Rocket Lab will zum größten SpaceX-Rivalen werden

Mit der Ankündigung der neuen Neutron-Rakete fordert das private Raumfahrtunternehmen den bisherigen Hauptkonkurrenten der Musk-Firma, Blue Origin, heraus.

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(Bild: Rocket Lab)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Neel V. Patel
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In der privaten Raumfahrtindustrie kann es manchmal den Anschein haben, dass es nur SpaceX und „unter ferner liefen“ gibt. Nur Blue Origin, der von seinem eigenen Milliardär-Gründer Jeff Bezos unterstützt wird, scheint in der Lage zu sein, ähnlich viel Aufmerksamkeit zu generieren. Dabei ist Blue Origin noch nicht einmal über den suborbitalen Raum hinausgegangen.

Bald könnte allerdings auch Rocket Lab zum Kreise derer gehören, die mitreden können. Das in Neuseeland gegründete Unternehmen mit Hauptsitz im kalifornischen Long Beach ist nach SpaceX das zweitgrößte Unternehmen, wenn man die Startfrequenz als Maß nimmt. Die beiden sind scheinbar die einzigen US-Unternehmen, die regelmäßig in den Orbit fliegen. Rocket Labs kleine Flaggschiff-Rakete „Electron“ ist in knapp vier Jahren 18 Mal ins All geflogen und hat mit nur zwei fehlgeschlagenen Starts fast 100 Satelliten ausgesetzt.

Am 1. März machte das Unternehmen seine Ambitionen noch deutlicher, als es Pläne für seine neue Rakete „Neutron“ enthüllte. Mit einer Länge von 40 Metern und einer Kapazität, die das 20-fache des Gewichts von Electron tragen kann, wird Neutron von Rocket Lab als Markteintritt für große Satelliten- und Megakonstellationsstarts sowie für zukünftige Robotik-Missionen zum Mond und zum Mars angepriesen. Noch verlockender ist Rocket Lab zufolge, dass Neutron auch für die menschliche Raumfahrt entwickelt wird. Das Unternehmen nennt sie eine „direkte Alternative“ zur SpaceX Falcon 9-Rakete.

„Rocket Lab ist eine der Erfolgsgeschichten der kleinen Raketenstart-Unternehmen“, glaubt Roger Handberg, Experte für Raumfahrtpolitik an der University of Central Florida. „Sie dringen jetzt in das Jagdrevier der größeren, etablierten Startfirmen vor, insbesondere von SpaceX.“ Dieser Ehrgeiz wurde durch eine weitere, ebenfalls am 1. März verkündete Neuigkeit unterstützt: die Fusion von Rocket Lab mit der Vector Acquisition Corporation.

Durch die Zusammenarbeit mit einem Akquisitionszweck-Unternehmen (special purpose acquisition company, SPAC) profitiert Rocket Lab von einem massiven Geldzufluss, der ihm eine neue Bewertung in Höhe von 4,1 Milliarden Dollar verschafft. SPAC bieten anderen Firmen sozusagen einen Börsengang ohne Börsengang, indem sie selbst Kapital über einen Börsengang einsammeln, um damit eine Übernahme zu finanzieren. Im Fall von Rocket Lab fließt ein Großteil dieses Geldes in die Entwicklung und Erprobung von Neutron, das das Unternehmen 2024 fliegen möchte.

Für Rocket Lab ist es eine Kehrtwende. Geschäftsführer Peter Beck hatte sich zuvor nur mäßig begeistert über die Idee gezeigt, eine größere Rakete zu bauen, die größere Nutzlasten transportieren und möglicherweise Starts für mehrere Kunden gleichzeitig anbieten könnte. Als unbeschwerte Anspielung auf seine Meinungsänderung zeigte sich Beck im Einführungsvideo für Neutron seinen eigenen Hut essend (in Deutschland hätte er wohl einen Besen gewählt).

