Missing Link: Das Netz und seine Knoten – Aufstieg des DE-CIX (Arnold Nipper)

Der Internetknoten DE-CIX ist ein deutsches Vorzeigeunternehmen. Arnold Nipper hat maßgeblich zu dem Erfolg beigetragen – er erinnert sich an die Anfangszeit.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 58 Kommentare lesen

(Bild: Timofeev Vladimir/Shutterstock.com)

Lesezeit: 34 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Die deutschen Internetpioniere verabschieden sich nach und nach aus dem aktiven Dienst. Ein Grund für die Missing Links, noch einmal nach den "wilden Jahren" zu fragen. Heute sprechen wir mit Arnold Nipper, Chefevangelist des DE-CIX.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Der deutsche Internetknoten DE-CIX ist der weltweit größte Austauschpunkt für IP-Verkehr überhaupt. Hinter dem Erfolg steht maßgeblich auch Arnold Nipper, ein weiterer Netzmacher aus der Karlsruher Zorn-Schule. Augenzwinkernd kann er noch heute zwischen den glitzernden Marketingbotschaften des deutschen Vorzeigeunternehmens und den technischen Möglichkeiten und auch Herausforderungen unterscheiden. Seit fünf Jahren lässt er die "jungen Burschen" ran, er selber wirkt als Evangelist des DE-CIX, ganz pragmatisch.

Dies ist eine weitere Folge unserer Gesprächsserie mit Pionieren des deutschen Internets:

heise online: Du bist heute Evangelist, und nicht mehr CTO bei DE-CIX. Was macht denn der Evangelist? Der predigt den rechten Weg?

Arnold Nipper: Namen sind Schall und Rauch. Es ist einfach, die Aufgabe ist, die Firma auf technischen Konferenzen zu vertreten.

heise online: Also weniger Operatives?

Arnold Nipper – Chief Technology Evangelist and Co-Founder bei De-Cix

(Bild: De-Cix)

Arnold Nipper: Genau. Seit fünf Jahren mache ich das Operative nicht mehr. Ich habe sehr fähige Mitarbeiter, Daniel Melzer und Thomas King. Das sind junge Burschen, die wollen noch was reißen. Wir wollten im DE-CIX langsam auch den Generationenübergang angehen und haben das in der Technik gemacht – und ich habe daher andere Funktionen übernommen.

heise online: Du bist auf den internationalen Konferenzen unterwegs...

Arnold Nipper: Ich habe das vorher auch schon gemacht. Aber seither bin ich noch wesentlich mehr unterwegs, oder war es bis vergangenen Februar. Außerdem arbeite ich weiter bei der Peering-Datenbank mit, da bin ich schon seit 15 Jahren sehr aktiv. Ich bin außerdem im Vorstand von DeNog (Deutsche Network Operator Group) und bei OpenIX und in einigen Programm-Komitees engagiert.

heise online: Das sind alles ehrenamtliche Sachen...

Arnold Nipper: Schon, aber es fällt unter das, was wir als DE-CIX-Mandat verstehen. Daher stellt der DE-CIX dafür Personalkapazität und teilweise auch Sponsoring bereit.

heise online: Gehen wir mal zu den Anfängen. Du warst bei der Bundeswehr, das unterscheidet dich von den meisten anderen frühen Netzwerkern, oder nicht?

Arnold Nipper: Tja, ich wurde vor dem Abitur gemustert und für tauglich erklärt. Ich hab mich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, soll ich dahin oder nicht. Aber guten Gewissens hätte ich nicht verweigern können. Ich habe mich so eingeschätzt, dass ich mich wirklich verteidigen würde, wenn mir jemand an die Wäsche geht. Das hört sich vielleicht hart an, aber das ist so. Hinzu kam, ich wollte studieren und brauchte dafür Geld. Daher habe ich mich für zwei Jahre verpflichtet.

heise online: Du hast Radartechnik gemacht…

Arnold Nipper: Ich war Flugsicherungsradarmechanikergehilfe. Das ist ein wunderschönes Wort, das vielleicht nur die Bundeswehr erfinden kann. Hört sich spannend an, aber die Tätigkeit selbst war nichts Besonderes. Die Art, wie Menschen zusammenarbeiten, finde ich spannend. Armeen sind eine sehr extreme Form der Organisation, die sehr stark von oben nach unten auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet sind. Top-Down und Organigramme sind dabei gar nicht mein Ding. In jeder Organisation braucht es Strukturen, aber wichtig sind Informationsstrukturen – daher kommt vielleicht meine Vorliebe fürs Netzwerk. Wenn Informationsstrukturen nicht sauber ausgebildet und implementiert werden, funktioniert eine Organisation nicht.

heise online: Im Studium hast du gleich alles gemacht, Mathe, Physik und Informatik…

Arnold Nipper: So ist es. Ich bin Diplommathematiker. Da brauchte ich ein Nebenfach. Zuerst hatte ich Physik. Aber nach einer Weile habe ich doch überlegt, was ich später arbeiten will. Dann habe ich einerseits in die Informatik und gleich auch noch von Heidelberg nach Mannheim gewechselt.

heise online: Wie kamst du von da in die Truppe von Prof. Zorn?

