Verwirrung um Widerrufsrecht für "Bestell und hol ab"-Geschäfte

In Zeiten des Lockdowns bieten lokale Händler oft eine Online-Kaufanbahnung. Ein Widerrufsrecht gibt es dabei aber nur, wenn Händler es freiwillig einräumen.

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(Bild: Chiociolla/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Harald Büring
Inhaltsverzeichnis

Not macht erfinderisch. So entdeckt der stationäre Handel, gebeutelt durch die Einschränkungen im Zuge von Lockdown-Maßnahmen, verstärkt das Internet. Allerdings hat das Betreiben eines eigenen Online-Shops seine ganz eigenen Bedingungen und Tücken. Nicht zuletzt gehören dazu die verbraucherfreundlichen Regelungen für Fernabsatzgeschäfte. Es geht insbesondere um das 14-tägige begründungslose Widerrufsrecht bei Käufen, das man einräumen und über das man auch noch auf pingeligst vorgeschriebene Weise informieren muss.

Manch alteingesessener Ladenbetreiber möchte nicht zum Versandhändler werden, sondern das Netz nur als großes Schaufenster und Bestellmedium gewinnen – um die Ware dann zur Abholung bereitzuhalten. In einigen Bundesländern ist das Betreten von Läden bei vereinbarten Terminen nach dem "Click and Meet"-Muster auch im Lockdown erlaubt. Anderenorts finden sich vielfach kontaktlose Übergabe- und Bezahlwege außerhalb von Geschäftsräumen.

Mischformen zwischen Online-Shopping und lokalem Einkauf lassen rechtliche Unsicherheiten aufkommen. Wenn bestellte Ware im Rahmen eines Fernabsatzvertrags geliefert wird, haben Verbraucher normalerweise das Recht, den Kauf innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Das ergibt sich aus § 312g Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 355 BGB. Der Gesetzgeber begegnet damit dem Umstand, dass Interessierte die Ware nicht vor dem Kauf gründlich anschauen können.

Vielen vom Online-Shopping verwöhnten Kunden ist das Ausprobieren nach dem Motto "Was nicht gefällt, geht zurück" in Fleisch und Blut übergegangen, sodass sie wie selbstverständlich bei allen Käufen davon ausgehen. Dabei sieht das Gesetz beim konventionellen Shopping in Läden weder ein Widerrufs- noch ein Umtauschrecht vor. Eine Rückabwicklung von Käufen ist dann nur im Rahmen von Gewährleistungsansprüchen bei Sachmängeln vorgesehen (§ 437 BGB).

Oft räumen Läden für Vor-Ort-Abhol-Käufe freiwillig auch dann ein Widerrufsrecht ein, wenn sie das von Gesetzes wegen nicht müssten.

Zu Verwirrung kommt es unter anderem, weil viele Ladenbetreiber freiwillig großzügige Umtausch- oder Rückgaberechte einräumen. Dabei geht es aber eben nicht um eine gesetzliche Verpflichtung.

Bei hybridem Einkaufen hängt die Frage nach dem gesetzlichen Widerrufsrecht daran, ob im konkreten Fall ein Fernabsatzvertrag zwischen Verkäufer und Verbraucher vorliegt oder nicht. Nach § 312c Abs. 1 BGB ist das der Fall, wenn Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss ausschließlich über Fernkommunikationsmittel erfolgen. Ein Kunde kann vor dem Abholen per Mail, Webformular oder Telefon mit dem Verkäufer in Verbindung gestanden und so ein Kaufangebot abgegeben haben. Wenn der Verkäufer dieses rechtsverbindlich angenommen hat, bevor der Kunde das Geschäft aufsucht, liegt ein Fernabsatzgeschäft vor – das gesetzliche Widerrufsrecht greift.

Oft werden aber bei hybriden Einkäufen Artikel online lediglich reserviert. Die eigentliche Kaufentscheidung fällt dann letztlich doch vor Ort, wenn es ans Bezahlen geht. Die Voraussetzungen des § 312c Abs. 1 BGB liegen dabei nicht vor – dem Kunden steht kein gesetzliches Widerrufsrecht zu.

Darüber hinaus setzt das Bestehen eines Fernabsatzvertrages gemäß § 312c Abs. 1 BGB voraus, dass der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist. Davon geht man dann aus, wenn ein Geschäft seine Waren nicht nur gelegentlich versendet, sondern systematisch auch mit dem Angebot einer Bestellung über Telefon beziehungsweise Internet wirbt. Das ergibt sich aus der Begründung des Gesetzgebers im Entwurf zur Umsetzung der europäischen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.

Weiterführende Literatur
  • Daniel Löwer, Click and Collect – Besonderheiten beim Widerrufsrecht, MMR-Aktuell 2021, 436258
  • Carsten Föhlisch in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, Werkstand: 54. EL, Oktober 2020, Teil 13.4, Rd. 40

Wie knifflig die Sache mit den Fernabsatzgeschäften sein kann, zeigt ein Fall, der sich bereits vor der Corona-Krise ereignete: Im Frühjahr 2019 hatte eine Gebrauchtwagenhändlerin einen BMW über mobile.de angeboten. Eine Verbraucherin rief an und sagte, sie wolle das Fahrzeug erwerben. Daraufhin schickte die Händlerin ihr per E-Mail ein Bestellformular, das keine Widerrufsbelehrung enthielt. Dieses sollte die Kundin unterschrieben zurücksenden. In dem Formular stand unter anderem: "Der Kaufvertrag ist abgeschlossen, wenn der Verkäufer die Annahme der Bestellung innerhalb der in den Gebrauchtfahrzeugverkaufsbedingungen geregelten Fristen schriftlich bestätigt oder die Lieferung ausführt." Unter "Zahlungsweise und sonstige Vereinbarungen" stand: "Bezahlung vorab per Überweisung. Auslieferung nach Geldeingang bei der … ."

