Wie CO2-Speicherung erschwinglich werden könnte

Eine neue Studie über Direktluftabscheidungsanlagen zeigt, dass möglicherweise noch viele gebaut werden müssten, bevor sie wirtschaftlich werden.​

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(Bild: Carbon Engineering, Ltd)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Zwei Unternehmen haben mit der Planung der möglicherweise größten Direktluftabscheidungsanlage Europas begonnen. Sie soll bis zu eine Million Tonnen Kohlendioxid (CO2) pro Jahr einfangen und tief unter dem Boden der Nordsee einlagern.

Für das eingefangene Klimagas werden Zertifikate verkauft, was die steigende Nachfrage nach CO2-Beseitigung widerspiegelt. Denn immer mehr Staaten und Unternehmen stellen Null-Emissions-Pläne auf, die – direkt oder indirekt – stark darauf angewiesen sind, mithilfe von Bäumen, Maschinen oder anderen Mitteln Kohlendioxid aus der Luft zu ziehen.

Klimaforschern zufolge muss die Welt bis Mitte des Jahrhunderts möglicherweise Milliarden Tonnen Kohlendioxid jährlich aus der Luft entfernen, um die sogenannten Restemissionen in Bereichen wie Luftfahrt und Landwirtschaft zu bekämpfen, die sich bis dahin nicht wirtschaftlich beseitigen lassen – und um das Klima vor einer extrem gefährlichen Erwärmung zu bewahren. Die entscheidende und bisher unbeantwortete Frage ist jedoch, wie viel die Direktluftabscheidung kosten wird – und ob Unternehmen und Nationen sich dafür entscheiden, sie sich zu leisten.

Die von den beiden Unternehmen Carbon Engineering und Storegga Geotechnologies geplante Anlage wird voraussichtlich im Nordosten Schottlands errichtet, wo sie reichlich Strom aus erneuerbaren Energien nutzen und abgeschiedenes Kohlendioxid zu nahegelegenen Offshore-Standorten leiten kann. Sie soll bis 2026 an den Start gehen. „Wir können nicht jede Quelle von Emissionen stoppen“, sagt Steve Oldham, Geschäftsführer des im kanadischen British Columbia angesiedelten Unternehmens Carbon Engineering. „Das ist zu schwierig, zu teuer und zu disruptiv. Hier kommt die CO2-Entfernung ins Spiel. Wir beobachten die zunehmende Erkenntnis, dass sie unerlässlich sein wird.“

Oldham will nicht verraten, wie viel die Unternehmen für die CO2-Entfernung berechnen wollen. Zudem sei auch noch nicht klar, welche Kosten pro Tonne CO2 sie mit der europäischen Anlage erzielen würden. Er ist jedoch zuversichtlich, dass das Unternehmen am Ende die Zielkostenniveaus für die direkte Luftabscheidung erreichen werden, die in einer 2018 im Fachjournal Joule veröffentlichten Analyse unter der Leitung des Gründers von Carbon Engineering und Harvard-Professor David Keith identifiziert wurden. Es legte die Spanne auf 79 bis 194 Euro (94 bis 232 Dollar) pro Tonne fest, sobald die Technologie im kommerziellen Maßstab einsetzbar ist.

Auf 84 Euro (100 Dollar) pro Tonne zu kommen ist im Wesentlichen der Punkt der Wirtschaftlichkeit, da große US-Kunden im Allgemeinen 55 bis 90 Euro (65 bis 110 Dollar) für Kohlendioxid zahlen, das für kommerzielle Zwecke verwendet wird. Das schreiben Habib Azarabadi und Klaus Lackner, der Pionier der Direktlufterfassung, in einem wenig beachteten wenig beachteten aber wichtigen Fachartikel im Journal Industrial & Engineering Chemistry Research im Mai. Beide Wissenschaftler forschen am Center for Negative Carbon Emissions der Arizona State University. Allerdings beinhalten die 90 Euro nicht die separaten, jedoch erheblich geringeren Kosten für die Kohlenstoffbindung.

