4W

Was war. Was wird.

"Es war einmal", beginnt Hal Faber in dieser Woche seine Suche nach Web-Preziosen und entdeckt dabei, dass Computerspiele bei Politikern unentwegt Kurzschlüsse erzeugen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 79 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Es war einmal zu der Zeit, als die Computertechnik weit, weit entwickelt war und auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft ein unvergleichlich liebreizendes Wesen entwickeln konnte, das von einer kleinen, militanten Computertruppe postwendend zum Abschuss freigegeben wurde. Ist es hier nicht mit den Händen greifbar, wie sehr der Umgang mit dem Computer verrohend wirkt? Wer heute in die verrauschten Star-Wars-Episoden stolpert, muss erst einmal konstatieren, dass der Zeitstrang Zuschauer so verwirrt, dass sie die Handlung von Star Wars mit dem "märchenhaften Kinderschwachsinn der Unendlichen Geschichte" vergleichen wollen. Jar! Jarrrr!

*** Ja, ja, die Macht ist mit dir: Wenn Computerspiele bei Politikern unentwegt Kurzschlüsse erzeugen, ist es nicht das Schlechteste, auf die Unabhängigkeit der Wähler zu setzen. In Deutschland sind ganz ohne Büssow-Klemme 600 Online-Angebote und 363 Computerspiele indiziert, Counter-Strike jedoch nicht. Der Rückblick ist ein Blick nach vorn: In ein und derselben Woche verdammen Politiker ein und derselben Partei Counter-Strike als Killerspiel und loben im Rahmen einer Medien-Messe die Ausstrahlung des Millionenspiels. Nein, hier ist nicht vom Quiz die Rede, in dem zum Teil grenzdebilen Kandidaten massenweise Zaster winkt, sondern von einem TV-Film, der am 18.10.1970 im deutschen Fernsehen lief. Das Millionenspiel löste eine große Debatte darüber aus, ob Bilder zur Gewalt aufrufen können -- und durfte fortan nicht mehr gezeigt werden. Schnee von gestern; am 8. Juli, im Westdeutschen Rundfunk, läuft er wieder. Und was lernen wir daraus? Dass Kurzschlüsse schon nach rund dreißig Jahren fast keine Wirkung mehr zeigen.

*** Wolfgang Menge, der Autor des Millionenspiels, drehte übrigens auch die SF-Geschichte Das zehnte Opfer, die Robert Sheckley 1962 veröffentlichte. Aus der Geschichte entwickelte Sheckley den Netrunner, ein Spiel für Karten, dann Computer, das zur Ahnengalerie aller Cyberpunks gehört. Weit von Sheckleys grimmig-witzigen Ideen sind wir nicht entfernt. Der Sprachumdreher ist schon da und auch die Vanille-Cola konnte in dieser Woche Premiere feiern. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wann dieses Gesöff wie der direkte Konkurrent Code Red von Mountain Dew zum Virus geadelt wird. Crack the Code, crack the Coke!

*** "Durch Armbandsender und Interkommunikationssysteme sind die Menschen jederzeit zu orten und stehen in ständigem akustischen Kontakt miteinander: Wenn sie nicht sprechen oder einem Bekannten zuhören, werden sie unablässig mit Nachrichten, Werbung und Unterhaltungsmusik beschallt." Das ist nicht von Sheckley, sondern dem SF-Kollegen Bradbury, der in seinem Mörder 1964 eine Welt voller Spam beschrieb. Auch das kommt uns bekannt vor. So blicken wir auf eine Woche zurück, in der die Schweizer Lauterkeitskommission, das Gegenstück unseres Werberates, von einem Spammer vor Gericht beschuldigt wurde, die unternehmerische Freiheit, die Freiheit der Worte und die Freiheit der westlichen Welt zu torpedieren. Die Kommission hatte zuvor seinen Spam gestoppt. Am Mittwoch stoppte ein Zürcher Richter die Klage des Spammers gegen die vermeintliche Unlauterkeit. Wie schön, dass auch in den USA die Einsicht da ist, dass Spam möglicherweise mehr als nur Datensülze ist.

*** Und bei uns? Da tourt die Digitale Wirtschaft durch die Hauptstadt und spamt die Politik mit Forderungen zur eigentümlichen Verwertbarkeit digitaler Güter zu. Ein Verband, der seine Mitglieder ausdrücklich zum Spam auffordert; nur heißt es vornehmer "akzeptables E-Mail-Marketing", mit dem üblichen Opt-In-Wischiwaschi. Was von solchen Gebräuchen zu halten ist, hat unter der Woche Microsoft gezeigt.

