Gaia-X: Big-Data-Firma Palantir aus den USA ist bei EU-Cloud vorn mit dabei

Der als Big-Brother-Ausrüster kritisierte US-Konzern Palantir hat stolz bekannt gegeben, vom Start weg beim europäischen Prestigeprojekt Gaia-X mitzumischen.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

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Das auf Big-Data-Analysen spezialisierte US-Unternehmen Palantir hat sich "von Tag Eins an" dem europäischen Cloud-Projekt Gaia-X als Mitglied angeschlossen. Dies teilte der Konzern am Freitag "stolz" in einem Blogbeitrag mit. Die Ansage überrascht aus mehreren Gründen. So war bislang etwa nicht bekannt, dass die eng mit Geheimdiensten wie der CIA und der NSA sowie dem US-Militär kooperierende Firma die bei Gaia-X hochgehaltenen Werte wie Datenschutz, digitale Souveränität, Vertrauen, Transparenz und Offenheit vertritt.

Zudem gehört Palantir nicht zu den im September offiziell bekannt gegebenen 22 ersten Gründungsmitgliedern der gemeinnützigen Gaia-X-Gesellschaft mit Sitz in Brüssel. Darunter befinden sich Namen wie Atos, BMW, Bosch, De-Cix, Deutsche Telekom, die Fraunhofer-Gesellschaft, Orange, OVH, SAP und Siemens. Von Unternehmen aus Drittstaaten war damals noch keine Rede, auch wenn sich US-Hyperscaler sowie chinesische Ausrüster seit dem Herbst bei dem europäischen Prestigeprojekt mehr und mehr in den Vordergrund schieben.

Vor einer Gaia-X-Konferenz im November war bekannt geworden, dass neben Amazon, Microsoft und Google auch Palantir auf der damals auf gut 150 Namen angewachsenen Liste der Mitglieder in spe stünden. Über die Anträge entscheiden müsse der allein europäisch besetzte Verwaltungsrat der Gaia-X-Gesellschaft, hatte es damals geheißen. Inzwischen ist einer Frage-Antwort-Liste auf der Webseite der Institution zu entnehmen, dass "über 300 Organisationen aus vielen Ländern" bereits "involviert" seien. Konkret genannt werden davon nur Verbände wie der BDI, Bitkom, eco oder VDMA.

Das vom Trump-Unterstützer Peter Thiel mitgegründete Unternehmen Palantir ist nach den sehenden Steinen aus dem "Herr der Ringe" benannt. Es zählt zu den umstrittensten Konzernen im Silicon Valley und hat seinen Hauptsitz inzwischen nach Denver verlegt. Der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU gilt Palantir, das vor rund 17 Jahren unter anderem mit Geld des CIA-Wagniskapitalarm In-Q-Tel loslegte, als "Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie". Sie ist Kritikern zufolge tief in den militärisch-digitalindustriellen Komplex der USA verstrickt. Ihr Geschäftsmodell heiße: Big Data für Big Brother.

In Deutschland baut Hessen im Anti-Terror-Kampf auf Gotham, die auf deutsche Gegebenheiten angepasste Version der Palantir-Antiterror-Software. Kritiker aus der Opposition monieren, dass mit dem entsprechenden Projekt "Hessendata" eine ungerechtfertigte Rasterfahndung einhergehe. Es sei unklar, welche Daten in die USA flössen. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen und Europol nutzen mittlerweile ebenfalls Gotham.

Zuletzt war Palantir während der Corona-Krise an Behörden auch in Europa und Deutschland herangetreten – mit einem Gratis-Angebot der Datamining-Software Foundry. Die hessische Regierung liebäugelte zunächst mit dem Einsatz des Programms, um ein besseres Lagebild von den Auswirkungen von Covid-19-Erkrankungen im Gesundheitswesen zu erhalten, entschloss sich letztlich aber dagegen. Auch beim Bundesgesundheitsministerium konnte der Konzern mit einem einschlägigen Konzeptpapier nicht landen.

Von Anfang an "haben wir unser Geschäft und unsere Technologie darauf ausgerichtet, viele der Herausforderungen zu bewältigen, die Gaia-X frontal angeht", erläutern die führenden europäischen Palantir-Mitarbeiter Harkirat Singh und Robert Fink nun. Im Kern gehe es um die Frage, wie Institutionen des öffentlichen und privaten Sektors die verteilten, heterogenen Informationsbestände, die sie über Jahrzehnte oder Jahrhunderte angesammelt haben, sinnvoll nutzen könnten. Die Sicherheit und der Schutz der Daten sowie die Bürgerrechte sollten dabei nicht gefährdet werden.

Die Werte, die im Mittelpunkt des Gaia-X stehen, seien so "in der Tat von zentraler Bedeutung für unsere eigene Mission als Unternehmen", schreiben die Palantir-Experten. Die Vision der Cloud-Initiative fühle sich "wie eine natürliche Erweiterung dieser Überzeugung" an. "Manche mögen wieder einmal einen Widerspruch zwischen Kooperation auf der einen und Sicherheit auf der anderen Seite sehen", zwischen der Hoheit über und der Verfügbarkeit von Daten, räumen sie ein. Die "Aufgabe für uns Informatiker und Software-Ingenieure" sei es aber, "diese Gegensätzlichkeit zu widerlegen".

Beobachtern stößt das Bekenntnis indes übel auf. "Palantir ist das genaue Gegenteil von Europas Interessen", twittert der Chef der belgischen Online-Werbefirma Actito, Benoît De Nayer. "Es ist eines der verachtenswertesten Unternehmen der Welt, das autoritären Regierungen hilft, ihr Ziel der totalen Kontrolle zu erreichen." Die netzpolitische Referentin der Linken im Bundestag, Anne Roth, schreibt gewandt an Gaia-X-Ideengeber Peter Altmaier (CDU): "Und das war's dann mit dem Vertrauen in die europäische Souveränität." Ein anderer Twitter-Nutzer erregt sich: "Unglaublich. Wieso schicken wir nicht gleich alle unsere Daten an die CIA?"

(bme)