Radikalisierungspotenzial junger Menschen an.

"Die Sicherheitsbehörden sichten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit und im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen Aktivitäten extremistischer Akteure auf Telegram", betont die Regierung. "Werden in diesem Zusammenhang gefährdungs- oder strafrechtlich relevante Sachverhalte festgestellt, werden die jeweils erforderlichen Maßnahmen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen getroffen."

Keinerlei Auskunft will das Innenressort aber auf die Frage erteilen, ob der Exekutive extremistische Aktivitäten einzelner Gruppen wie Combat18, Feuerkrieg, Iron March, Terrorwave refined oder Atomwaffen-Division bekannt sind. Antworten dazu könnten "aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen, da Arbeitsmethoden, Vorgehensweisen und Aufklärungsprofile der Sicherheitsbehörden des Bundes im Hinblick auf deren künftige Aufgabenerfüllung besonders schutzbedürftig sind". Daher scheide selbst die Option aus, einschlägige Angaben bei der Geheimschutzstelle des Bundestags zu hinterlegen.

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Derzeit würden verschiedene Telegram-Kanäle und Gruppen durch das Bundeskriminalamt (BKA) regelmäßig gesichtet, lässt sich die Regierung noch entlocken. Aufgrund der hohen Dynamik könne eine genaue Anzahl nicht genannt werden. Die QAnon-Bewegung beobachte das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht direkt. Rechtsextremisten sowie "Reichsbürger und Selbstverwalter", die der QAnon-Theorie anhingen, würden vom Inlandsgeheimdienst aber nach Recht und Gesetz in den Blick genommen.

Bekannt sei, dass auf Telegram volksverhetzende Beiträge, Anleitungen zum Bau unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen und anderer Tatmittel, Verschwörungserzählungen mit antisemitischen Aspekten, offene Aufrufe zu Gewalt sowie "Kinderpornografie" teils in großer Zahl kursierten, berichtet die Exekutive. Bei terroristischen Inhalten sei das BKA dagegen auch in Kooperation mit Europol mit gezielten Löschaufforderungen vorgegangen, denen "entsprochen" worden sei.

Dass Linksextremisten Telegram für potenziell rechtswidriges Treiben nutzen, hat die Regierung bislang nicht festgestellt. Es lägen auch keine Erkenntnisse vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Dienst zur "Hauptorganisationsstruktur" für Anti-Corona-Demonstrationen geworden sei.

Telegram sorgte dieses Jahr vor allem für Schlagzeilen, weil es sich Verschwörungserzähler wie der Vegankoch Attila Hildmann, der Sänger Xavier Naidoo und der Frontmann der Identitären Bewegung, Martin Sellner, zur Bühne erkoren. Sie verbreiten darüber krude Thesen gegen die "Corona-Diktatur" und rufen zu Aktionen auf, die sich oft zumindest in juristischen Graubereichen bewegen. Anfang Oktober wechselte auch der Schlagersänger Michael Wendler vorübergehend von den "zensierten" Plattformen Facebook und Instagram zu Telegram. Der Bundesregierung warf er dabei in der "angeblichen Corona-Pandemie" schwere Verstöße gegen die Verfassung vor. Fernsehsender machten sich mitschuldig.

Kritiker wie Anna-Lena von Hodenberg von der Hilfsorganisation HateAid fordern seit Längerem, dass Dienste wie Telegram unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz fallen und so stärker reguliert werden sollten. Bisher betrifft das Normenwerk nur Anbieter, die Plattformen mit Gewinnerzielungsabsicht betreiben. Dazu kommt eine Schwelle von mindestens zwei Millionen Nutzern.

(tiw)