Was war. Was wird. Irgendwie geht's weiter.

Oh ja, Demokratie ist schon eine gefährliche Sache, da könnten doch glatt die Falschen Leute (tm) was zu sagen haben. Hal Faber wundert sich.

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"Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten." Nun ja, das hat sich Heine sicher etwas einladender vorgestellt, das mit dem Himmelreich.

(Bild: Markus Pfaff / Shutterstock.com, Text aus: Heinrich Heine, Ein Wintermärchen)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Unversehens gehört uns der Morgen.
Irgendwie geht's.
Irgendwie, gelitten und gelebt.
Eine Nation, die nicht zerbrochen ist,
    nur unvollendet.

*** Es ist erschienen, wie in der letzten Woche angekündigt. Aus The Hill We Climb wurde "Den Hügel hinauf", aus "we lay down our arms", einer Anspielung an den amerikanischen Bürgerkrieg, ist "wir werden nicht die Hand gegeneinander erheben" geworden. Das klingt eher wie ein Transparent der österlichen Friedensmärsche, passt also zu diesem Wochenende, aber nicht so recht zur Amtseinführung von Präsident Biden. Um es gendergerecht zu sagen: Viele Kochende verderben den Brei. Immerhin kann man beide Fassungen miteinander vergleichen und bekommt eine Ahnung, warum die drei Übersetzerinnen das Gedicht entdramatisierten. Aber Kritik an Übersetzungen von Gedichten ist immer etwas billig, das gilt auch für die Gegenrichtung, wenn man den großen Barden Heinrich Heine nimmt, der über die unvollendete Demokratie in Deutschland ein liebevolles, kleines Wintermärchen schrieb.

***A new song, a better song,
O friends, I speak to thee!
Here upon Earth we shall full soon
A heavenly realm decree.
Joyful we on earth shall be
And we shall starve no more;
The rotten belly shall not feed
On the fruits of industry.

*** Ja, wir könnten hier auf Erden schon ein Himmelreich errichten, aber noch leben wir in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein Land, in dem in dieser Woche nach langer Wartezeit das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität in Kraft treten konnte. Bekanntlich gab es Bedenken gegen die Bestandsdatenauskunft und die Herausgabe von Passworten. Ob das Gesetz hilft, die rechte Hetze und den Rechtsextremismus zu bremsen, wird sich zeigen müssen. Die vorab errechnete Zahl von 150.000 Verfahren pro Jahr klingt jedenfalls eindrucksvoll. Ebenso eindrucksvoll ist die Leistung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die sich in dieser Woche gegen das Demokratiefördergesetz aussprach, weil mit ihm "zu linke" Organisationen unterstützt würden. Da sieht man, wohin das Nachdenken führt, wenn es in Köpfen wie denen von Armin Laschet und Horst Seehofer passiert. Der Mord an ihrem Parteikollegen Walter Lübcke liegt lange zurück, die Toten von Hanau sind auch vergessen. Da beschäftigt man sich doch lieber mit der Frage, ob ein Rechtsausleger wie Hans-Georg Maaßen für den Bundestag kandidieren soll. "Der bewegt sich längst jenseits der Grenzen, die die Union für sich gezogen hat und auf denen sie auch bestehen sollte." Ist es auch Irrsinn, so hat es doch Methode.

*** Hans-Georg Maaßen möchte für die CDU dort antreten, wo der Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann nach dem Aufdecken einer Masken-Affäre abgetreten ist. Der Fall Hauptmann wie der Fall des €$U-Abgeordneten Alfred Sauter zeigen, wie wichtig ein Gesetz wäre, dass den Schutz von Whistleblowern regelt. Hier stehen ausgerechnet die unionsgeführten Ministerien auf der Bremse, obwohl bis zum 17. Dezember 2021 ein solches Gesetz nach der EU-Richtlinie umgesetzt sein muss. "Ein Mensch, der den Mut aufbringt, Straftaten oder andere Verfehlungen gegenüber seinem Arbeitgeber oder Behörden zu melden, sollte nicht um seinen Job und seinen Ruf fürchten müssen. Und solange sie niemanden absichtlich falsch beschuldigen, sollten Whistleblower rechtlich abgesichert sein." Der bisherige Entwurf sieht vor, dass Whistleblower selbst entscheiden, ob sie intern in einer Firma oder einer Behörde Alarm schlagen können oder ob sie sich an eine externe Meldestelle wenden. Das erscheint einigen Nachdenkern in der CDU/CSU viel zu gefährlich, auch mit Blick auf die Schutzmasken- und Schnelltestskandale. Wie wäre es, mit einem dieser hübschen Gesetzesnamen wie "gute Arbeit von morgen" etwas Schwung in die Bundesbuden zu bringen, etwa mit einem "Mutige Hinweisgeberschutzgesetz"?

