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Was war. Was wird.

Kompromisse à la Microsoft sind langweilig. Gelöschte Daten im Bundeskanzleramt und im Weißen Haus, Segelregatten, die an Web-Servern scheitern, und neuer Stoff für Denglisch-Zoff sind viel interessanter, meint Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Graues Wetter in der norddeutschen Tiefebene, ein trister November-Tag, an dem die Bewohner Digitaliens, Männchen wie Weibchen, allenfalls beim Jahrestag der First Lady of Internet etwas Wärme in den Kompressions-Algorithmen finden. Doch Lenas richtiges Jubiläum ist erst nächstes Jahr, und so träumen sich Leser und Leserinnen des Heisetickers lieber in südliche Gefilde. Dort unten kämpft die Illbruck, ein Bötchen des gleichnamigen Sanitärtechnikers, um Deutschlands Ruhm und Ehre. In der letzten Woche wäre die um ein Haar vorzeitig von quelloffenen spanischen Pinguinen versenkt worden. Obwohl das Boot eine Etappe dieser Segelregatta Rund-um-den-Volvo gewann, funktionierte eine zur Navigation benutzte Website namens http://atmosfera.lma.fi.upm.es/ nicht. Sie tut es auch jetzt nicht, zu der Zeit, da diese Zeilen entstehen, und ist darum nur über das Archiv von Google oder das Web-Archiv zu beziehen. Das Problem aber: Den am Rennen beteiligten Booten ist das Googlen verboten. Sie dürfen nur 10 vorher benannte Sites aufsuchen und sich dort über das Wetter informieren. Sprünge auf andere Websites können zur Disqualifikation führen. Von wegen Wind und Wetter -- das moderne Segeln ist volldigital schon ein komischer Sport. Gegen den Etappensieg der Illbruck hat der fünftplatzierte Kahn namens Assa Abloy geklagt, weil dort der Navigator die spanische Website nicht öffnen konnte. Nun rätselt eine Kommission erfahrener Nautiker, welche Geheiminformationen sich in der Werbung für den Advanced Extranet-Apache-Server und Linux Mandrake verstecken können -- denn etwas anderes hat diese Site niemals enthalten. Ist es nicht schön, dass ein falsch konfigurierter Server ein Rennboot ausbremsen kann? Wenn Obersegler Larry Ellison das nächste Mal antritt, wird Bill Gates vielleicht zeigen, was ein schlecht konfigurierter IIS so alles bremsen kann.

*** Gestern bekam die Computer-Bild in Kassel den Kulturpreis Deutsche Sprache der Eberhard-Schöck-Stiftung und des Vereins Deutsche Sprache. Gewürdigt wird "der Erhalt und die kreative Entwicklung der deutschen Sprache". Gratulation, auch von den WWWW-Lesern! Wie heißt es bei der Computer-Bild so treffend: "Themen rund um Computer und Software sind durch die vielen englischen Vokabeln für manche Anwender nur sehr schwer nachvollziehbar." Dass der Umgang mit Würmern in elektronischer Post oder Keksen von Gespinst-Dienstleistern einfacher ist als mit den denglischen Pendants, das scheint nach dieser Preisverleihung nun endgültig entschieden. Verloren hat übrigens auch die FAZ. Am letzten Montag druckte sie ein halb fiktives Gespräch von Programmiern über ihre Arbeit ab. Daraus möchte ich nur einen Satz zitieren, der zeigt, wie richtige Programmierer sprechen, wenn sie ihre Arbeit beschreiben: "Wenn ich mit einer Programmiersprache wie Perl arbeite und das Handbuch oder mein Lehrer sagen mir, dass ich, wenn ich die Anzahl der Elemente einer Liste wissen will, die Liste formal einem Skalar zuweisen muss oder einer vergleichbaren Regel dieser Art, dann ist das ganz was anderes, als wenn ich mich für eine Versform und Metrik entscheide und das dann durchziehe wie Paul Valéry in 'La jeune Parque', wo er den Alexandriner von Anfang bis Ende ohne Taktverstöße ausfüllt." Ja, so reden sie, unsere Programmierer, und es gibt keine Software-Bild, die uns ihre Codes übersetzt.

*** Angesichts dieser unserer Programmierer ist es ein Glücksfall, wenn wenigstens ihre Programme lesbar sind und dem Recht der freien Rede entsprechen. Die Entscheidung eines kalifornischen Gerichtes, DeCSS nach dem amerikanischen Recht auf Free Speech zu bewerten, ist wohl das wichtigste Ereignis dieser Woche, weit wichtiger als alle faulen Kompromisse à la Microsoft, die zu Heldentaten à la Yahoo führen werden. Wir freuen uns für Andrew Bunner und hoffen, dass der Fall für Emanuel Goldstein und seine Crew ebenfalls in diesem Sinne entschieden wird. Und ein zartes, sehr zartes Pflänzchen der Hoffnung wächst, dass die deutschen Kommentatoren zu verstehen beginnen, dass DeCSS kein Einbruchswerkzeug für Hacker ist. Oder, um im Stil der Leser dieses unseres Newstickers zu bleiben: Mit Linux ist was wichtiges passiert.

