Terrorbekämpfung und Verschlüsselung: EU-Rat forciert umstrittene Crypto-Linie

Die EU-Innenminister betonen, dass sich die Mitgliedsstaaten "mit der Frage der Datenverschlüsselung" beschäftigen und den Behörden Zugang verschaffen müssen.

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(Bild: wk1003mike/Shutterstock.com)

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Trotz massiver Proteste aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik halten die EU-Innenminister an dem Plan fest, die Beihilfe von Dienstanbietern wie Apple, Facebook, Google, Threema, Signal oder WhatsApp zum Entschlüsseln zu fordern. In ihrer gemeinsamen Erklärung zu den jüngsten Terrorattacken etwa in Wien, Paris, Dresden und Nizza betonen sie, dass sich die Mitgliedsstaaten "mit der Frage der Datenverschlüsselung beschäftigen müssen".

Die zuständigen Behörden müssten imstande sein, "digitale Beweise" im Einklang mit den Gesetzen zu sammeln und zu verwerten, heißt es in dem Abschlusskommuniqué des informellen, per Video übertragenen Treffens der Innenminister am Freitag, das die Bürgerrechtsorganisation Statewatch vorab veröffentlicht hat. Polizei und Geheimdienste sollen also Zugang zu ausgetauschten Nachrichten im Klartext bekommen.

"Die Vertrauenswürdigkeit der auf der Verschlüsselungstechnologie basierenden Produkte und Dienstleistungen muss gewahrt bleiben", haben die Ressortchefs zwar noch hinzugefügt. Wie dies möglich sein soll angesichts der geforderten Zugriffsmöglichkeiten, bleibt aber offen.

Weitere Hinweise auf den verfolgten Kurs ergeben sich aus einem ebenfalls geleakten Entwurf der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für eine Erklärung zur polizeilichen Zusammenarbeit, die die Innenminister Anfang Dezember bei ihrer offiziellen Konferenz verabschieden wollen. Das Gremium soll demnach erneut unterstreichen, dass "der rechtmäßige Zugang" zu verschlüsselten Daten "für Strafverfolgungs- und Justizzwecke erhalten bleiben muss".

Die Ressortleiter wollen sich dabei direkt auf die parallel geplante, gesonderte Erklärung zu "Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung" beziehen, die scharf kritisiert wird. Verschlüsselung sei "ein Anker des Vertrauens in die Digitalisierung" und sollte gefördert und weiterentwickelt werden, versucht die Bundesregierung in dem zweiten Dokument nun zu beschwichtigen. Kryptographie sei "ein Mittel zum Schutz der Privatsphäre sowie der digitalen Sicherheit von Regierungen, Industrie und Gesellschaft".

Daneben hebt die Ratsspitze hervor, dass "jede Maßnahme diese Interessen sorgfältig gegeneinander abwägen" müsse. Zugleich hält sie aber an der Notwendigkeit fest fest, "in einem engen Dialog mit der technologischen Industrie nach technischen Lösungen für den rechtmäßigen Zugang zu verschlüsselten Daten" zu suchen. Für viele Beobachter ist damit klar: Es geht um einen General- oder Nachschlüssel zur elektronischen Kommunikation, Hintertüren oder die Beihilfe zum Einsatz von Staatstrojanern, um Verschlüsselung zumindest zu umgehen.

Der Gegenwind gegen eine solche Position wird derweil stärker. "Terrorismus und andere Formen schwerster Kriminalität müssen konsequent bekämpft werden können", konstatiert etwa Susanne Dehmel aus der Geschäftsleitung des IT-Branchenverbands Bitkom. "Hintertüren in Kommunikationsdiensten können dafür aber nicht die Lösung sein. Wer Verschlüsselungen aufweicht, schwächt die IT-Sicherheit insgesamt." Kriminelle würden zudem auf Dienste ausweichen, "die mit EU-Gesetzen nicht zu erreichen sind". Vor allem brauche es daher "mehr qualifizierte Mitarbeiter in Behörden, die im digitalen Raum ermitteln können"

.

Der Ministerrat strebe "praktisch ein Verbot von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung" und damit eines elementaren Bausteins der vertrauenswürdigen digitalen Gesellschaft, moniert das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF). Die erwähnte "Balance" sei ein Trugbild: "Es ist schlicht mathematisch unmöglich, Verschlüsselung zugleich tatsächlich sicher und behördlich abhörbar zu gestalten." Aus kryptographischer Sicht gebe es keine "guten" oder "schlechten" Angreifer.

Die europäische Politik falle angesichts der Terroranschläge "in alte Muster zurück", beklagt Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. "Noch mehr anlasslose Überwachung soll die Antwort sein." Gerade der Angriff auf die Verschlüsselung und den Datenschutz sei aber hochproblematisch. "Ein Generalschlüssel zur Überwachung von Chats ist ein Werkzeug, von dem Diktatoren träumen. Auch russische Hacker werden sich über die Arbeitserleichterung freuen."

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko betonte: "Die Verschlüsselung digitaler Kommunikation ist kein Nachteil, sondern eine Errungenschaft." Die deutsche, von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ausgehende Initiative sei "ein Generalangriff auf die inzwischen weit verbreitete sichere Telekommunikation".

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In ihrem Papier vom Freitag drängen die Innenminister zudem darauf, soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube im Kampf gegen den Terrorismus stärker zu regulieren. Dazu müsse die seit Langem umstrittene Verordnung zum Löschen terroristischer Inhalte binnen mindestens einer Stunde bis spätestens Ende des Jahres stehen, mit der ein Einsatz von Upload-Filtern verknüpft wird. Bei Online-Spielen und der Verstärkung etwa von Filterblasen durch Algorithmen sollte die Selbstregulierung ausgebaut werden.

Der EU-weite Austausch von Informationen über "Gefährder" sei sicherzustellen, geht aus der Stellungnahme auch hervor. Die Vorratsdatenspeicherung stelle ebenfalls ein wichtiges Instrument dar. Laut dem vorbereiteten Dokument zur Polizeikooperation sollen die Strafverfolgungsbehörden in den Mitgliedstaaten zudem Künstliche Intelligenz (KI) nutzen, "um die Prävention zu verbessern und die Ermittlungen zu erleichtern sowie die Opfer von Verbrechen zu schützen".

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(jk)