Kommentar: Drohnengefahr im Schwarm

Experten warnen vor den militärischen Fähigkeiten von Schwärmen aus kleinen unbemannten Fluggeräten. Wolfgang Stieler fragt sich, ob das übertrieben ist.

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Kampfdrohne, hier einzeln.

(Bild: viper-zero / shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Drohnenschwärme könnten schon bald zu Massenvernichtungswaffen werden warnt der Sicherheits-Spezialist Zachary Kallenborn im Bulletin of the Atomic Scientists. Folglich müssten sie international reguliert werden.

Die Zeitschrift, die von ehemaligen Mitarbeitern des Manhattan Project gegründet wurde, warnt seit 1945 vor den Gefahren eines technologischen Rüstungswettlaufs - und ist vor allem bekannt durch die plakative Darstellung des Atomkriegsrisikos auf ihrer Weltuntergangsuhr. Seit einigen Jahren beschäftigt die Organisation sich jedoch auch mit neuen Entwicklungen wie militärischen KI-Anwendungen, der Bewaffnung des Weltraums, Hyperschallwaffen – und nun eben auch Drohnenschwärmen.

Tatsächlich interessiert das Thema Schwarm die Militärs seit Jahren. Denn Schwärme können kollektiv Probleme lösen, die einzelnen Schwarm-Individuen nicht lösen können. Und das alles ohne eine zentrale Steuerinstanz, basierend auf Selbstorganisation. Ein Schwarm besteht aus relativ einfachen Agenten, die nach lokalen Regeln miteinander interagieren und dennoch gemeinsam beeindruckend komplexes Verhalten zeigen.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Das klingt fast wie gemacht für einen militärischen Kontext: Schwärme von unbemannten Fluggeräten (UAVs) können mit minimaler Kommunikation gelenkt werden – der Schwarm wäre gegenüber feindlichen Abhör- und Störungsversuchen sehr viel unempfindlicher als herkömmliche militärische Kommunikations-Infrastrukturen. Weiter entwickelte Schwärme könnten zudem arbeitsteilig vorgehen – Ziele identifizieren, Abwehr ablenken, angreifen, weiter erkunden, kommunizieren und so weiter. Und das alles ohne einen großen, qualitativen Sprung in der KI, denn – siehe oben – die einzelnen Schwarm-Bestandteile müssen nicht allzu „intelligent“ sein. In „Kill Decision“ hat der Thriller-Autor Daniel Suarez beeindruckend geschildert, wohin das führen könnte – die Realität hat ihn mittlerweile schon fast eingeholt.

Technische Fortschritte bei Antrieben, Akkus, Sensoren und Software – mittlerweile vor allem vom zivilen Sektor getrieben – haben folglich zu einem wahren Boom in der Entwicklung militärischer Schwärme geführt. So zählt das Magazin Forbes in einem aktuellen Artikel allein zwölf aktuelle militärische Schwarm-Projekte auf. Hat Kallenborn also Recht? Wird da – weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit – die nächste Massenvernichtungswaffe entwickelt? Brauchen wir eine internationale Rüstungskontrolle für die Dinger?

Vorerst wahrscheinlich nicht. Denn wie immer neigen Entwickler im militärischen Umfeld dazu, die Fähigkeiten ihrer Systeme hoch- und die Probleme herunterzuspielen. Und es gibt mindestens ein zentrales Problem, das gerne mal übersehen wird: Zwar können Schwärme theoretisch jedes Problem lösen – mathematisch lässt sich sogar zeigen, dass ein Schwarm aus unendlich vielen Individuen „Turing-vollständig“ ist, dass sich also jeder Algorithmus, der mit einer Turing-Maschine läuft, auch mit dem Schwarm umsetzen lässt. Doch es gibt kein allgemeines Verfahren, um aus der gewünschten Verhaltensweise für Schwärme die Regeln abzuleiten, nach denen die einzelnen Schwarm-Individuen zusammen arbeiten. Das erfordert noch immer eine Mischung aus Intuition, Erfahrung und Glück.

Das muss aber nicht so bleiben. Und die historische Erfahrung hat gezeigt, dass neuartige Waffen, die einmal verfügbar sind, sich nur sehr schwer wieder unter das Kontrollregime internationaler Abkommen zwingen lassen. Also kein Grund in Alarmismus zu verfallen, aber ein guter Grund darüber zu diskutieren, was wir eigentlich wollen – und was nicht. (wst)