*** Paul Valéry, den der gemeine Programmierer offensichtlich so schätzt, meinte übrigens: "Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die sich nicht kennen, zum Nutzen von Leuten, die sich kennen, aber nicht massakrieren." Und dies wiederum -- wozu Programmierer manches Mal nicht so alles gut sein können -- führt uns auf eine kleine Weltreise, die in den USA beginnt: Als Ronald Reagan im Januar 1989 das Weiße Haus verlassen musste, versuchte sich seine Crew an der bis dahin größten Datenlöschaktion der Computergeschichte. Geschätzte 10.000 Bänder von Tape-Streamern sollten "unauffällig" gelöscht oder versteckt werden. Genau 5.907 überlebten die Aktion und enthielten genug Material, um die E-Mail vergangener Tage zu rekonstruieren. Der Dokumentar Tom Blanton veröffentlichte 1995 aus dem Material das Büchlein "White House E-Mail", das den so genannten Iran-Contra-Skandal erhellen wollte. Wer heute das Buch zur Hand nimmt, wird sich eher für die lobenden E-Mails interessieren, die Colin Powell und andere über den Kampf der afghanischen Mujahedin verfassten: The brave fight for freedom. Doch in unserem Zusammenhang ist wichtiger, was gerade in Hamburg passiert. Dort stehen drei Journalisten vor Gericht, die über die Löschung von 3 Gigabyte Daten in den letzten Tagen der Regierung Kohl berichtet haben. Verhandelt wird nicht darüber, wer den "Bundesdatenlöschtag" angeordnet, wer die Entf-Aktion mitmachte, sondern was die Journalisten aus geheimen Vernehmungsprotokollen zitiert haben. Verhandelt wird darüber, was Pressefreiheit in Digitalien wert ist. Nur der Vollständigkeit halber: Als Bush Senior abtrat, versuchte er, seine Backups in mehreren Lastwagen nach Texas zu schicken. Clinton ließ ein Gesetz verabschieden, das seine elektronische Kommunikation außerhalb des Archivrechtes und des Freedom of Information Act stellte. Wenn bei uns Häuptling "ruhige Hand" die letzten Tage im Kalender anstreicht, werden wir sicherlich den nächsten Trick bestaunen dürfen.

Was wird.

Wenn diese besinnlichen Betrachtungen online gehen, tobt in Paderborn im Heinz Nixdorf MuseumsForum die lange Computernacht, eine wunderliche Veranstaltung, geboren aus dem Wunsch des Fernsehens, richtigen Geeks zur Geekzeit über die Schultern zu gucken. Moderiert wird das Ganze von zwei Herren, die tapfer gegen ihren Kultstatus anreden. Wenn der letzte Satz gespeichert ist, schalte ich rüber und sage Tschüss: Die Zeiten, in denen Dot.com-Bobos die Tür des Veranstalters eintreten wollten, um ihre Produkte ungestört im Fernsehen präsentieren zu können, diese Zeiten sind dahin. Mit enormen Schwierigkeiten musste man schon diesmal kämpfen, Firmen nach Paderborn zu bekommen. So wird es die letzte Computernacht sein, in der Tüftler, Moderatoren und Roboter zeigen, dass sie einander nicht verstehen. Als nächstes Nachtformat soll sich der WDR überlegen, eine LAN-Party zu übertragen. Das klingt modisch, ist aber nicht annähernd so schräg.

Ein Abschied in Trauer? Aber nicht doch: Mit Lena und garstigen Pinguinen begann der Rückblick, mit Nina und netten Pinguinen soll er aufhören. Nina Ruge, die viel gefragte "Star-Journalistin" und der Bild-Kommentator und Stifter Franz Beckenbauer eröffnen als Taufpaten zu Nikolaus das "Internet für Kinder" unter dem Namen Internet-abc. Ein Maskottchen und Avatar des Portals, das Kindern "Medienkompetenz" in Form eines "Netzführerscheins" beibringen soll, ist ein Pinguin mit Fliege. Anders als Tux hat er immer ein blaues Buch dabei, in dem er ständig liest. Wahrscheinlich ist es "Perl für Kinder". Lesen ist erwiesenermaßen schlecht für die Augen, die Medienkompetenz und die Informationsflut, also trägt dieser Jung-Pinguin eine Brille, wie Linus Torvalds. "Kinder müssen wissen, wie man vernünftig mit den Schattenseiten des Internet umgeht", heißt es in der Einladung zum ABC-Projekt, das die Bertelsmann- und die Heinz-Nixdorf-Stiftung tragen. Zwei stiften besser als einer, wird man sich gedacht haben. Tja, die Schattenseiten des Netzes, die offenen Passworte oder fehlerhaften Browser und dummen Kekse wird der kleine Pinguin schon umschiffen lernen, wenn er den anderen Pinguin getroffen hat. Und dann suchen sie noch den kleinen Maulwurf, den Elefanten, Lars Eisbär kommt auch mit, doch -- aus die Maus! (Hal Faber) / (jk)