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Was war. Was wird.

Die Bobos sind tot, sowas von tot: Wir haben unsere neue Leitbild-Generation, unter der noch einige zu leiden haben werden, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seit dieser Woche haben wir eine neue Generation. Vergessen sind die Bobos, die Generation X, die Generation Golf und selbst die Lohas mit ihrem Motto "Shift happens". Auch die gerade noch durchs digitale Dorf gehetzte Generation C64 ist Schnee von Gestern. Was jetzt kommt ist größer, viel größer, denn es geht um die Generation Upload, die die Welt bewegt, und voller Energie im Upload die Selbstverwirklichung betreibt. Die schnell mal ein witziges Videofilmchen macht und hochlädt, um der desorientierten NATO wieder auf die Sprünge zu helfen. Die das alte Motto der Wandervögel, "Mit uns zieht die Neue Zeit" aufgreift und personalisiert: Es ist deine Zeit. Ja, ja, "Reden ohne Reißleine", das ist doch was für die tapferen Jungs in Afghanistan. Oder ist vielleicht das KompZ SonderSwBw gemeint, weil die Generation Upload ja Kommunikationstechnologien nicht als Werkzeuge benutzt, sondern für die Selbstverwirklichung kämpft? Ja, Generation Upload klingt vielversprechend, ganz anders als deutsche Soldaten in Afghanistan, die Brunnenbohrer.

*** Wie es sich gehört, hat die Generation Upload ihre eigenen Helden. Da wäre etwa Sascha Lobo, der mit der steilen Tolle vom Online-Beirat der SPD. Held wurde der bekennende Fan des Taxifahrens und des iPhone-Twitterns mit einem Auftritt im Bus, komplett mit irgendeinem Vertragstelefon von Vodafone. Das muss Mut gekostet haben, alle Achtung, auch wenn ein alter Freund aus Bobo-Zeiten feinsinnig bemerkt, dass ihn das alles "an eine an Kokain berauschte Partygesellschaft von Millionären" erinnere, die "auf der Suche nach billigen Mädchen durch ein tiefrotes Arbeiterviertel ziehen". Wie überhaupt das Kampagnengesamtkonzept zum Brand Refresh der roten Vodafone enorm mutich ist, gewissermaßen ein Neues Evangelium produziert: "In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt...", passend zum Geburtstag des Taliban von Genf. Man muss schon den Bundestagspiraten zitieren, um zu verdeutlichen, wie mutich Vodafone mit der Generation Upload ist, immerhin die Firma, die sich ausdauernd für Netzsperren und Zensur engagiert.

*** Schon wieder dieses ausgelutschte Thema? Ja, es muss leyder sein. Bekanntlich verfügt Indien über eine ausgedehnte Zensur-Infrastruktur im Internet – die vom Comic-Zeichner Deshmukh aufgebaute Site Save Savita Babhi dokumentiert dies mit vielen Details, wenn sie zu erreichen ist. In dieser Woche wurde dort kräftig gefeiert, denn nach 150 Jahren ist dort die Homosexualität wieder straffrei. Bis dahin wurden Websites, die schwule Pärchen zeigten, umstandslos gelöscht, die Provider verwarnt. Save Savita Babhi ist als Website gegen Zensur, die Antiblockier-Tools verfügbar macht, übrigens aus dem pornografischen Comic Savita Babhi entstanden, der Opfer der indischen Internet-Zensur wurde. Ich erwähne dies, weil die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen behauptet, dass man nichts machen kann, wenn Server mit Kinderpornografie in Indien stehen. Eine deutsche Ministerin lügt ungeniert – willkommen in der Vorhölle der Zensur. Warten wir nur noch auf die Leitautoren der Generation Upload, wenn die bestallten Schmierfinken der öffentlichen Meinung erklären, wie das mit der Demokratie in Indien ist, die den Unterschied ausmacht.