*** Apropos Microsoft. Im Jahre 1982 besuchte Bill Gates auf der mittlerweile angeschlagenen Comdex dreimal hintereinander den Stand der Firma VisCorp und ließ sich ihr VisiOn vorführen. Kurz danach redete man bei Microsoft vom "Windows Operating System Environment", das freilich erst 1985 erschien, unter genau diesem Namen, deutlich als Erweiterung gekennzeichnet. Das reichte 20 Jahre später einem Richter, die Klage gegen Lindows abzuweisen. Unter den vielen Versuchen, die sich damals mit dem Einbau von Fenstern und Frames beschäftigten, befand sich auch die Firma Lotus mit ihrem Lotus Explorer. Das Programm fiel bei seiner Premiere durch. Der Name sei schuld, befanden die Blütenkenner und tauften das Programm in Magellan um. Auch so lebte es nicht lange. Die gerechte Strafe für eine Firma, die sich mit Hal, der Human Access Language an meinem Namen vergriff.

*** Bleiben wir in der Geschichte. Wie die Freiheit der Meinung auf amerikanisch definiert werden kann, dafür liefert die IEEE seit Tagen ungeachtet aller Proteste ein schönes Beispiel. Vielleicht sollte die Vereinigung an ihre eigene Geschichte erinnert werden, als die IEEE gegen den Widerstand der amerikanischen Regierung im Kalten Krieg begann, russische Computerwissenschaftler aufzunehmen. Im letzten Herbst feierte man noch den Russian Pioneer Day auf dem viel von der Überwindung von Gräben und Gräbern die Rede war - doch das vergangene Jahr ist lang vorbei. Wer allerdings blindlings über Amerika im Tickerforum herzieht, dem sei gesagt, dass dieses Land auch positive Seiten hat. Nehmen wir nur die Creative Commons, die dem Unsinn entgegentreten, der heute über das Copyright verbreitet wird. Give Me Fair Use (Or Give Me Death).

Was wird

*** "Wir sind das Voll!" wirbt eine Ladenkette dieser Tage in Berlin für ihre supergünstigen Angebote mit einer sprachlichen Banane. Inhaltlich ist's die reine, die lautere Wahrheit. US-Präsident Bush besucht Berlin und bekommt auch das Voll zu sehen, weniger die angekündigten Demonstrationen gegen das Völlegefühl. "Welcome, Mr. President", so soll Bush mit einer großen Plakat- und Zeitungsaktion von Siemens und der Deutschen Bank begrüßt werden. Und zwar mit einer Fahne auf der das Sternenbanner mit dem Berliner Bären gemorpht ist, gedacht als visuelle Illustration von "Ich bin ein Berliner". Das Ganze ist als Symbol gegen die Demonstrationen gemeint und wurde von der Agentur konzipiert, der wir schon das Fahndungsplakat vom Kanzler Schröder zu verdanken haben. Willkommen, Herr Bush, im Land des Voll, das voll solidarisch steht und seine Außenpolitik als Site License der USA betreibt. Die Organisation von Mitfahrgelegenheiten auf den Webseiten der Globalisierungsgegner von Attac werden von der Polizei überwacht, als ob sich die Militanten dort ordnungsgemäß anmelden. Ob Bush vielleicht nur ein Papiertiger ist, will man in Berlin vorher auf der Volksuni (mit 'k') klären, die sich mit dem Thema "Digitaler Kapitalismus" befasst.

*** Einen hab' ich noch: Während Bush Berlin besucht, beginnt in Frankfurt direkt am Main das mak-Museum mit der ersten Ausstellung zur Geschichte der Computerviren unter dem Titel "I love you". Aber ist ILOVEYOU wirklich schon Computergeschichte? Erinnert sei an "Love me", jenen noch ziemlich harmlosen Sex-Virus, der im Stil eines Bildschirmschoners schon 1983 ein Fensterl voller Herzen (ASCII 3) öffnete und dann nölte:

You know I feel so bored when you leave me unattended...
It's like I'm just a cold and useless piece of metal with no feelings. But when you come back and your hand parts open my disk drive to insert a disk, I shiver...
I know you'd like to get in there with me between your spread sheets. I try to tell you to give me more memory; I swear I would use it all to remember your face and your secrets.
I can just imagine your hands rearranging my cables, passing right over my 8088 spot. Ahh! Go ahead strip me of my cover.
All that's between you and me is a few screws... And also remember I want you to stop taking that lap-top home with you at night. I stay up all night while you guys have a good time together.
Gently touch me anywhere on the keyboard when you want to continue working.

In diesem Sinne, liebe Nachteulen: Streichelt eure Keyboards! (Hal Faber) / (em)