EU-Studie: Ermittler brauchen Vorratsdatenspeicherung nicht unbedingt

Verkehrs- und Bestandsdatenabfragen sind meist erfolgreich in der EU, ergibt eine Analyse für die EU-Kommission. Der Regulierungsrahmen sei aber uneinheitlich.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

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Ersuchen von Strafverfolgern nach Verbindungs- und Standortinformationen sowie nach Bestandsdaten sind in Europa nur "selten nicht erfolgreich". Dies ist eines der Kernergebnisse einer lange erwarteten Studie zur Vorratsdatenspeicherung, die die EU-Kommission jetzt still, heimlich und leise veröffentlicht hat. Die Mehrheit der beteiligten Ermittlungsbehörden sowie der Telekommunikationsfirmen erklärte demnach, dass Abfragen "in weniger als 20 Prozent der Fälle" scheiterten.

Ziel der Untersuchung war es, den Rechtsrahmen und die Praktiken für die Vorratsspeicherung von und den Zugang zu Metadaten in den zehn ausgewählten Mitgliedsstaaten Deutschland, Estland, Frankreich, Irland, Italien, Österreich, Polen, Portugal, Slowenien und Spanien zu beleuchten. Laut dem Auftrag der Kommission sollte es vor allem darum gehen, Bedürfnisse und Herausforderungen von Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste und Strafverfolgungsbehörden in den Blick zu nehmen. Auswirkungen des umkämpften Instruments auf die Grundrechte waren kein Thema.

Die Forscher befragten dazu Provider inklusive "Over-the-Top-Anbieter" (OTT) wie WhatsApp, Facebook Messenger, Signal oder Skpye sowie Vertreter von Sicherheits-, Regulierungs- und Datenschutzbehörden. Parallel betrieben sie Sekundärforschung.

Der rechtliche und institutionelle Rahmen rund um das Protokollieren von Verkehrsdaten inklusive IP-Adressen ist den Resultaten zufolge uneinheitlich, was zu Unsicherheiten führe. Drei der zehn Länder haben derzeit keine gesetzlichen Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung. Rechtlich sei dies so in Slowenien und Österreich, faktisch in Deutschland. Das hiesige Gesetz, wonach Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten für zehn und Standortinformationen für vier Wochen ohne Verdacht aufbewahren müssen, ist aufgrund von Entscheidungen von Verwaltungsgerichten derzeit ausgesetzt.

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In diesen drei Staaten seien die Strafverfolger in der Regel auf die Daten angewiesen, die die Provider für ihre geschäftlichen Zwecke wie zur Abrechnung, für Marketing oder zum Aufrechterhalten der Netzwerksicherheit speicherten, schreiben die Forscher. Deutschland, Italien und Portugal hätten dafür eine maximale Aufbewahrungsfrist von sechs Monaten festgelegt, in Frankreich liege die Frist bei einem Jahr. Für die Rechnung relevante Daten speicherten die Anbieter fast alle recht lang, IP-Adressen müssten dagegen in Deutschland nach sieben Tagen gelöscht werden.

In Estland, Frankreich, Irland, Italien, Polen, Portugal und Spanien sind derweil immer noch Gesetze in Kraft, mit denen diese Länder die Vorgaben der einstigen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Diese hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) schon 2014 als "besonders schwerwiegenden Eingriff" in die Grundrechte gebrandmarkt und gekippt. Bürgerrechtsorganisationen haben die Kommission bereits mehrfach aufgefordert, Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsstaaten einzuleiten, in denen solche "rechtswidrigen Gesetzen" mit Speichervorgaben von bis zu 72 Monaten noch angewendet werden.

Öffentlich zugängliche Statistiken über die Anzahl der Anfragen zur Herausgabe von Metadaten gibt es laut der Studie nur wenige. Über 50 Prozent der befragten Fahnder gaben demnach aber an, dass sie in mindestens 60 Prozent ihrer Ermittlungen der vergangenen zwei Jahre einschlägige Informationen angefordert haben. IP-Adressen würden dabei viel häufiger für die Untersuchung von Online-Betrug, Cyberkriminalität, sexueller Ausbeutung von Kindern und anderen Verbrechen mit Internetbezug angefordert.

