Facebook zensiert kurdische Gruppierung in der Türkei seit 2018

Damit Facebook in der Türkei nicht komplett blockiert wird, stimmten führende Facebook-Manager der Sperre der kurdischen Rebellengruppe YPG zu.

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(Bild: Lightspring / Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Frank Schräer
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Im Rahmen der türkischen Besatzung der Region Afrin im Nordwesten Syriens soll die Türkei Facebook im Jahr 2018 aufgefordert haben, Inhalte der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu blockieren. Nachdem die Türkei eine vollständige Blockade Facebooks angedroht hatte, stimmte das Internet-Unternehmen laut Berichten von ProPublica der Zensur zu. Für Facebook diente dies der Aufrechterhaltung der innertürkischen Kommunikation, für Kritiker ist es ein unzulässiger und Facebooks eigenen Leitlinien widersprechender Verstoß gegen freie Meinungsäußerung.

Der Türkei sollen die Facebook-Beiträge der YPG bei der völkerrechtswidrigen Militäroffensive in seinem Nachbarland nicht gepasst haben. Diese zeigten Bilder der Invasion, teilweise mit verwundeten Kämpfern beider Seiten sowie von Zivilpersonen. Vor diesen Nachrichten sollten türkische Bürger geschützt werden, sodass die Türkei Facebook zur Sperre der YPG-Seiten aufforderte. Sollte Facebook der Aufforderung nicht folgen, drohte die Türkei damit, das Unternehmen komplett auszusperren.

Eine solche Erpressung ist ein Dilemma für Facebook. Wenn Facebook die YPG nicht gesperrt hätte, hätte es Millionen türkischer Nutzer und Werbeeinnahmen verloren. Eine Blockade innerhalb der Türkei würde dagegen zeigen, dass sich Facebook dem Druck einer autoritären Regierung beuge.

Die internen E-Mails, die ProPublica vorliegen, verdeutlichen den Entscheidungsprozess, der bei Facebook zum Geoblocking der YPG-Seiten in der Türkei führte. Facebook wollte demnach einerseits mit dem von der YPG veröffentlichten Material vorsichtig sein, insbesondere bei Bildern verwundeter Personen. Andererseits war den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern klar, dass es in der Öffentlichkeit für das Geoblocking Kritik geben könnte. Es war zu befürchten, dass das Geoblocking der YPG unnötige Aufmerksamkeit auf dieses Vorgehen lenken könnte, wenn Aktivisten außerhalb der Türkei dies bemerkten. Letztendlich soll sich Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer bei Facebook, in einem kurzen Satz mit dem Geoblocking einverstanden erklärt haben.

Facebook selbst erklärte, dass manche Inhalte gegen lokale Gesetze verstoßen, auch wenn diese eigenen Standards nicht widersprechen. In diesem Fall ist Facebook der Aufforderung der türkischen Regierung sowie der eigenen Verpflichtung internationaler Menschenrechte gefolgt.

Facebook betrachtet die YPG seit 2015 bereits als politisch sensibles Thema. Die Facebook-Seite der YPG war zunächst offiziell mit einem blauen Haken verifiziert worden. Dies war von der Türkei kritisiert worden. Aber nachdem der blaue Haken entfernt wurde, gab es Gegenwind westlicher Medien.

Die Türkei stuft die YPG als terroristische Vereinigung ein, westliche Alliierte folgen dieser Einschätzung allerdings nicht. Die YPG sieht sich selbst als eigenständige kurdische Gruppierung, wird aber oft als syrische Fraktion der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) angesehen. Die PKK ist in der Türkei verboten und wird vom US-Außenministerium seit 2001 als Terrororganisation eingestuft. In vielen europäischen Ländern ist die PKK allerdings seit Anfang 2020 offiziell keine Terrororganisation mehr, sondern Kriegspartei.

Facebook selbst hat kürzlich im eigenen Blog zur Situation in der Türkei betont, dass die Meinungsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht ist. Facebook wolle diese Werte weltweit schützen und verteidigen. Mehr als die Hälfte der Türken verlassen sich nach Firmen-Einschätzung auf Facebook, um mit ihren Bekannten und Verwandten in Verbindung zu bleiben. Facebook wolle die freie Meinungsäußerung und andere Menschenrechte in der Türkei wahren.

Senator Ron Wyden aus Oregon gilt als Facebook-Kritiker und erklärte, dass sich das Internet-Unternehmen dem Druck autoritärer Regimes, die politische Gegner unterdrücken wollen, nicht beugen dürfe. Amerikanische Firmen sollten Menschenrechte achten und nicht nur nach höheren Profiten jagen.

Nach Ansicht von Yaman Akdeniz, Rechtsprofessor an der Columbia-Universität in New York und Gründer der türkischen Vereinigung für freie Meinungsäußerung, sei das Geoblocking der YPG kein einfacher Fall, weil die Türkei die YPG als Terrororganisation betrachtet. Aber es bestätige, dass Facebook diese Regierungsanfragen nicht anfechten will und bereitwillig gefolgt sei.

Facebook selbst hat nach Angaben seines regelmäßigen Transparenzberichts in der ersten Jahreshälfte 2018 etwa 15.300 Regierungsanfragen zu inhaltlichen Restriktionen bekommen, allein 1600 davon aus der Türkei, also mehr als 10 Prozent. 1106 Artikel wurden daraufhin zensiert. Diese umfassen laut Facebook eine Reihe von Straftaten, darunter Verletzungen der Persönlichkeitsrechte, der Privatsphäre, die Verleumdung von Atatürk (dem ersten türkischen Präsidenten) und Gesetze zum unbefugten Verkauf regulierter Waren.

(fds)