Targeting: EU-Abgeordnete fordern Aus für "spionierende Werbung"

Im EU-Parlament konstituiert sich eine Koalition gegen Tracking bei Online-Werbung. Sie will Microtargeting per Gesetz aus Europa verbannen.

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(Bild: Ulf Wittrock/Shutterstock.com)

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"Spionierende Werbung" mit Profiling und Microtargeting soll in Europa nicht mehr zugelassen werden. Dafür will sich eine fraktionsübergreifende Koalition gegen Überwachung und Tracking durch Online-Anzeigen im EU-Parlament starkmachen. Mit dem geplanten Digital Services Act (DSA), mit dem die Macht der Online-Giganten eingeschränkt werden soll, bestehe die große Chance, Nutzer ausspähende Werbung "per Gesetz aus Europa zu verbannen".

Die "Tracking-Free Ads Coalition" im EU-Parlament soll am Dienstag erstmals zusammenkommen. Zu den Initiatoren gehört die Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese, die sich seit Längerem mit dem Thema beschäftigt. Zu den weiteren Unterstützern zählen etwa Tiemo Wölken, Paul Tang und Birgit Sippel von den Sozialdemokraten sowie Karen Melchior von der liberalen Fraktion Renew Europe.

Geese beschreibt den Kampf gegen spionierende Werbung alias Adtech in einem heise online vorliegenden Hintergrundpapier als "gesamtgesellschaftliche Herausforderung", die die EU-Kommission gemeinsam mit dem Parlament und den Mitgliedsstaaten angehen müsse. Es gehe um eine Technik, die mit Cookies, Browser- und Geräte-Identifizierung das Verhalten und die Interessen von Internet-Nutzern analysiere, speichere und zu Werbezwecken mit vielen Unternehmen teile.

Dahinterstehende Konzerne wie Google und Facebook verknüpften riesige Datenmengen auch mit Standortdaten aus dem Handy oder Rabattprogrammen, um detaillierte Profile zu erstellen und Anwender gezielt mit "personalisierter" Werbung zu versorgen, schreibt die DSA-Verhandlungsführerin der Grünen. Künstliche Intelligenz ziehe daraus Schlüsse. Das sei vor allem deshalb problematisch, "weil dieselben Informationen dafür genutzt werden, um beispielsweise Desinformation, Hass und Hetze an dafür empfängliche Gruppen zu senden".

Spionierende Werbung schadet der Gesellschaft laut der Initiative, weil sie es den Plattformen "technisch ermöglicht, Menschen individuell mit persönlichen Botschaften und einem auf sie zugeschnittenen Timing so lange wie möglich vor dem Bildschirm zu halten". Dadurch gehe nicht nur Lebenszeit verloren, vielmehr würden die Nutzer "auch mit ausgefeilten psychologischen und auf jeden Menschen einzeln zugeschnittenen Mitteln manipuliert". Mit dem Fokus auf "immer mehr extreme Inhalte" werde die Gesellschaft polarisiert und mehr Desinformation kursiere.

Die Auswirkungen sind Geese zufolge jüngst beim Sturm aufs Kapitol zu sehen gewesen. Die Teilnehmer hätten wirklich geglaubt, Donald Trump habe die Wahl gewonnen. Der Ex-US-Präsident habe selbst das Social-Media-System perfekt für seine Zwecke genutzt. Private Unternehmen dürften daher nicht weiter darüber entscheiden, was wahr ist und was falsch: "Auf eigene Risikobewertungen von Google und Facebook zu vertrauen, wäre so, als würde man Volkswagen bitten, den eigenen Beitrag zum Klimawandel zu bewerten".

Adtech entziehe "unseren Qualitätsmedien" auch die finanzielle Grundlage, moniert die 52-Jährige. Die Plattformen behielten Werbegelder ein, die früher von Anzeigenkunden "direkt an die Verleger flossen". Da diese "nicht mit der Technologie und Datenbasis der Big-Tech-Unternehmen konkurrieren können, beherrschen Google und Facebook global 86 Prozent" des digitalen Werbemarkts. Alternativen existierten: Der niederländische öffentlich-rechtliche Sender NPO habe Cookies abgeschafft und bewiesen, dass der Wechsel auf kontextbasierte Werbung funktioniere. Die Einnahmen lägen dadurch sogar höher. Ähnlich sei die "New York Times" verfahren.

Die Koalition drängt nun auf einen "ganzheitlichen Ansatz" über den DSA. Die Kommission ignoriere in ihrem Entwurf die Meinung des Parlaments. Sie habe nur mehr Transparenz vorgeschlagen. Die vorgesehenen Opt-out-Mechanismen seien nur ein erster Schritt in die richtige Richtung: Wer eine Einwilligung verweigere, nehme "große Einschränkungen beim Zugang zu Wissen und bei der eigenen Partizipation am demokratischen Diskurs in Kauf".

Unter anderem der Rechtsauschuss des EU-Parlaments hatte zuvor verlangt, Tracking-Anzeigen sollten nur noch mit "der freien, informierten und eindeutigen Zustimmung" der Nutzer erlaubt sein. Dazu trat der Appell, mit dem DSA transparente Regeln für das Sammeln von Daten zu diesem Zweck einzuführen.

Die Debatte über Adtech hat sich in dieser Woche verschärft. Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner forderte Mitte der Woche in einem offenen Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: In der EU sollte es großen Plattformen verboten sein, persönliche Daten zu speichern und für kommerzielle Zwecke zu verwenden.

Von der Leyen antwortete nun und zeigte sich ebenfalls über den "Überwachungskapitalismus" besorgt: "Wir, die Nutzerinnen und Nutzer selbst sind das Produkt, um das es den großen Plattformen geht." Die Bilder, wie ein aufgebrachter Mob den US-Kongress angegriffen habe, ließen ihr keine Ruhe: "So sieht es aus, wenn die Botschaften, die Online-Plattformen und Soziale Medien verbreiten, zu einer Gefahr für die Demokratie werden."

Der vorgesehene DSA sei dagegen aber die beste Medizin, unterstreicht die CDU-Politikerin. Damit werde es möglich, die "Macht der großen Internetkonzerne demokratisch" einzuhegen. Das begleitende Digitale-Märkte-Gesetz erschwere die Profilbildung durch Online-Gatekeeper und verhindere so den gläsernen Kunden. Zudem wolle die EU die Gespräche über eine Digitalsteuer auf OECD-Ebene intensivieren.

(bme)