*** Apropos Nachdenker und hübsche Gesetzesnamen. Etwas verwunderlich ist es schon, dass noch niemand Frank Underwoods "America Works Programme" mit Joe Bidens "American Jobs Plan" assoziiert hat. Aber solche Namensassoziationen sagen ja nichts über den Inhalt und die Politiker aus. Halt, Moment, Francis Underwood war gar kein Politiker, sondern nur eine von einem inzwischen geächteten Schaupspieler dargestellte Figur? So kann's gehen, wenn die Monster das Bewusstsein prägen und Netflix die Geschichtsschreibung übernimmt. Was die Briten besonders bedauern.. Medienkompetenz, my ass. Lustig ist die Biden/Underwood-Assoziation trotzdem.

*** Aber zurück in die Niederungen der realen Politik. Glaubt man dem nachdenklichen, jedoch gern die Wissenschaft ignorierenden Kanzlerkandidaten Armin Laschet, so steht uns ein wunderbares "Modernisierungsjahrzehnt" bevor. Sieht man genauer hin, so hat es schon angefangen. Seit Januar gibt es eine elektronische Patientenakte auf dem Smartphone, in die man seine Medikamente einscannen kann und Angaben zur Dosierung eintippen kann, sofern man diese Medikamente nicht länger als drei Jahre einnimmt. In dieser Woche wurden die ersten Spezifikationen für eine Desktop-App für die Patientenakte veröffentlicht, damit man auch am großen Bildschirm eines PC auf seine Gesundheitsgeschichte gucken kann. Auch der umgekehrte Weg wird in diesem Modernisierungsjahrzehnt beschritten. Seit längerem gibt es den neuen Personalausweis, mit dem man seine Identität via Kartenleser oder mit einem NFC-fähigen Smartphone nachweisen kann. Nun haben die ersten Projekte mit einem digitalen neuen Personalausweis begonnen, der fürderhin auf dem Smartphone residiert. Schlappe 50 Millionen sollen in Projekte gesteckt werden, das Smartphone zum vollwertigen Ausweisträger auszubauen, was dann auch noch europaweit funktionieren soll. Freilich ohne Überwachungsgesamtrechnung, in der ein gläserner Bürger einfach nur ein gläserner Bürger ist.

*** Nein, dieser 1. April war eigentlich kein guter Tag für launige Aprilscherze. Dennoch muss an den besonders gut gelungenen Aprilscherz der Berliner Wasserbetriebe erinnert werden, die ein Bestellformular für Rohrbrüche ins Internet setzten. Irgendjemand muss beim stets aufmerksamen in den Weltraum hinauslauschenden Bundesnachrichtendienst das Formular ausgefüllt haben, denn prompt fehlte den BND-Agenten am 1. April das nötige Nass zum kreativen Nachdenken auf dem stillen Örtchen. Sehnlich dachten sie wohl an die Zeit, als das Gebäude nach einem "Wasseranschlag" volllief, was einen Schaden von mehr als 1 Million Euro verursachte. Damals gab es viele Spekulationen, ob ein anderer Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte und den Einbau von Überwachungstechnik tarnen wollte. Ansonsten gilt, wie bereits in der letzten Wochenschau erwähnt, #followtheglitchkarnickel. Das überdimensionale, flimmernde Kaninchen ist nach wie vor an Berliner Hauswänden zu sehen, während die anvisierte Zielgruppe der Hacker im Homeoffice sitzt und im österlichen Lockdown Eier bemalt. Unterdessen sind die stillen Örtchen im Gebäude gut besetzt: Es gilt, die Vorfälle an der russisch-ukrainischen Grenze zu enttüfteln.

Ostern ist nicht nur ein christliches Fest mit Erinnerungen an ein Abendmahl, bei dem Personen aus 13 Haushalten zusammensaßen, vom selben Brot aßen und aus demselben Becherchen tranken. Pandemietechnisch die reine Katastrophe. Ostern anno 2021 ist auch die hohe Zeit des politischen Eiertanzes. Hier der nachdenkliche Herr Laschet, dort der stürmische Herr Söder. Wer kann, wer will Kanzler? Das gilt auch für das andere Osternest. Hier die stürmische Frau Baerbock mit ihrer Aufholjagd, dort der nachdenkliche Herr Habeck. Wer kann, wer will Kanzlerin? Allein der Wahlslogan ist schon eine Herausforderung: Veränderung schafft Halt, das ist so eine Formulierung, wo man in Versuchung kommt, gleich einmal Stopp zu rufen. Ist das letzte Schokoei gegessen, der Eierlikör ausgetrunken, der letzte, härteste Lockdown aller Zeit gestartet, wissen wir Bescheid. Das nennt sich dann Fortschritt. Anfang der 90er waren wir von ihm überzeugt.

(jk)