Kampf gegen Infodemie: Die Viralität irreführender Inhalte einschränken

Das Forum für Information und Demokratie will Facebook & Co mehr Transparenzpflichten auferlegen. Behörden sollen Qualitätsstandards durchsetzen.

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(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

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Während der Coronavirus-Pandemie und der US-Wahlen haben sich irreführende Informationen im Internet rasant verbreitet. Um diese "Infodemie" einzudämmen, hat das Forum für Information und Demokratie 250 Empfehlungen für eine effizientere Behandlung der Desinformationen durch soziale Netzwerke und Online-Plattformen herausgegeben. Teil davon sind Vorschläge für konkrete Regulierungsinitiativen.

Den jetzt veröffentlichten Bericht verfasste eine Arbeitsgruppe des Forums, zu dem sich elf Nichtregierungsorganisationen und Forschungsinstitute zusammengeschlossen haben. Dazu gehören Reporter ohne Grenzen, die Open Government Partnership, Free Press Unlimited und das Human Rights Center der Berkeley School of Law 2019. Federführend waren Maria Ressa, Chefredakteurin des Nachrichtenportals The Rappler sowie die frühere EU-Abgeordnete und jetzige Direktorin des Stanford Cyber Policy Center, Marietje Schaake.

Die Experten raten, Online-Plattformen Transparenzpflichten aufzuerlegen. Diese sollten Kernfunktionen "im öffentlichen Informationsökosystem" betreffen, darunter die Moderation, das Ranking und die zielgruppenspezifische Platzierung von Inhalten sowie das Formen von sozialem Einfluss. Einschlägige Anforderungen müssten Regulierungsbehörden durchsetzen und dafür über starke Funktionen zur demokratischen Kontrolle verfügen. Bei Verstößen sollen je nach Schweregrad unterschiedliche Sanktionen greifen, darunter obligatorisches Anzeigen von Informationsbannern, hohe Geldstrafen und Sperren des Zugangs zu nationalen Märkten. Zudem sollen die Geschäftsführungen haften.

Für geschlossene Gruppen etwa in Messenger-Diensten wie Telegram oder WhatsApp, in denen Nutzer immer neue Verschwörungserzählungen platzieren, sieht das Gremium besondere Sicherheitsvorkehrungen vor, wenn sie Funktionen eines öffentlichen Raums einnehmen. Dann soll die Viralität irreführender Inhalte eingeschränkt werden. Zu den Werkzeugen gehören das Opt-in für den Empfang von Gruppennachrichten und die Eindämmung von Massen-SMS und vergleichbaren Mitteilungen.

Anbieter von Online-Diensten sollten verpflichtet werden, die Nutzer besser über die Herkunft der erhaltenen Nachrichten zu informieren. Dies sei vor allem bei Weiterleitungen wichtig. Dazu kommen Meldeverfahren, mit denen Nutzer die Betreiber über illegale Inhalte in Kenntnis setzen können. Diese sieht hierzulande das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits vor. Beschwerdeverfahren für Personen, die von Diensten ausgeschlossen wurden, sollten verstärkt werden.

Bei der Moderation müssten die Anbieter international anerkannte Menschenrechtsprinzipien wie Legalität, Erfordernis und Verhältnismäßigkeit sowie Gleichheit und Nichtdiskriminierung setzen, ist dem Bericht zu entnehmen. Plattformen sollten mit Blick auf den Pluralismus die gleichen Verpflichtungen übernehmen, die für Rundfunkanstalten qua Gesetz gelten. Um Inhalte besser prüfen zu können, müssten die Betreiber "einen Mindest-Prozentsatz ihrer Einnahmen" aufwenden.

Sicherheits- und Qualitätsstandards bei der digitalen Architektur sollten behördlich überprüft werden, führen die Autoren aus. Es müsse ausgeschlossen werden, dass der Informations- und Kommunikationsraum "von kommerziellen, politischen oder sonstigen Interessen beherrscht oder beeinflusst wird". Journalistische Inhalte von öffentlichem Interesse sollten speziell gefördert, potenziell viraler schädlicher Content ausgebremst werden.

Wenn sich Lügen schneller verbreiteten als Fakten, seien der Journalismus und überhaupt die Demokratie bedroht, warb die Ko-Vorsitzende Ressa für globale Lösungen im Kampf gegen die Infodemie. Ihre Mitstreiterin Schaake betonte: "Die Herrschaft unserer digitalen Welt muss privaten Unternehmen und autoritären Staaten gleichermaßen abgerungen werden." Christophe Deloire, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, bezeichnete die Empfehlungen als gute Vorlage für Vorhaben wie den Digital Services Act der EU. Die derzeitige Flut an Desinformationen gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

(bme)