Forscher: Karlsruhe mahnt mit Klimaurteil auch Schutz der Netzfreiheit an

Politik und Gesellschaft sollen Internetfreiheiten für künftige Generationen sichern, hieß es bei einer Debatte zu den Universalitäts-Indikatoren der Unesco.

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(Bild: RUKSUTAKARN studio / Shutterstock.com)

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Matthias Kettemann, Leiter eines Forschungsprogramms zu digitalen Kommunikationsräumen am Leibniz-Institut für Medienforschung alias Hans-Bredow-Institut (HBI), sieht Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimagerechtigkeit auch in der Pflicht, eine "nachhaltige Digitalisierung und digitalisierte Nachhaltigkeit zu erreichen". Es gelte daher, gemeinsam ein Zeichen zu setzen "mit guter Internetregulierung" und einer "menschenrechtsbasierten Gesetzgebung" für die künftige Netznutzung.

Die Karlsruher Richter hätten mit ihrer von Fridays for Future erstrittenen Grundsatzentscheidung daran erinnert, dass bestehende Freiheiten für künftige Generationen verteidigt werden müssten, erläuterte Kettemann bei einem Panel über die Universalitäts-Indikatoren für das Internet der Unesco auf der virtuellen Netzkonferenz re:publica am Samstag. Dies gelte auch für die digitale Welt. Der Wissenschaftler gehört zu den Leitern eines Teams, das eine Studie mit Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung des Internets im Lichte der Unesco-Prinzipien erstellt.

Vor allem jungen Menschen sollten das Internet als Raum sehen, "in dem sie ihr Wissen erweitern können", verdeutlichte Kettemann. Sie müssten befähigt werden, dort Angebote für lebenslanges Lernen zu finden, die gegen Desinformation wirken und die Gesellschaft gegen die Infodemie immunisieren könnten.

Die Corona-Pandemie habe die Universitäten angesichts des Ausnahmezustands "nach vorne gedrückt bei der Digitalisierung der Lehre", meinte der Forscher. Insgesamt bestehe bei der Internetnutzung hierzulande aber "noch Luft nach oben", gab er einen Ausblick auf die Ergebnisse der Studie, die im Sommer veröffentlicht werden soll. Jugendliche seien zwar zu rund 100 Prozent online und die Zugangsgeschwindigkeit habe sich verdoppelt. Noch hinke Deutschland aber beim Breitbandausbau hinterher und es gebe vor allem nach wie vor große Unterschiede zwischen Städten und ländlichen Regionen.

Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung aus der analogen Welt spiegeln sich Kettemann zufolge generell in der virtuellen wider. Bei der künftigen Netzregulierung müsse daher nun eine "menschenrechtsorientierte Nutzung" im Vordergrund stehen.

Die Pandemie habe auch gezeigt, dass weite Teile von Staat und Gesellschaft bei der Digitalisierung noch hinterherhinkten, ergänzte Geraldine de Bastion, Gründerin des Global Innovation Gathering (GIG), das Betreiber von Maker- und Hackerspaces sowie Innovationszentren verbindet. Es gebe keine digitale Bettenerfassung in Krankenhäusern, die Schul-Clouds funktionierten nicht, da sich Bund und Länder in föderalistischen Strukturen verfangen hätten. Alle bestellten bei Online-Lieferdiensten wie Amazon, die hierzulande aber "nicht besteuert" würden. In der Netzpolitik müssten daher Konsultationsverfahren mit der digitalen Zivilgesellschaft verfestigt werden angesichts der "immensen Lobbykraft der Internetkonzerne".

"Gestalten können wir die digitale Transformation am besten mit internationalen Partnern", gab Regine Grienberger, Cyberbotschafterin des Auswärtigen Amts, als Losung aus. Dazu sei es aber zunächst wichtig, die eigenen Hausaufgaben zu machen und im Interesse von Frieden und Sicherheit für ein freies und offenes Internet zu werben.

In den UN-Reihen tue sich hier eine zunehmende Spaltung auf, berichtete die Beauftragte für Cyberaußenpolitik. Eine Gruppe "gleichgesinnter Staaten" halte mit Deutschland die Rechte des Individuums wie Meinungsfreiheit und Datenschutz hoch und setze auf Rechtsstaatlichkeit sowie das Völkerrecht im Cyberspace. Die andere habe ein "autoritäres Verständnis" und wolle die Kontrolle über das Individuum aufs Netz ausdehnen. In diesen Staaten herrsche Massenüberwachung, die Pressefreiheit werde eingeschränkt, die freie Meinungsäußerung kriminalisiert. Für Grienberger steht aber außer Frage: "Die Vorteile der Digitalisierung sind nur bei einem freien globalen Internet nachhaltig nutzbar."

Setze sich die zweite Allianz durch, drohe ein loser Verbund autoritär geprägter Teilnetzwerke, warnte Julia Pohle, Mitarbeiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), vor einem Splinternet. Die EU sollte in diesem Umfeld nicht nur versuchen, sich mit dem Konzept der digitalen Souveränität von den USA und China abzugrenzen. Die Gemeinschaft müsse auch eine "kohärente europäische wertebasierte Strategie" entwickeln und umsetzen. Diese könne auch nach außen wirken, wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zeige.

Die Prinzipien eines freien und globalen Internets seien nicht "Nice to have", sondern elementar, unterstrich HBI-Direktor Wolfgang Schulz. Das Internet könne sonst seine Funktionen für die Bürger und die Gesellschaft nicht erfüllen. Die Studie werde helfen zu zeigen, "wo stehen wir eigentlich" und was könne die Bundesrepublik etwa von Staaten wie Brasilien, Österreich und Frankreich lernen. Auf jeden Fall müsse der etwa vom Internet Governance Forum (IGF) gelebte Einbezug aller Interessensgruppen bei der Netzregulierung nach dem Multistakeholder-Modell aufrechterhalten werden.

(tiw)