Nachdem die Vorratsdatenspeicherung hierzulande auf Eis gelegt worden sei, hätten sich die nicht erfolgreichen Datenersuchen in Deutschland zwar zwischen 2017 und 2019 verdoppelt, ist dem Bericht zu entnehmen. Die Quote der Strafverfolger, die aktuell sagen, dass sie "regelmäßig" zu wenig Verkehrsdaten erhalten, ist hierzulande mit 25 Prozent auch noch etwas höher als etwa in Frankreich mit 17 Prozent. Vor allem in Portugal berichten die Behörden aber insgesamt häufiger von erfolglosen Abfragen, obwohl dort ein einschlägiges Gesetz gilt.

Zwischen den befragten Ermittlern "aus Mitgliedstaaten mit und ohne verpflichtende Vorratsdatenspeicherung sind nur geringfügige Unterschiede festzustellen", halten die Autoren fest. Ein deutscher Beamter habe veranschaulicht, dass die Strafverfolger "es geschafft haben, die Verfahren anzupassen und im Allgemeinen in der Lage sind, eine gerichtliche Genehmigung zu erhalten und innerhalb einer Woche" auf die begehrten Daten zuzugreifen. Andere Fahnder hätten erklärt, von sich aus keine Verbindungs- und Standortinformationen anzufordern, wenn sie glaubten, dass diese sowieso nicht ausreichend lange aufbewahrt würden.

OTT-Anbieter sind der Studie nach ebenfalls in der Lage, Ermittlern eine Reihe von Metadaten zur Verfügung zu stellen, die sie für ihre Geschäftszwecke aufbewahren. Laut deren Transparenzberichten kommen die meisten Anfragen aus Deutschland und Frankreich, auch wenn sich die Betreiber etwa von Messaging-Diensten insgesamt mit wesentlich weniger Ersuchen konfrontiert sähen als Provider. Eine Ausnahme bilde Deutschland. Die Ablehnungsquoten und die Gründe dafür seien ähnlich wie bei den Telcos.

Als größte gegenwärtige und künftige Herausforderungen nannten die Interessenvertreter den zunehmenden Einsatz von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung etwa in Messengern und von dynamischen IP-Adressen, gefolgt von der Einführung von 5G und Technologien wie Big Data, des Internets der Dinge und der Blockchain. Fahnder zeigten sich so etwa auch besorgt über die steigende Menge an Daten, die von SIM-Karten in Autos generiert und gegebenenfalls über mehrere Länder hinweg verteilt aufbewahrt würden. Um grenzüberschreitende Ersuchen zu erleichtern, ist eine "E-Evidence-Verordnung" in der Mache.

Im Lichte der restriktiven EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung hatten die Mitgliedsstaaten auf die Studie gedrängt, um neue Ansatzpunkte für die Maßnahme ausloten zu lassen. Datenschutzaktivisten etwa von Digitalcourage kritisierten, dass schon der Vertrag für die bei der belgischen Rechts- und Politikberatungsagentur Milieu georderten Analyse "einseitig zu Lasten der Freiheits- und Grundrechteperspektive formuliert" sei und die Massenüberwachung nicht auf den Prüfstand stelle. Die Zivilgesellschaft werde völlig außen vor gehalten.

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer monierte, dass die Kommission und der Ministerrat bei der "am tiefsten in die Privatsphäre eingreifenden und unpopulärsten Überwachungsmaßnahme, die die EU bis heute hervorgebracht hat", nicht locker ließen. Nun drohe ein erneuter Dammbruch, nachdem der EuGH in seinem jüngsten Urteil unter massivem Druck den Weg für eine IP-Vorratsdatenspeicherung zur Durchleuchtung der Internetnutzung frei gemacht hat". Für das Mitglied der Piratenpartei steht außer Frage, dass dieser Übergriff gestoppt werden muss. Eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments habe ergeben, dass die Vorratsdatenspeicherung in keinem EU-Land einen messbaren Einfluss auf die Kriminalitätsrate oder die Aufklärungsquote habe.

(tiw)