Kreislaufwirtschaft: Deutschland könnte global Millionen Tonnen CO₂ mindern

Die Bruttowertschöpfung in der deutschen Wirtschaft sollte mit einer konsequenten Umstellung auf die zirkuläre Wirtschaft um circa 12 Milliarden Euro steigen.

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(Bild: Morten B/Shutterstock.com)

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Die Potenziale der Kreislaufwirtschaft für Deutschland sind groß. Bis 2030 sei damit eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von 12 Milliarden Euro pro Jahr in den Recyclingindustrien sowie vor- und nachgelagerten Branchen erreichbar, schreiben der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Unternehmensberatung Deloitte in einer am Montag veröffentlichten Studie. Dazu komme ein Plus von 177.000 Arbeitsplätzen.

Mit der zirkulären Wirtschaft geht laut der Untersuchung ferner eine verringerte Importabhängigkeit bei wichtigen Rohstoffen und Materialien einher. Für Aluminium, Glas und Blei sinke sie jeweils um rund 20 Prozentpunkte. Bei Rohstoffen wie Holz, Papier, Baustoffen und Kunststoffen, bei denen die Importe eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, könne die Abhängigkeit auf die Hälfte reduziert werden, in manchen Fällen aber sogar um mehr als zwei Drittel.

Die Umwelteffekte durch Einsparungen von Rohstoffen seien ebenfalls beträchtlich, schreiben die Autoren. "Eine höhere Wiederverwendung sekundärer Ressourcen verringert den primären Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Importe. Auch diese Auswirkungen ließen sich durch eine "Input-Output-Analyse" abbilden. Der Ressourcenverbrauch nimmt demnach je nach Rohstoffgruppe zwischen 8,7 Millionen Tonnen (Metallerze) und eine Million Tonnen (Holz) ab. Weniger Rohstoffimporte bedeuteten in der Regel zudem weniger CO₂-Emissionen, die etwa durch den Abbau und den Transport der Rohstoffe entstehen. Eine Kreislaufwirtschaft könne so die Treibhausgasemissionen merklich senken. Die Nettoeinsparung in diesem Modell betrage 5,5 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr.

In einer rein nationalen Betrachtung habe die positive Netto-Treibhausgasbilanz aber auch eine Kehrseite, räumen die Verfasser ein. "Die Einsparungen kommen in der gesamten Lieferkette zustande." Dazu trage etwa bei, dass weniger Metallerze oder Mineralien im Ausland abgebaut und nach Deutschland gebracht würden. In diesem Modell betrage dieser Effekt 14,4 Millionen Tonnen weniger CO₂. In Deutschland fänden aber durch die stärker zirkuläre Wirtschaft mehr Recycling und Aufbereitung statt, womit die Treibhausgasemissionen hier um fast 9 Millionen Tonnen stiegen.

Als ein Beispiel für die Kreislaufwirtschaft im Bereich industrieller Verbraucherprodukte und der dortigen Hard- und Softwareentwicklung führen BDI und Deloitte Apple an. Der iPhone-Hersteller stelle auf dem Weg zur Klimaneutralität seine Produkte zunehmend aus Sekundärmaterialien her. So stammten 99 Prozent des im iPhone 12 verarbeiteten Wolframs sowie 98 Prozent der verwendeten seltenen Erden aus recycelten Materialien. Zudem würden 35 Prozent der verwendeten Kunststoffe aus Sekundärmaterialien gewonnen.

Recycling spielt laut der Studie auch bei der Produktdistribution eine Rolle: 93 Prozent der Verpackungsmaterialien bestünden aus Faserstoffen, davon seien 73 Prozent Sekundärmaterialien. Um den Ressourceneinsatz weiter zu verringern, setze Apple das Recycling-Programm "Trade In", bei dem Kunden ihre Altgeräte in Zahlung oder zum Recycling geben könnten. Dabei komme ein Demontage-Roboter als innovative Technik zum Einsatz. Mit dessen Hilfe gelinge es, hochwertige Materialien wie seltene Erden und Wolfram wiederzuerlangen und zurück in den Produktionsprozess zu bringen.

