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Was war. Was wird.

O tempora, o mores? Nein. Tempus fugit? Auch nicht. Doch die Zeiten sind schlecht, denn die Zeit vergeht schnell: Ehemalige Mogule verschwinden, seltsame Internet-Allianzen tun sich auf, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Kinder, wie die Zeit vergeht. Natürlich rasend schnell in diesem Internet und mit Kindereien: Bei der letzten Rückschau fanden Unisys und Microsoft mit ihrer peinlichen Kampagne "We have the way out" Erwähnung, die mittlerweile wirklich mit Microsoft-Software funktioniert. "We have the way in" zeigt, wie es weitergeht. Wie abgestanden wirken schon wieder all die Aprilscherze über Napster, das Microsoft kauft, oder Bill Gates, wenn man lesen muss, dass Bertelsmann den Rest von Napster haben will, koste was es wolle? Ja, hören denn die Aprilscherze nie auf?

*** Manchem wird die Zeit dagegen lang: Ob nun the Way in oder the Way out, so einige verkaufen gerne den alleinseligmachenden Weg zu was auch immer. Dabei führen doch alle Wege nach Rom, oder, in diesem unserem Falle, zu einem funktionsfähigen Computer-System. Man muss sich nur Mühe geben. Als DAU jedenfalls. Immer. Überall. Solcher Mühe überdrüssig scheinen dagegen andere Leute zu sein, die den gewöhnlichen User gerne als nichtexistentes Wesen sehen. Ob man aber damit glücklich wird, als selbst-examinierter alter Hase etwa für Open Source andere Kriterien zu beanspruchen als für Microsoft? Manche, nicht nur vermeintliche alte Hasen, erwarten Wohlverhalten der Journaille, nur weil sie Open Source von Natur aus für etwas Besseres halten -- ähnliche Forderungen von Microsoft ließen das Internet erzittern ob all der Aufregung wegen Zensur und gekaufter Artikel. Sollte sich vielleicht Open Source dagegen nicht doch in der Realität bewähren, ohne besondere Schutzzäune? Will die Szene, ob nun unter den Begriff Open-Source-Gemeinde, Linux-Lager oder was auch immer subsumiert, so ernst genommen werden wie sie beansprucht, muss sie sich wohl oder übel auch gefallen lassen, mit derselben Elle wie andere gemessen zu werden.

*** Damit uns die Zeit nicht allzu schnell vergeht, verlassen wir vermintes Gelände und kehren zu den Freuden des Lebens zurück: Sex ist also nicht mehr der treibende Moment im Internet, ganz anders als im realen Leben. Da ist es einfach nur gut, wenn die Gesichtserkennung funktioniert. Manchmal soll man eben nicht mehr reindürfen. Wenn Tiere Chips tragen und Menschen auch und mein Weinglas sowieso, dann ist es an der Zeit, Scanner zu bauen, die mich hydraulisch künstliche Lebensform vor den Nachstellungen automatischer Prozesse schützt.

*** Wie die Zeit vergeht, ist aber nicht nur lustig. Vor 20 Jahren wurden die Falkland-Inseln von Argentinien besetzt, begann ein scheinbar absurder Kampf um 1.800 Menschen und einige zehntausend Schafe. Alles nur, um eine Flagge zu hissen? Wem dies schon allzu weit in der Menschensgeschichte entfernt ist, dem sei der Bosnien-Krieg empfohlen, der vor 10 Jahren am 6. 4. 1992 ausbrach, in Gedenken an den 6. 4. 1941, als Hitlerdeutschland Jugoslawien zerstörte. Doch wer erinnert sich an die 1.350 Tage dauernde Belagerung von Sarajevo, wenn die Belagerung von Ramallah Schrecken und Tod verbreitet? Bei den Falklands war es im Internet still, der erste Krieg, der nachhaltig das Netz erschütterte, war der Golfkrieg. Er brachte das heute gern belächelte Usenet zum Überlaufen -- doch niemand glaubte damals an die Krisen-entschärfende Kraft dieser Kommunikation. Ob dies dagegen mit dem Engagement von Indymedia in Jerusalem im Staate Israel gegeben ist, wird sich noch zeigen müssen.

*** Für manche vergeht die Zeit aber auch besonders schnell: Bei Microsoft ist der COO Rick Belluzzo ausgeschieden, das Rätselraten darüber, was ein Chief Operating Officer zwischen den Ober-Chiefs Ballmer und Gates überhaupt machen kann, hat damit ein Ende, anders als der Streit zwischen Microsoft und Lindows oder der Antitrust-Prozess, der voraussichtlich erst 2880 beendet werden wird. Bis dahin werden wir uns daran gewöhnt haben, dass Microsoft auf Dauer jeden Gegner auf seine Seite bringt. Tja, Bill Gates und Steve Ballmer sind richtige Luder. Luder, das wusste schon Albert Vigoleis Thelen, sind in jedem Geschlecht gleichwohl vertreten. Ja, Microsoft hat Luder, baut Prozessoren und, wenn diese Kolumne lange genug läuft, wird Anne Winblad doch Vizepräsidentin zwischen Steve und Bill.

