Hyperschallwaffen: Nur eine Fata Morgana?

Zwei US-Wissenschaftler bezeichnen die neuartigen Waffensysteme in einer Untersuchung als Luftspiegelung. Die Diskussion ist auch für Deutschland nützlich.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 181 Kommentare lesen

Würde dieser Soldat von Hyperschallwaffen profitieren?

(Bild: Photo by jan abellan on Unsplash)

Lesezeit: 3 Min.

Hyperschallwaffen gelten als das nächste große Ding in der interkontinentalen Kriegsführung. Denn Raketen, die mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit durch die Atmosphäre rasen, sollen Frühwarnsysteme und Raketenabwehrwaffen aushebeln. Jetzt sagen zwei US-Wissenschaftler: Selbst wenn es solche Waffen geben sollte, sind sie nutzlos. Die Fähigkeiten, die diesen fiktiven Waffen zugeschrieben werden, können sie überhaupt nicht haben - das wäre technisch nicht möglich.

Das ist das Ergebnis einer Studie von David Wright, Physiker am Massachusetts Institute of Technology und Cameron L. Tracy, einem Materialwissenschaftler bei der Union of Concerned Scientists - einer Gruppe, die sich unter anderem für Rüstungskontrolle einsetzt. In ihrem Paper berechnen die Forscher Endgeschwindigkeit, Reichweite und Oberflächentemperatur hypothetischer Überschallwaffen mit einem Computermodell - und kommen dabei zu ihren ernüchternden Ergebnissen. Wäre das allein eine Diskussion unter Fachleuten, wäre die Geschichte hier bereits zu Ende. Zum Politikum wird die Analyse jedoch dadurch, dass die USA 2020 mehr als drei Milliarden Dollar in die Entwicklung solcher Waffen gesteckt haben.

Die Kritik ist jedoch nicht wirklich neu: Vor Wright und Tracy haben jedoch bereits andere Experten darauf hingewiesen, dass Hyperschallwaffen „ein Hype“ sein könnten. So erklärte der Sicherheitsforscher Ivan Oelrich bereits vergangenes Jahr im „Bulletin of the Atomic Scientists“: „Die meisten der angedachten Missionen ließen sich günstiger und mit weniger technischem Risiko durch modifizierte Interkontinentalraketen erreichen.“

Insbesondere das Argument, Hyperschallwaffen seien unbezwingbar und daher ein Wendepunkt in der Kriegsführung, wollte Oelrich nicht gelten lassen. Denn auch atomare Interkontinentalraketen lassen sich nicht so einfach abwehren, wie der Begriff „Raketenschild“ suggeriert. Und der Politikwissenschaftler Franz-Stefan Gady ergänzte im April 2020 gegenüber TR, dass sich aus Hyperschallwaffen keine qualitativ neue Bedrohung ergebe, denn auch die Abwehr von ballistischen Raketen gelinge „mehr schlecht als recht.“ Trotz Investitionen von 35 Milliarden Dollar gelinge es dem amerikanischen Raketenschild nicht, bei Tests mehr als 50 Prozent der Ziele abzuschießen.

Das bemerkenswerteste an diesem Paper ist jedoch nicht das Ergebnis. Es ist die Erkenntnis, dass der Kaiser nackt ist - die Erkenntnis, dass die sagenhaften Fähigkeiten von Hyperschallwaffen nur deswegen so lange unhinterfragt geblieben sind, weil sie „sozial konstruiert“ wurden in einem Netzwerk aus Politikern, Forschern und Unternehmen.

Was kümmert uns das in Deutschland? Schließlich werden hier keine Hyperschallwaffen entwickelt, oder? Stimmt, aber der beschriebene Effekt ist unabhängig von der konkreten Technologie. Sowohl im militärischen Bereich, als auch bei Hightech-Unternehmen gibt es eine starke Tendenz, die eigenen Fähigkeiten maßlos zu übertreiben, um potenzielle Wettbewerber zu demoralisieren und abzuschrecken.

Mischen sich beide Sektoren, scheint sich der Effekt deutlich zu verstärken. Die „notwendige“ Geheimhaltung macht eine unabhängige Überprüfung der angekündigten Fähigkeiten gleichzeitig extrem schwierig. Es gehören keine prophetischen Fähigkeiten dazu, sich auszumalen, dass auch der potenzielle Einsatz von KI in der Bundeswehr einer ähnlichen Dynamik unterliegen könnte. Noch ist es nicht zu spät, das abzubiegen. Die Diskussion um Hyperschallwaffen sollte uns eine Lehre sein.

(wst)