*** Zwischen dem Holiday Inn und dem Hotel Intercontinental in Kairo liegt ein ausgedehntes Einkaufszentrum namens Citystars. 643 Läden gibt es, von Dolce & Gabbana bis Zara. 80 Journalisten aus aller Welt durchquerten tagelang den Konsumdschungel, um über die Finals des Imagine Cups von Microsoft zu berichten. Als guter Journalist bemüht man sich, auch von der Welt abseits der Code-Duelle zu berichten. Doch die Gespräche liefen nach einem einzigen Muster ab."Aus welchem Land kommst du?" "Deutschland." "Mörder!" Der Tod der Ägypterin Marwa Al-Sherbini beschäftigt die Menschen weit mehr als alles andere. Selbst die Vermittlungsrolle Ägyptens im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist unwichtig geworden, selbst die sonst alles überragende Fußballbegeisterung wird klein gehalten. Schon in der Halbzeitpause des Kicks zwischen Ruanda und Ägypten wird wieder über die "Kopftuchmärtyrerin" diskutiert. Die Diskrepanz zwischen der routinierten Behandlung des Mordes in einem Dresdener Gerichtssaal durch deutsche Medien und der Erschütterung im arabischen Raum ist enorm. Wieder einmal ist für die Menschen der Beweis erbracht worden, dass der Westen den Islam hasst. In Deutschland, ja, da gibt es keinen Raum für Islamophobie. Nur das ständige Gefasel von der zunehmenden Gefährlichkeit des islamistischen Terrors zur Bundestagswahl. Und dann ist da noch eine geradezu süffisante, gutmenschliche Genugtuung.

*** Im Wettbewerb selbst sorgte eine Eiweißproduktionsmaschine aus Südkorea für Aufsehen. Die mit einem Handy steuerbare Käferzucht ganz nach dem Geschmack der Generation Upload gewann nicht nur den Wettbewerb, sondern führte zu Diskussionen über Lebensmittel. Nach dem Analogkäse und den Wasabi-Erdnüssen aus Algenschlamm stehen gerade die Surimi Garnelen, gefangen (PDF-Datei) im Zentrum der Kritik. Korrekt ist es Krebsfleischimitat, geformt aus Fischmuskeleiweiß. Das müsste man mit den Käferlarven eigentlich auch hinbekommen können. Völlig richtig sah hier die Jury des Microsoft-Wettbewerbes einen Riesenmarkt im Entstehen, geboren in der U-Bahn von Seoul, als TV-Sender von einer Hungersnot in Nordkorea berichteten, die Menschen zum Essen von Larven brachte. Passend zum Geburtstag des großen Sperrtextlers Thomas Bowdler schlage ich "Freudenfleisch" vor und verkneife mir die Rede vom MS-Burger.

Was wird.

Mit einem neuen Betriebssystem für Millionen von Computer kommt Leben in die abgeflaute große Systemdebatte. Die Schlachten werden wohl mit Netbooks ausgetragen, die auf der IFA eine wichtige Rolle spielen sollen. Zu den kuriosen Ankündigungen besonderer Art dürfte die Mitteilung von IBM gehören, dass man an der IFA teilnimmt. Wer auf OS/2 tippt oder auf das bröckelnde Notes-Imperium, ist von vorgestern. IBM tritt bei den Home Appliances an, wie Saeco, Electrolux oder Dyson-Staubsauger. Mit Cloud Computing für das "Smarte Zuhause", damit das "Wohnen eine Zukunft" hat. Lebst du schon oder schraubst du noch, könnte man fragen – oder gleich mal voweativ eine Meldung von IBM bearbeiten. Am Dienstag startet passend zur IFA die Veranstaltung Ballack im Kühlschrank.

Es geht nur um ein paar Tausend Testkarten, insofern könnte man die Entscheidung vielleicht verstehen, eine Root-CA ohne Backup zu betreiben. Wer diese Entscheidung bei einer Testreihe der elektronischen Gesundheitskarte getroffen hat, ist derzeit noch unklar, doch die Außenwirkung ist eindeutig. Da mögen die Betroffenen betonen, dass es nur um abstrakte Tests geht, bei denen keine medizinischen Echtdaten verwendet werden – das Misstrauen wächst weiter. Was, wenn bei den konkreten Tests auch so gearbeitet wird? Genau wie die labbrige Internetsperre schwere juristische Bedenken provoziert, könnte es der elektronischen Gesundheitskarte ergehen. Man sollte genau auf die Signale aus Berlin achten, in diesem Fall auf die, die der Berliner Datenschützer Dix unter Verweis auf eine EU-Entscheidung gegen Finnland von sich gibt: Das Patientengeheimnis ist ein Menschenrecht! Doch halt, wir sind schon weiter. Wenn sich am Donnerstag das CAST-Forum mit Karten-Großprojekten beschäftigt, steht gleich die europäische Gesundheitskarte auf dem Programm. Da haben wir hier es im derzeit arg verregneten deutschen Sommer doch viel einfacher, wir können Großprojekte meiden und uns demnächst dem Sommerrätsel widmen. Schön schwere Rätselvorschläge für Hard-, Soft- und Wetware werden immer noch entgegengenommen. (Hal Faber) / (jk)