Arnold Nipper: In Mannheim war ich Hiwi im Rechenzentrum und mein dortiger Chef, Prof. Meuer, war gut befreundet mit Werner Zorn und hat mich gefragt, ob ich mich da nicht vorstellen will. 1989 bin ich so zum Werner Zorn gekommen.

heise online: Das klingt pragmatisch und noch nicht evangelikal…

Arnold Nipper: Ich hatte am Ende zwei Eisen im Feuer. Ich hätte auch bei der Software AG, der damals größten Softwarefirma in Deutschland, als Programmierer im Datenbankbereich anfangen können. Damals habe ich mich, ich weiß gar nicht mehr genau warum, für die Stelle bei Professor Zorn entschieden. Zunächst kam ich in ein Projekt, da ging es um X500. Aber es gab damals auch schon das Xlink-Projekt, wo es darum ging, eine Internetanbindung aufzubauen. Xlink wollte Zorn, anders als bei Conware, nicht als Uni-Ausgründung starten, weil sich bei Convers nach ein paar Jahren die Gründer verkracht hatten. Mit Xlink wollte er daher einen anderen Weg gehen und sich an eine große Firma anhängen. Dafür hatte er die Bull AG ausgewählt, die damals noch einen großen Standort in Deutschland hatte. Zum 1.1.1994 wurde also Xlink an den Netzwerkbereich der Bull AG, die NTG, angegliedert. Michael Rotert wurde dann zusätzlicher Geschäftsführer bei der NTG und wir haben dann mit insgesamt sieben Leuten aus der Uni heraus Xlink gestartet.

heise online: Xlink war anfangs also gar nicht unabhängig?

Arnold Nipper: Nein, das ist sie erst später geworden. Anfangs gehörte sie zur NTG. Sie hatte Standorte in Köln, nach der Wende auch in Chemnitz. Insgesamt hatte die NTG an den verschiedenen Standorten knapp 100 Leute. Die haben allerdings hauptsächlich physikalische Verkabelung gemacht. Wir waren da eine eigene Abteilung und saßen in Karlsruhe.

heise online: Wann habt ihr euch abgespalten?

Arnold Nipper: Das haben wir gar nicht getan. Es war einfach so, dass das Geschäft mit der Verkabelung immer weiter zurück ging und die Nachfrage nach Internet immer größer wurde. Daher ging NTG praktisch in Xlink auf, die Kinder haben die Mutter aufgefressen.

heise online: Wie hast du in dieser Zeit die Protokoll-Kriege erlebt?

Arnold Nipper: Die waren letztlich der Grund, dass Werner Zorn gesagt hat, ich hab die Schnauze voll und ich versuche jetzt selbst eine Internetanbindung zu realisieren. Jahrelang hat er das zusammen mit dem DFN gemacht und ich wiederhole jetzt gar nicht, was er über die gesagt hat. Also… er hatte einfach keinen Bock mehr, ewig zu warten. Es gab ja den Spruch von den Internetinseln in der ISO-Welt. Zorn war der Meinung, man braucht sofort was, und er war bereit, für eine funktionierende Anbindung auch das Risiko einzugehen, weniger Fördergelder zu bekommen. Das waren Kontroversen.

Wenn ich mir heute das Konstrukt überlege, war es reichlich abenteuerlich. Es gab vom Rechenzentrum der Uni Karlsruhe – die hatten eine große Siemens-Anlage – eine große Managementleitung. Das war eine 19.2 Kilobit Managementleitung, die ging zu Siemens nach München. Und Siemens hatte damals auch ein weltumspannendes Netz, das hieß, glaube ich, Vascom. Darüber haben wir eine Verbindung zum NyserNet, New York State Education and Research Network, hergestellt. Von NyserNet hat sich später die Cogent abgespalten. Wir haben also über das interne Siemens-Netz im August 1989 die 9.6 Kbit-Verbindung von Karlsruhe nach New York bekommen. Da hing ja schon das ganze BelWü hinter uns und dann kamen so nach und nach industrielle Kunden. Die Informatikrechenabteilung hat durchaus auch schon vorher kommerzielle Kunden mit E-Mail versorgt. Seit 86 haben die übers CSNet schon E-Mail angeboten. Bosch war da Kunde. BASF war Kunde. Daran erinnere ich mich sehr gut. CSNet ging auch direkt von Karlsruhe in die Staaten.

heise online: Was sagst du zur Anekdote, dass Dortmund mit UUCP Dienste angeboten hat und Werner Zorn sagte, was, Nordrhein-Westfalen hat internationale Konnektivität und wir nicht, das geht gar nicht. Stimmt das? UUCP war ja natürlich noch nicht TCP….

Arnold Nipper: Also CSNet hatte auch nicht TCP/IP. Das war nochmal ein gesondertes Protokoll. Es gab ja damals mehrere Protokolle. Im EARN (European Academic Research Network) war ein IBM-Protokoll verbreitet.

heise online: Warum hat sich TCP/IP deiner Meinung nach durchgesetzt?

Arnold Nipper: Addressierung, Layering und Dienste, das hat gut funktioniert. Mit UUCP und auch mit den anderen Sachen konnte man durchaus nicht nur E-Mail machen. Aber viel basierte auf Store and Foward-Konzepten, etwa RDE (Remote Data Entry) und solche Dinge, mit denen Jobs auf entfernten Rechnern ausgeführt werden konnten. Das gab es bei TCP/IP mit Telnet oder später SSH.