Europäisches Patentamt dreht weiter an der Softwarepatent-Schraube

Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat entschieden, dass Computersimulationen einen "technischen Effekt" haben und patentierbar sein können.

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(Bild: Feng Yu/Shutterstock.com)

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Beim Europäischen Patentamt (EPA) dürfte es künftig noch einfacher werden, gewerbliche Schutzrechte auf Software erteilt zu bekommen. Die Große Beschwerdekammer der Münchner Behörde hat am Mittwoch im Fall G 1/19 geurteilt, dass auch reine Computersimulationen einen "technischen Effekt" entfalten und so prinzipiell patentierbar sein können. Dafür müssten sie in der Folge noch den Stand der Technik voranbringen und so die Innovationshürde überspringen.

In dem Beschluss der höchstgerichtlichen Instanz im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) geht es um den Patentantrag Nummer 03793825.5 der US-Firma Bentley Systems, die Konstruktionssoftware herstellt. Das Unternehmen will mit der Anmeldung einen gewerblichen Rechtsschutz für eine Computersimulation erhalten, mit der der Fluss mehrerer Fußgänger durch eine Umgebung wie ein Gebäude abgebildet wird. Die zuständige Prüfabteilung wies das Ersuchen zunächst zurück. Sie monierte vor allem, dass die Simulation nicht zum technischen Charakter der beanspruchten Erfindung beitrage.

Bentley Systems ging gegen die Ansage in die Berufung. Die zuständige Technische Beschwerdekammer legte der Großen Beschwerdekammer daraufhin drei grundsätzliche Fragen zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Simulationen" vor. Sie ging dabei davon aus, dass es sich bei der Bentley-Software um eine allein im Rechner stattfindende Simulation "als solche" handle. Die angerufene Instanz blieb nun aber ihrer umstrittenen Linie rund um Softwarepatente treu und erweiterte sie um reine Designlösungen.

Das EPÜ schließt "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" beziehungsweise Software "als solche" in Artikel 52 von der Patentierbarkeit aus, da es sich dabei nicht um technische Erfindungen handelt. Die Beschwerdekammern des EPA legen diese Klausel aber seit Jahrzehnten so aus, dass sie Monopolansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" zulassen. So gehen sie etwa bei der "Verbesserung des Kontrastes" eines Bilds oder der effizienteren Aufteilung von Arbeitsspeicher durch ein Computerprogramm von einem "technischen Effekt" aus, der schutzwürdig sein kann. Laut Kritikern wird damit der EPÜ-Kerngehalt ausgehöhlt.

Die Große Beschwerdekammer bezog sich in ihrer aktuellen Entscheidung nun hauptsächlich auf den Comvik-Fall von 2002. Patente auf "reine Geschäftsmethoden" sollen damit von vornherein ausgeschlossen bleiben, nicht jedoch softwaregestützte Verfahren, solange auch nur ein Element der Ansprüche einen technischen Charakter hat. Simulationen sind demnach so einzuschätzen wie alle anderen computerimplementierte Erfindungen.

Weiter stellte die Kammer fest, dass ein beanspruchtes Merkmal einer computerimplementierten Erfindung nicht nur dann zu deren technischem Charakter beitragen kann, wenn es mit einer technischen Wirkung in Form einer Eingabe wie einer Messung eines physikalischen Werts oder einer Ausgabe etwa eines Steuersignals für eine Maschine verbunden ist. Ein solcher direkter Bezug zur physikalischen Realität sei nicht in jedem Fall erforderlich. Technische Effekte könnten auch innerhalb des computerimplementierten Prozesses auftreten, etwa durch spezifische Anpassungen eines Rechners oder der Datenübertragung. Zuvor hatte das EPA bereits Ansprüche auf Maschinenlernen und Cloud Computing erleichtert.

Für Unmut sorgt derweil auch der vergleichbare Kurs der Behörde bei Biopatenten. Die Kampagne "Keine Patente auf Saatgut" hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht dazu am Donnerstag einen Bericht über Patentanträge auf konventionell gezüchtete Pflanzen übergeben. Die Mitgliederorganisationen fordern die SPD-Politikerin auf, Maßnahmen gegen die Patentierung von Flora und Fauna zu ergreifen, wie es Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag vereinbart habe. Es gebe bereits zahlreiche Beispiele dafür, wie BASF, Bayer-Monsanto, DowDupont, Syngenta & Co. rechtliche Schlupflöcher beim EPA nutzten, um Patente auf Gerste und Bier, Melonen oder auch Salat aus biologischer Züchtung zu erhalten.

(bme)