Patentschutz statt Corona-Pandemiebekämpfung: Kein globales öffentliches Gut

Weil EU und Bundesregierung daran festhalten, die Produktion wenigen Unternehmen zu überlassen, warnt die WHO vor einer humanitären Katastrophe.

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(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monika Ermert
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Der auf Druck des Europäischen Parlaments veröffentlichte Vertrag zwischen der Europäischen Union und dem Tübinger Impfstoffhersteller Curevac zeigt, dass die EU das viel beschworene globale öffentliche Interesse keineswegs abgesichert hat. Vielmehr sicherte die EU den Herstellern die volle Ausnutzung eigener Patentrechte zu. WHO und Hilfsorganisationen warnen, dass man so die Pandemie verschleppt.

In dem an vielen Stellen geschwärzten Dokument, das zunächst nur im Lesesaal für Parlamentarier zugänglich war, verpflichteten sich die Kommission und die Mitgliedsländer dazu, das Kostenrisiko für Entwicklung eines Impfstoffs und den Ausbau von Produktionskapazitäten mitzutragen. Laut dem Vertrag wird die Gemeinschaft mit vereinbarten Vorabzahlungen einstehen für "Kosten, Ausgaben, Verbindlichkeiten, Abschreibungen, Wertberichtigungen in Zusammenhang mit Forschung, Entwicklung, raschem Aufbau, IP, Gebäuden, Bau, Verwaltung, Herstellung Produktion, Abfüllung,..", und so weiter.

Zugleich garantiert der Vertrag aber, dass Curevac alleiniger Herr des geistigen Eigentums seiner Entwicklungen bleibt. Selbst eine Weitergabe, bezahlt oder als Spende, von Impfstoffen durch die Bundesregierung und andere europäische Regierungen an Dritte steht unter Vorbehalt. Will die Bundesregierung Impfstoff aus ihrem Kontingent an Kliniken in einem bedürftigen Land abgeben oder an eine Hilfsorganisation spenden, braucht sie dafür die Genehmigung von Curevac. So hat es die EU vertraglich zugesichert.

Darüber ist man unter anderem bei der Patientenhilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen höchst besorgt, sagte Elisabeth Massute, politische Referentin bei der Medikamentenkampagne der Organisation (MSF). Denn auf dieser Grundlage sei die von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Weitergabe von nicht selbst benötigtem Impfstoff nicht ohne Weiteres möglich. Zugleich warnt MSF ebenso wie kürzlich die Organisationen Oxfam, Health Action International und "The People‘s Vaccine", dass die schon in den Industrieländern schleppend anlaufende Produktion der Impfstoffe katastrophale Folgen für ärmere Länder haben wird.

Der Chef der WHO, Tedros Ghebreyesus, kritisierte bei der Eröffnung der 148. Sitzung des Vorstands den aktuell um sich greifenden Impfnationalismus scharf und verwies darauf, dass den bislang im reichen Norden verimpften rund 39 Millionen Dosen Impfstoff, 25 Impfungen in den ärmsten Ländern der Welt gegenüberstehen. "Nicht 25 Millionen, nicht 25.000, sondern 25," sagte Ghebreyesus. Es sei falsch, sagte Tedros, wenn in reichen Ländern bereits jüngere Menschen an die Reihe kämen, während in vielen Ländern noch nicht einmal das medizinische Personal geimpft werden könne. So könne man die Coronavirus-Pandemie nicht erfolgreich bekämpfen, sagt auch Massute bei MSF in Berlin.

Auch der von der EU unterstützte Covax-Mechanismus zeigt nicht die gewünschten Wirkungen. Denn noch stärker als die reichen Besteller ist der Impfstoffpool vom zögerlichen Produktionsstart betroffen. So sei die Ankündigung von Pfizer/BioNTech zu begrüßen, dass sie 40 Millionen Dosen an Covax liefern wollen, so MSF. Doch das sind gerade mal zwei Prozent der von dem Duo zugesagten Lieferungen für die nächsten zwei Jahre.

Nur eines kann die Produktion nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen und dem WHO-Chef tatsächlich beschleunigen: Die Aufhebung oder doch Aussetzung des Patentschutzes und die damit mögliche Vergabe von wesentlich mehr Produktionslizenzen, möglichst weltweit. Eine einzelne Firma, oder auch wenige Firmen werden den weltweiten Bedarf an Impfstoff niemals decken, befürchtet Massute.

Einen möglichen Mechanismus zur koordinierten und möglicherweise zeitlich begrenzte Vergabe von Lizenzen an Produktionsstätten weltweit hat die WHO mit dem sogenannten "Covid 19 Technology Access Pool" (C-TAP) geschaffen. Dass der Pool bislang praktisch ohne Beiträge geblieben ist, liegt nicht nur an den Regierungen, die sich sperren, wie der Bundesregierung und der EU. "Die WHO hat es versäumt, C-TAP besser zu erklären und bewerben", kritisiert James Love, Direktor von Knowledge Ecology International KEI Online.

Warum beispielsweise hat noch niemand den Chef von Curevac, Franz-Werner Haas, beim Wort genommen, der im Dezember selbst gegenüber der Stuttgarter Zeitung sagte, dass er ein Ruhenlassen von Patenten während der Pandemie für notwendig und richtig halte. Eine Aufgabe für C-TAP sei beispielsweise, Musterverträge für solche zeitweisen Überlassungen von Rechten zu formulieren, fordert KEI von der WHO.

Curevac selbst erklärt übrigens, dass der Vorstandsvorsitzende falsch verstanden wurde. Tatsächlich will man auf den Patentschutz nicht verzichten, unterstreicht Thorsten Schüller, Vizepräsident Communications, gegenüber heise online. "Wir würden lediglich, wenn unser Patent von jemand angegriffen wird, also jemand das Wissen nutzt, eine Lizenz anbieten." Eine Einladung an Piraten? Nein, sagt Schüller, eine Lizenzvereinbarung statt einer juristischen Durchsetzung der Rechte, und zwar nur solange die Pandemie läuft. Zugleich anerkennt Schüller, dass natürlich weniger Impfstoff produziert werden kann, wenn es weniger Produktionsstätten gibt. "Aber die Herstellung von mRNA ist auch nicht so einfach."

Auch das Bundesministerium für Gesundheit versteift sich in einer Antwort an heise online zu Lieferschwierigkeiten und einer unnötigen Verlängerung der Pandemie weltweit darauf, dass die Impfstoffproduktion komplex sei und nicht so leicht aufzubauen. Dem widerspricht Massute von der MSF Medikamentenkampagne allerdings mit dem Hinweis darauf, dass es durchaus schon jetzt Beispiele gebe, dass es so schwer auch wieder nicht sei.

Das Schweizer Unternehmen Lonza etwa, das vorher noch nie Impfstoffe produziert habe, werde demnächst für Moderna produzieren. "Das zeigt, das es geht," so Massute. Die Hilfsorganisationen unterstützen im Angesicht der Risiken, die eine verschleppte Pandemie für arme, aber in der Konsequenz auch reiche Länder bringt, auch die Forderung zahlreicher Länder an die Welthandelsorganisation, bei den Impfstoffen und anderer im Rahmen der Covid notwendigen Technologie Ausnahmen vom bestehenden Patentschutz machen zu können. Die Freigabe von Lizenzen den Firmen zu überlassen, hat – zumindest bislang – nicht funktioniert.

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