Beck reagiert wohl darauf, dass der Satellitenmarkt Mitfahrgelegenheiten in den Orbit mit Begeisterung aufgenommen hat, insbesondere angesichts des starken Wachstums von Satelliten-Megakonstellationen. Diese werden wahrscheinlich den größten Anteil jener Satelliten ausmachen, die im nächsten Jahrzehnt in den Orbit geschickt werden. Neutron ist in der Lage, 8.000 Kilogramm in die erdnahe Umlaufbahn zu bringen, kann also möglicherweise Dutzende Nutzlasten gleichzeitig mitnehmen.

Neutron befähigt Rocket Lab auch auf andere Weise zu einem engeren Wettbewerb mit SpaceX. Beide Unternehmen investieren durch den Einsatz kostengünstigerer Materialien und wiederverwendbarer Systeme in billigere Raumflüge. Der Booster der ersten Stufe von Neutron wird so konstruiert sein, dass er vertikal auf einer Ozeanplattform landet, genau wie der Booster der ersten Stufe des SpaceX Falcon 9. Rocket Lab gibt zudem an, dass Neutrons Konzeption sie auch für eine Zertifizierung für bemannte Missionen in den Orbit und zur Internationalen Raumstation befähigen wird – genau wie SpaceX es derzeit tut. Das Design von Neutron ist vergleichbar mit dem der russischen Sojus-Trägerrakete, die drei Astronauten zur ISS bringen kann. Darüber hinaus sind beide Unternehmen an Missionen zu Zielen außerhalb der Umlaufbahn interessiert. Neutron kann 2.000 kg Nutzlast zum Mond und 1.500 kg Nutzlast zum Mars und zur Venus senden.

Es gibt allerdings auch einige Unterschiede. Im Gegensatz zu SpaceX mit seinem Crew Dragon-Fahrzeug baut Rocket Lab noch keine eigenen Crew-Kapseln. Wenn Neutron Menschen in die Umlaufbahn bringen kann, ist nicht klar, welche Raumkapseln es mitnehmen könnte. Rocket Lab baut auch kein interplanetares Raumschiff wie Starship. Es wird auch nicht versucht, einen globalen Satelliten-Internetdienst wie Starlink zu schaffen. Das einzige große Projekt von Rocket Lab außerhalb von Raketen ist der Photon-Satellitenbus, also jenes Datenübertragungssystem für das Raumschiff, das normalerweise der Bodenkontrolle mitteilt, wo sich der Satellit im Orbit befindet.

Nicht zuletzt wird Neutron nicht einfach automatisch funktionieren. Um es wiederverwendbar zu machen, muss Test für Test durchgeführt werden. Denn nicht einmal Electron ist vollständig wiederverwendbar. Das Motordesign von Neutron ist zu groß und komplex, um einfach von Electron angepasst zu werden. Daher muss das Unternehmen bei null anfangen und herausfinden, wie die Produktion erneut skaliert werden kann.

Es überrascht nicht, dass die menschliche Raumfahrt die große Herausforderung des Unternehmens sein wird. „Ihr neues Fahrzeug wird sie für Nutzlasten wettbewerbsfähiger machen“, sagt Handberg. „Die bemannte Raumfahrt ist schon problematischer.“ Die ISS ist ein mögliches Ziel, aber Rocket Lab wird mit SpaceX und Boeing um solche Verträge konkurrieren. Vielleicht kann es durch Weltraumtourismus Geschäfte machen, aber diese Branche steckt noch in den Kinderschuhen.

Schließlich wäre da noch die Sicherheit. „Rocket Lab hat ein Wettbewerbsproblem, das jedoch sekundär zu den Kosten für die Bewertung des neuen Fahrzeugs und den Aufbau einer Infrastruktur zur Unterstützung des Betriebs sein wird“, sagt Handberg. SpaceX explodierte kürzlich zum wiederholten Male ein Starship, selbst wenn die Landung diesmal relativ gut gelang. Der gescheiterte Starliner-Testflug im Dezember 2019 hat Boeings Hoffnungen, Menschen in den Weltraum zu schicken, um mehr als ein Jahr zurückgeworfen. Trotzdem hat Neutron den Abstand zwischen SpaceX und Rocket Lab deutlich geschrumpft, wenn es um Auswirkungen auf die kommerzielle Raumfahrtindustrie geht. Wenn Neutron 2024 flugbereit ist, werden sie noch näher beieinander sein.

(vsz)