Dieses IT-Desaster hinterlässt die Große Koalition

Probleme beim Telekommunikationsgesetz, IT-SiG 2.0, Quellen-TKÜ und anderen Vorhaben. Große netzpolitische Erblast. Experte nennt Gesetzesvorhaben "Katastrophe".

Mitten in der Arbeit an einer ganzen Reihe von teils lange geplanten und von der EU eingeforderten IT-Gesetzen sieht sich die Bundesregierung zunehmender Kritik von Experten und Oppositionspolitikern ausgesetzt. Unter Zeitdruck liefere sie mangelhafte Qualität und Bürokratiemonster, missachte wissenschaftliche Grundlagen, untergrabe die Sicherheit und die Souveränität der Bürger sowie der Industrie und zerstöre Vertrauen in den Staat. Telepolis hat mit Politikern und Experten über einige der Vorhaben gesprochen.

Zunächst kamen die Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (IT-SiG 2.0), vom Bundestag am 22. und 23. April verabschiedet, in vielen Medien gut weg. "Schnelles Internet für alle" und "endlich Sicherheit vor Hackern", das seien doch gute Sachen, dafür lohnten sich auch Investitionen.

Doch Opposition und Experten beklagen unisono Entstehungsweise und Inhalt der Gesetze, die auf den letzten Metern und unter großem sowie selbst verschuldeten Zeitdruck – die Umsetzung von EU-Verordnungen wurde lange verschleppt – noch gravierende Änderungen verpasst bekamen.

Sachverständige, die als Experten in Ausschüsse geladen wurden, bemängelten beispielsweise bei der TKG-Novelle, dass ihre Expertise nicht gehört und offenbar gar nicht gewünscht war. Von "Missachtung des Parlaments" bis zur verfassungsrechtlichen "Katastrophe" angesichts der tiefen Grundrechtseingriffe und Überwachungsmaßnahmen, die das neue TK-Gesetz vorsieht, ist die Rede. Auch der IT-Mittelstand sieht eine "Chance verpasst", der Text sei voll von ungeeigneten Maßnahmen.

Das zentrale Vorhaben des IT-Sicherheitsgesetzes, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zur Hackerbehörde auszubauen, nennen Kritiker "pure Augenwischerei", die Deutschland nur noch unsicherer mache.

Manuel Atug, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastrukturen (AG Kritis) und Sachverständiger im Bundestag für das IT-SiG 2.0, erklärt gegenüber Telepolis:

Das IT-SiG 2.0 zeigt weiterhin die eklatante Strategie- und Ziellosigkeit des Gesetzgebers im Cyberraum. Erfolglos wird der Spagat versucht: Einerseits will man offensiv befugniserweiternde Maßnahmen für Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste zur Gefahrenabwehr einbringen, andererseits aber auch die Cyberresilienz für Kritische Infrastrukturen erhöhen, also die robuste und widerstandsfähige Versorgung der Zivilbevölkerung durch KRITIS-Betreiber erhalten.

Manuel Atug, Sprecher AG KRITIS

Aber wer Hintertüren aufmacht oder anordnet, so wie es das IT-SiG vorsieht, zerstört gleichzeitig jegliche Sicherheit. Wer seine Haustüre offen lässt, damit die Polizei im Notfall schneller helfen kann, gestattet auch Kriminellen den Zugang - eine Binsenweisheit. Wer Briefe verbietet und Postkarten zum Standard erklärt, untergräbt das Vertrauen der Bürger und leistet Fake-News und dubiosen Gestalten Schützenhilfe.

Genau das, meint Atug, nimmt der Gesetzgeber wohl bewusst und billigend in Kauf, anders könne man sich nicht erklären, "warum die gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung der Wirksamkeit der seit sechs Jahren bestehenden Gesetzeslage nicht vorgenommen wurde". Das sei "fast schon wissenschaftsfeindlich und schlicht verantwortungslos", so Atug weiter.

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