2017 habe Audi den "Aluminium Closed Loop" initiiert, bringen die Autoren ein weiteres Beispiel. Mit dem Konzept führe das Unternehmen den Werkstoff in einem Recyclingkreislauf. Anfallende Materialaussonderungen könnten so sortenrein an die Lieferanten zurückgegeben werden, um aus diesen Materialien hochwertiges sekundäres Aluminium zu produzieren. Die Zulieferer benötigten für die Herstellung der Aluminiumbleche weniger Primäraluminium. Dabei fielen weniger CO₂-Emissionen an. Der gesamte Energieaufwand sinke so erheblich. Auch würden die Zulieferer resilienter gegenüber Marktschwankungen. Der Aluminiumkreislauf sei derzeit in sieben Baureihen integriert.

"Die Realisierung des makroökonomischen Potenzials erfordert sowohl technologische Innovationen als auch Neuentwicklungen in den unternehmerischen Geschäftsmodellen", konstatieren die Verfasser. Deutschland sei hier gut aufgestellt. Bestehende Herausforderungen beträfen das teils noch mangelnde "klare Verständnis" der zirkulären Wirtschaft, die Abkehr vom linearen Geschäftsmodell und Materialrückflüsse. Auch der Aufbau von zirkulären Ökosystemen, die Rolle von CO₂-Preisen, Digitalisierung und Finanzierungsmöglichkeiten sowie das Management von Zielkonflikten seien entscheidend.

Ein großes Potenzial für Kreislaufverfahren sieht Deloitte-Manager Thomas Schiller vor allem bei Baumaterialien und Kunststoffen. Letztere verfügten über eine Vielzahl von Additiven. Diese müssten Verwerter aufbrechen, richtig einsortieren und trennen. Die gute Nachricht sei, dass von diesem aufwendigen Prozess "technisch immer mehr machbar" werde. Vor allem im Konsumgüterbereich seien viele Produkte sehr günstig gebaut, womit sie "nicht kreislauforientiert" seien. Hier fehle noch ein ganzheitlicher Ansatz. Nötig sei neben der Shared Economy etwa mit Carsharing ein datenbasiertes Modell.

Entsprechende Produktpässe müssten anzeigen, welche Inhaltsstoffe jeweils enthalten seien. Um bei Kunststoffen voranzukommen, "bauen wir einen digitalen Zwilling für Verpackungen", führte Naemi Denz vom Maschinenbauer Steinert aus. Dank aufwendiger Sensoren gepaart mit KI und dahinterliegenden Datenbanken sei es auch hier bereits möglich, "die guten von den schlechten Sachen" zu unterscheiden. Ähnliche Anlagen könnten Kabel aus Metallströmen aussortieren. Dies sei wichtig, um etwa "kontaminierten Stahl" zu verhindern, betonte Irene Feige von BMW. Am besten sei es schon in der Designphase zu überlegen, "wie muss ein Auto gebaut sein, dass erstklassiger Stahl wieder rausbekommt".

Neben Metallen sei es für die Branche bei der Batterie extrem wichtig, "dass sie gut auseinander- und herausnehmbar ist", betonte Feige. In Akkus steckten viele kritische Rohstoffe, die importiert werden müssten. BMW habe ein eigenständiges Team eingerichtet, um unter dem Motto "Sekundär first" den Einsatz von Primärmaterialien im gesamten Lebenszyklus zu reduzieren.

Kirchhoff Ecotec habe bereits 2006 den ersten Müllwagen gebaut, der elektrisch bremst, berichtete der Firmenchef Johannes Kirchhoff. Enthalten seien Kondensatoren, um das Fahrzeug anzutreiben. Damit ließen sich 30 bis 50 Prozent Kraftstoff einsparen. Generell sei Wasserstoff der einzige Energieträger, "den wir wirklich im Kreislauf fahren können": Er verwandle sich von Wasser zu Wasser.

Auch viele Start-ups mischen in der zirkulären Wirtschaft mit, führte Miki Yokoyama von TechFounders an. Traceless etwa vermarkte verträglicheres Plastik, Made of Air nutze Biomasse und FixFirst biete Wartung und Reparatur aus der Ferne an. BDI-Geschäftsführer Holger Lösch forderte, den Begriff der Kreislaufwirtschaft endlich mit Leben zu füllen. Dabei gehe es um viel mehr als Recycling, Rohstoffe sollten gar nicht mehr als Abfall tituliert werden. Die Transformation werde aber "nur über Technologie passieren, nicht über Verzicht: Zehn Milliarden Menschen wollen leben, wollen wohnen." Die EU-Kommission hat voriges Jahr einen Aktionsplan beschlossen, um die zirkuläre Wirtschaft etwa mit einem Recht auf Reparatur zu beflügeln.

(kbe)