Walkman-Designer: "Unglaubliches Design wird heute nicht einmal mehr angeschaut"

Ross Lovegrove hat für Sony in den 80ern den Walkman mitgestaltet und für Apple gearbeitet. Mit TR spricht er über Retrokult und was Design heute bedeutet.

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(Bild: Ayrese - Lovegrove Studio Iamge / cc-by-sa-3.0)

Lesezeit: 5 Min.

Lovegrove, Jahrgang 1958, wurde in Cardiff geboren. Er studierte bis 1983 am Royal College of Art in London Industriegestaltung und stieg dann bei Frog Design ein, dem bekannten deutschen Designstudio. Dort war er unter anderem für die Kunden Sony und Apple tätig. Heute gestaltet er unter anderem für den Unterhaltungselektronikhersteller KEF.

Technology Review: Herr Lovegrove, ist Design mehr eine Frage der Ästhetik oder der Funktionalität?

Ross Lovegrove: Es gibt Gestalter, die damit gesegnet sind, eine perfekte Funktionalität in ihren Designs zu erreichen, da ist alles wunderbar gelöst und aufmerksam durchgearbeitet. Aber wenn man dann einen Schritt zurück geht und sich das erschaffene Objekt ansieht, fehlt ihm eine Seele, ein Gleichgewicht der Maße der Dinge oder einfach eine Präsenz, die von Kultur, Kunst, von Respekt vor der Existenz und von etwas Wertvollem zeugt.

In meiner Arbeit versuche ich, viele dieser oft fehlenden Qualitäten zum Ausdruck zu bringen. Das drückt sich auch im Preis aus, weil ein gutes Produkt eine Investition ist. Auch geht es darum, die Emotionen der Menschen zu berühren, die mehr wollen, als nur ein funktionelles Bedürfnis zu befriedigen.

TR: Sie sind vor allem als einer der Designer des Sony Walkman bekannt. War Ihnen klar, dass das eine besondere Arbeit wird, dass solche tragbaren Musikspieler ein wichtiger Teil unseres Lebens werden?

Lovegrove: Das war ein total faszinierender Moment in den frühen Achtzigern, als Sony genauso dominant war wie Apple heutzutage bei innovativen mobilen Produkten. Es gab für mich keinen Vorgänger zum Walkman, also keine Referenz, was sehr entscheidend ist, wie wir beim iPod und ähnlichen Produkten gesehen haben: Die wurden praktisch ohne Konkurrenz in ihrem Bereich führend.

Der Walkman und seine Audiotechnik waren etwas sehr Analoges, etwas sehr physisch Greifbares und nach den damaligen Standards gebaut. Aber er hat funktioniert und viel verändert in Hinsicht auf die Art, wie wir Musik in Freiheit genießen können. Es war auch sehr inspirierend an diesem Programm zu arbeiten und zu konzeptualisieren, wie es sich mit der Zeit entwickeln könnte.

Was ich gelernt habe, ist, dass Innovationen bei einem Format auch zu Innovationen bei einem Produkt führen. Heute leben wir in einer fortgeschrittenen digitalen Gesellschaft, in der Miniaturisierung, Integration und neue Materialien und Produktforschung noch immer tolle Produkte inspirieren, auch im Bereich der portablen Audiotechnik.

TR: Die Technik hinter dem Walkman ist mittlerweile lange überholt, das Design lebt nur noch auf nostalgische Weise weiter. Insbesondere die Achtziger werden in den Mainstream-Medien heutzutage gefeiert, aber eben nicht mehr als innovativ. Wie fühlt sich das an, wenn Design altert?

Lovegrove: Interessante Frage. Für Designer wie mich wurde Sony immer mit dem größten Respekt hochgehalten für seine Innovationskraft, Qualität, schönes Design und ästhetische Präsenz. Mittlerweile sind sie zu einem geschlossenen Laden geworden und deshalb isoliert.

Vor etwa 15 Jahren baten sie mich, einen Fernseher zu entwerfen. Dafür gaben sie mir einen Monat Zeit. Ich habe ein Modell in voller Größe mit allem in Schaumstoff eingepackten Zubehör persönlich in Tokio abgegeben. Es war der weltweit erste weiße Fernseher mit einem weißen Bildschirmschoner, einem je nach Platzierung sehr anpassungsfähigen Format: mit Füßen, ohne Füße, für die Wand, freistehend, mit einer Federung, Internet, etc. Die haben mich dann gefragt, ob es okay wäre, das Gerät schwarz zu färben. Das sagt einem doch alles, oder nicht?

Ich erzähle das als Beispiel dafür, dass Unternehmen und Marken altern und manchmal nicht den Mut haben, sich selbst neu zu erfinden. Elektronikprodukte vergreisen aufgrund ihres schnellen Zyklus der natürlichen Überalterungen, denn es handelt sich um Geräte, die in einem globalen Wettkampf der Verbesserungen und Innovationen mit ihren Konkurrenten stehen. Wir müssen akzeptieren, dass Dinge sich verändern und überholt sind. Andererseits kann man beispielsweise auch Apples Ehrerbietung vor Braun in deren Design sehen und das ohne Nostalgie.

Der Walkman wird 40 (10 Bilder)

Mit ihr fing alles an: Ohne die 1963 von Philips vorgestellte Compactcassette hätte es wohl noch sehr lange keine mobile Musikunterhaltung mit dem persönlichen Wunschprogramm gegeben. Philips verzichtete auf Lizenzzahlungen, um Sony als Partner für sein Format zu gewinnen.
(Bild: Philips)

TR: Ihre Karriere startete vor bald 40 Jahren. Würden Sie sagen, dass Designer heutzutage über andere Fähigkeiten verfügen müssen als Designer damals?

Lovegrove: Absolut, denn der Prozess ist computerbasiert, digital und dadurch sehr komplex. Ich meine hiermit Industriedesign, weniger Möbel oder Innenausstattung. Denn ersteres unterscheidet sich um Welten, wenn es um das Wissen und die Expertise geht, die nötig sind, um etwas zu schaffen und zu verstehen, das auf einem hochentwickelten Level funktioniert.

Ich habe sehr viel Respekt für Hartmut Esslinger und Frog Design und habe vielleicht nie ganz begriffen, welch ein Privileg es war, als Nummer Acht ihrem Team beitreten zu dürfen. Rückblickend erkenne ich, wie diszipliniert Hartmut darin war, eine sehr klare Design-Sprache für alle Produkte und Konzepte dieser Zeit zu schaffen. Diese Klarheit war außergewöhnlich und mit Sicherheit ebenbürtig zu dem, was Dieter Rams bei Braun erreicht hat.

TR: Was denken Sie über aktuelle Design-Trends? Bemerken die Menschen großes Design oder geht das im allgemeinen Lärm unter?

Lovegrove: Ich habe den Eindruck, dass alles so ersetzbar und entbehrlich geworden ist und dass Design, das früher für unglaublich gehalten worden wäre, heute nicht mal mehr angeschaut wird, solange es nicht auf Facebook- oder Instagram-Profilen mit riesigen Followerzahlen auftaucht.

Mitarbeit: Ramona Raabe

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»Innen sieht es fast immer furchtbar aus«

Lesen Sie dazu auch das TR-Interview mit der Designlegende Hartmut Esslinger, der mit Lovegrove bei Frog Design zusammengearbeitet hat.

(bsc)