Manche freiwilligen Rückgaberegelungen von Läden gehen noch weit über das hinaus, was das gesetzliche Widerrufsrecht fürs Verbraucher-Fernabsatzgeschäft vorsieht.

Nachdem die Verbraucherin das unterschriebene Formular zurückgesendet hatte, schickte die Händlerin ihr die Rechnung zu. Die Kundin überwies daraufhin den Betrag und bekam dann die Fahrzeugpapiere zugesendet. Einige Tage später holte der Ehemann der Käuferin das Fahrzeug ab. Etwa 10 Monate später widerrief die Verbraucherin den Kaufvertrag. Nachdem die Autohändlerin den Widerruf nicht anerkennen wollte, verklagte die Kundin sie auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 25.299 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Gebrauchtwagens. Sie berief sich darauf, dass die Parteien einen Kaufvertrag abgeschlossen hätten, der als Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB anzusehen sei.

Das Landgericht (LG) Osnabrück sah die Klage als nicht begründet an. Die Käuferin habe durch ihre Bestellung per E-Mail lediglich ein Vertragsangebot per Fernkommunikationsmittel abgegeben. Die Verkäuferin habe den Kaufvertrag erst angenommen, als der Wagen abgeholt wurde. Somit sei der Vertragsschluss nicht ausschließlich über Fernkommunikationsmittel im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB erfolgt.

Außerdem, so das Gericht, scheide ein Widerrufsrecht aus, weil es an einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystem im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB fehle. Die Verkäuferin habe sich nur ausnahmsweise auf eine telefonische Bestellung eingelassen.

Die Käuferin legte Berufung ein. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg sah im März 2020 die Sache mit der Vertragsannahme anders als die Vorinstanz: Bereits durch das Zusenden der Rechnung habe die Verkäuferin den übers Internet erklärten Antrag der Kundin auf Abschluss des Kaufvertrags angenommen. Darin liege eine konkludente Erklärung, die auf Annahme ausgerichtet sei. Auch aus der elektronischen Übersendung der Fahrzeugpapiere ergebe sich, dass die Händlerin ebenfalls einen Kaufvertrag habe schließen wollen.

Dennoch scheiterte die Klage: Die Oldenburger Richter wiesen wie das LG Osnabrück darauf hin, dass der Abschluss des Vertrags nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt sei. Selbst die niedrigen Anforderungen, die man an das Vorhandensein eines solchen Systems stellen dürfe, seien nicht erfüllt. Aus der Aussage des Geschäftsführers ergebe sich vielmehr, dass die Verkäuferin nur selten Kaufverträge unter dem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen habe. Die meisten Kunden hätten sich die Gebrauchtwagen zunächst einmal ansehen wollen. Auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) scheiterte die Käuferin: Er wies ihre gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurück (Beschluss vom 9.2.2021, Az. VIII ZR 73/20).

Ebenso wie es im stationären Handel auf freiwilliger Basis bereits viele großzügige Rückgabelösungen gibt, ist dies auch bei Bestell- und Abhol-Angeboten der Fall. So finden sich etwa auf der Plattform Atalanda.com, die unter anderem die Präsenzen der Monheimer "Lokalhelden" beherbergt, durchweg Widerrufsbelehrungen, die auch Abholgeschäfte einschließen.

Die Vielfalt möglicher freiwilliger Lösungen hat Verwirrungspotenzial. Begriffe wie "Rückgabegarantie" oder "Bequemer Umtausch" bedeuten nicht unbedingt das Gleiche wie das gesetzlich verankerte Widerrufsrecht. Die genauen Bedingungen sind wichtig, unter denen Anbieter sich zur Rücknahme verpflichten. Auch auf die genannte Frist ist zu achten: Sie könnte kürzer sein als die vom Online-Handel gewohnten 14 Tage.

Verbraucher haben es beim Hybrid-Einkauf somit nicht mit einem einheitlichen Phänomen zu tun. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als bei den Angeboten und den dafür geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) in jedem Fall genau hinzusehen.

Ist von einer Reservierung die Rede? Taucht etwa das Schlagwort "Click & Reserve" auf? Soll der Kaufvertrag beim Abholen vor Ort geschlossen werden? Steht nirgendwo etwas von einem Widerrufs- oder Rückgaberecht? Dann wird bei dem Kauf auch keines bestehen. Daran ändert eine bloße Bestellbestätigung per E-Mail nichts.

Umgekehrt: Finden sich Slogans wie "Click & Collect" und gibt es eine Widerrufsbelehrung, die sich auf den Hybridkauf bezieht? Dann genießen Verbraucher den vom Online-Shopping gewohnten Komfort. Wenn sie eine ausdrückliche Rechnung vor der Abholung zugeschickt bekommen, weist das ebenfalls darauf hin, dass der Kauf den Gepflogenheiten für Fernabsatzgeschäfte folgt.

Wie bei vielen Rechtsfragen heißt also auch hier unterm Strich die Antwort: "Es kommt drauf an. Man muss im Einzelfall genau hingucken." Was ja ganz allgemein kein schlechter Rat bei Kaufentscheidungen ist.

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(psz)