*** Aber die Zeit ist reif, wenn sie nicht vergeht, reif jedenfalls für seltsame Allianzen, etwa zwischen Markenrechtsanwälten und Freies-Internet-Protagonisten. Seltsame Allianzen gibt es aber auch auf der anderen Seite. Die mögen zufällig durch Neuvergabe von IP-Adressen entstehen oder ungewollt ohne beabsichtigte ideologische Nähe entstehen -- zu denken geben sollte es aber den Internet-Filterern schon, wenn die Comics christlicher Fundamentalisten in den USA sich entsetzter arischer Jungweißer und schwarzer Pornographen bedienen, um Argumente für Filter-Software zu illustrieren. Das bleibt als Konsequenz: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden, und auch wenn die Urheberin des Spruchs nicht gerade frei von Fundemantalismus war, so gilt doch, dass Fundamentalisten, egal welcher Coleur, von übel sind. Ebenso wie Zensur, auch wenn sie sich gegen verquaste Apologeten der selbst ernannten Befreier richtet, deren eines Opfer heute seinen 25. Todestag hat.

*** Die Zeit, die sollte sich dehnen bis ins Unendliche, dass die Tage nie vergehen. Der Stoßseufzer von manch geplagtem Beschäftigen bei KirchMedia über immer neue Horror-Nachrichten, die nur wieder zu dubiosen Rettungsmeldungen führen, ist nur allzu verständlich -- zumal sich die Beobachter kaum besser fühlen, angesichts der Alternativen, die da Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi heißen. Was man sich einbrocken könnte, zeigt sich alleine daran, dass die ganze Republik aufatmet, wenn der Axel Springer Verlag als Retter der Kirch-Gruppe gehandelt wird. Immer noch besser, die gewohnten Dumpfheiten der Bild-Zeitung als die mit genauer Absicht gezielten Gemeinheiten der Berlusconi-Sender oder der Murdoch-Blätter. Der Australier, der die US-Staatsbürgerschaft annahm, um nicht unter die gesetzlichen Beschränkungen für Ausländer in der amerikanischen Medien-Branche zu fallen, hat es sogar geschafft, das journalistische Traditions-Flaggschiff "Times" zu Grunde zu richten. Dann doch lieber die Epigonen des Axel Cäsar. Kai Dieckmann turtelt mit der Ex-Autorin der Seite-1-Miezen bei Bild und Mathias Döpfner schreitet brav immer zwei Schritte hinter Friede einher, da kann doch kein Berlusconi und schon gar kein Murdoch mithalten. Und wir haben unsere Ruhe. Auch vor Kirch und seinen Sendern, die uns in diesem Bundestagswahlkampf möglicherweise nicht mehr mit Jubelarien über einen CDU-Kandidaten wie noch zu seligen Kohl-Zeiten beglücken. Edmund "the Bavarian" Stoiber hält sich in der Öffentlichkeit brav aus der Kirch-Krise heraus -- wohlweislich. Stattdessen zuckte bei Gerhard "Old Calmhand" Schröder die Hand zu schnell: Steuergelder für die Fußballmillionäre, da schreit die gequälte Seele des bundesdeutschen Steuerzahlervolkes auf. Das schreckt dann selbst Stoiber-Busenfreund Berlusconi ab. So gesehen: Geschickter Schachzug, Herr Schröder.

Was wird.

Was werden könnte, wenn sich in diesen langen oder kurzen Tagen, zu schnell oder zu langsam vergehenden Zeiten manche Leute eines Besseren besännen, daran dürfen wir uns am 12. April erinnern -- an diesem Tage vor 45 Jahren, am 12. April 1957, trugen ein paar Wissenschaftler -- 18, um genau zu sein -- dazu bei, Konrad Adenauer seine schönen Pläne für die atomare Aufrüstung der Bundeswehr zu vermiesen. Mancher der "Göttinger 18", nicht umsonst in Anspielung auf die demokratische Tradition der "Göttinger 7", zu denen beispielsweise auch die Gebrüder Grimm und Gauss-Kollege Wilhelm Weber gehörten, so genannt, mag dies auch als späte Wiedergutmachung begriffen haben. Zumindest könnte man die Beteiligung von Werner Heisenberg im Lichte der jüngst veröffentlichten Brief-Entwürfe von Niels Bohr so interpretieren. Solcher Art Wiedergutmachung lassen wir uns gefallen, auch wenn sie nichts entschuldigt. (Hal Faber) / (jk)