EU-Terrorismusbekämpfung: Bundesregierung schwört auf Upload-Filter

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat einen neuen Kompromissvorschlag zu grenzüberschreitenden Schnell-Löschanordnungen für "terroristische Inhalte" gemacht.

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"Filter des Schreckens": Demonstration in Hannover gegen Artikel 13

(Bild: Marvin Strathmann)

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Die Bundesregierung will den langen Streit mit dem EU-Parlament über die geplante Verordnung gegen Terrorpropaganda im Internet angesichts der jüngsten Anschläge etwa in Wien und Nizza rasch beilegen. In ihrer Funktion an der Spitze des EU-Ministerrats hat sie dazu vorige Woche ein erweitertes Kompromisspapier an die anderen Mitgliedsstaaten geschickt. Sie schreibt dazu: Über zwei Jahre nach der ursprünglichen Initiative der EU-Kommission sei es "höchste Zeit", das Gesetz zu beschließen.

Beim größten Stolperstein der grenzüberschreitenden Löschanordnungen an Diensteanbieter aus einem anderen Mitgliedsstaat bringt die Regierung ein zweistufiges Verfahren ins Spiel: Die umstrittenen Inhalte müssen demnach zwar "vorläufig" binnen einer Stunde gelöscht werden. Das Land, in dem der Host-Provider sitzt, soll aber ausländische Löschersuchen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen und sie binnen 24 Stunden bestätigen oder ablehnen. Im letzteren Fall müsste der Betreiber den angezählten Content nur in dem Land stellen, das den Antrag gestellt hat.

Das Verfahren sei im Zusammenhang mit anderen Korrekturen zu sehen, mit denen der Schutz der Grundrechte gestärkt werden solle, heißt es in dem als vertraulich eingestuften Papier, das die Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat. So sehe Artikel 9a nun ausdrücklich einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Löschanordnung sowie erhöhte Anforderungen an die zuständigen Behörden vor. Europol werde zudem verpflichtet, einen Jahresbericht über alle entsprechenden Ersuchen vorzulegen.

Erteilt die berechtigte Behörde einem Anbieter erstmals ein Löschgeheiß, soll sie diesem in der Regel mindestens zwölf Stunden vorher Informationen über das Verfahren und geltende Fristen liefern. Entgegen dem Drängen des Parlaments könnten die Mitgliedstaaten aber selbst die zuständigen Verwaltungs-, Strafverfolgungs- beziehungsweise Justizbehörden benennen. Sie sollen aber in einem leicht zugänglichen Online-Register aufgeführt werden, um die Authentizität ihrer Anordnungen rasch überprüfen zu können.

Betreiber etwa sozialer Netzwerke müssen laut der Ratspräsidentschaft zudem keine "proaktiven" Maßnahmen mehr einsetzen, um terroristische Inhalte außenvorzuhalten. Gefordert werden inzwischen "spezifische" Mittel. Dazu könnten etwa operative Aktivitäten wie der Einsatz personeller Ressourcen oder technische Instrumente gehören, geht aus einem Erwägungsgrund hervor. Auch "automatisierte Werkzeuge" dürften eingesetzt werden, unterstreicht die Bundesregierung und spielt damit auf die umkämpften Upload-Filter an. Verpflichtend würden diese aber nicht.

Eingebaut hat Deutschland eine Klausel, wonach "Inhalte, die zu Bildungs-, Kunst-, Presse- oder Forschungszwecken oder zu Zwecken der Sensibilisierung gegen terroristische Aktivitäten verbreitet werden", nicht gelöscht werden dürften. Auch der "Ausdruck polemischer oder kontroverser Ansichten im Rahmen einer öffentlichen Debatte" müsse möglich bleiben. Journalistische Standards sollten bei einer solchen Abschätzung berücksichtigt werden.

Um den Abgeordneten weiter entgegenzukommen, hat die Ratsspitze auch einen Artikel gestrichen, wonach Diensteanbieter behördliche Verweise auf terroristische Inhalte freiwillig prüfen sollten. Die Betroffenen würden solche Meldungen nicht nach dem Gesetz beurteilen, sondern nach ihren eigenen, oft vagen und weitreichenden Hausstandards, hatten Parlamentarier hier befürchtet. Dieses Instrument heißt die Bundesregierung nun aber in einem Erwägungsgrund als bewährtes "wirksames und rasches Mittel" gut. Es soll also letztlich doch beibehalten werden.

Dazu tritt der verbriefte Hinweis, dass die EU-Länder "aus einem breiten Spektrum unterschiedlicher Strafen wählen können". So will die Präsidentschaft die Verhältnismäßigkeit stärken und die Belastung und die Strafen für kleinere und mittlere Unternehmen reduzieren. Geringfügige Missachtungen sollten beim ersten Mal ungesühnt bleiben und auch sonst nur mit einer Verwarnung belegt werden können. Auf schwere und systematische Verstöße könnten dagegen Geldstrafen von bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes eines Providers folgen.

Trotz der Zugeständnisse könnte etwa Ungarns Regierungschef Orbán künftig "die Löschung von Internetveröffentlichungen in Deutschland anordnen", zeigte sich der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei unzufrieden mit der neuen Version. Die Löschfrist von einer Stunde könnten kleine Anbieter nicht zuverlässig einhalten. Selbst private Website-Betreiber müssten rund um die Uhr erreichbar sein, um auf Löschanordnungen innerhalb von einer Stunde zu reagieren.

Es sei nicht hinnehmbar, dass etwa die ungarische oder polnische Regierung "unliebsame Organisationen als terroristisch erklärt und deren Internetauftritt in einem anderem EU-Mitgliedstaat löschen lässt", unterstrich der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Eine gesetzliche Vorschrift brauche es ohnehin nicht, da die Anbieter schon löschfreudig seien. Die nächste und vermutlich abschließende Gesprächsrunde zwischen den EU-Gremien soll kommende Woche oder Anfang Dezember stattfinden.

(kbe)