An diesem Punkt könnte die direkte Luftabscheidung eine einigermaßen kostengünstige Möglichkeit sein, die 10 bis 20 Prozent der Emissionen anzugehen, deren Beseitigung zu schwierig oder zu teuer bleiben wird – sie könnte sogar mit den Kosten für die Abscheidung von Kohlendioxid konkurrieren, bevor es die Elektrizitätswerke und Fabriken verlässt, so die Autoren. Aber den besten Schätzungen zufolge liegt der Sektor heute bei weitem nicht auf diesem Niveau. 2019 gab das Schweizer Direct-Air-Capture-Unternehmen Climeworks an, dass die Kosten zwischen 420 und 500 Euro (500 bis 600 Dollar) pro Tonne liegen.

Konkret schätzt die Studie von Azarabadi und Lackner, dass die Direktluftabscheidungsindustrie um einen Faktor von etwas mehr als 300 wachsen muss, um Kosten von 90 Euro pro Tonne zu erreichen. Diese Berechnung basiert auf den Lernraten erfolgreicher Technologien, mit anderen Worten darauf, wie schnell die Kosten sanken, während die Produktionskapazität stieg. Um die direkte Luftabscheidung zu diesem Punkt zu bringen, sind möglicherweise US-Bundessubventionen in Höhe von 42 Millionen bis 1,75 Milliarden Euro (50 Millionen bis zwei Milliarden Dollar) erforderlich, um die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und Marktpreisen für das Material Kohlendioxid zu decken.

Laut Lackner lautet die Schlüsselfrage, ob ihre Studie die richtigen Lernkurven von erfolgreichen Technologien wie der Solarenergie angewendet hat – bei denen die Kosten um etwa den Faktor zehn sanken, wenn die Skalierung um das 1000-fache anstieg – oder ob die direkte Luftabscheidung in eine seltenere Kategorie von Technologien fällt, bei denen wachsende Erfahrung nicht zu schnellen Kostensenkungen führt.

Das Vereinigte Königreich hat einen Plan aufgestellt, seine Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren. Das erfordert das Entfernen von Millionen Tonnen Kohlendioxid, um die Emissionsquellen auszugleichen, die dann wahrscheinlich immer noch Verschmutzung verursachen. Die Regierung hat begonnen, Millionen von Dollar für die Entwicklung von technischen Ansätzen zum Erreichen dieser Ziele bereitzustellen, darunter auch etwa 290.000 Euro für Carbon Engineering und Storegga mit ihrem Gemeinschaftsprojekt „Dreamcatcher“.

Die Anlage wird voraussichtlich in der Nähe des Acorn-Projekts angesiedelt sein, das von der Storegga-Tochter Pale Blue Dot Energy entwickelt wird. Geplant ist, Wasserstoff aus Nordsee-Erdgas zu erzeugen und dabei die dabei freigesetzten Emissionen aufzufangen. Das Projekt würde auch die bestehende Öl- und Gasinfrastruktur an der Nordostspitze Schottlands umfunktionieren, um das Kohlendioxid zu transportieren und unterhalb des Meeresbodens zu injizieren. Die geplante Anlage mit direkter Luftabscheidung könnte dieselbe Infrastruktur für ihre Kohlendioxidspeicherung nutzen, sagt Oldham. Die Unternehmen gehen zunächst davon aus, dass sie eine Anlage für 500000 Tonnen CO2 jährlich bauen. Dieser Umfang könnte jedoch aufgrund der Marktnachfrage schließlich verdoppeln. Selbst die weniger umfangreichen Pläne würde die ansonsten größte europäische Anlage – die Orca-Anlage von Climeworks in Island in Island, die jährlich 4000 Tonnen entfernen soll – bei weitem übertreffen. Weltweit wurden nur eine Handvoll anderer anderer Kleinanlagen gebaut.

Die erwartete Kapazität des Werks in Schottland entspricht einer anderen in Texas geplanten Anlage von Carbon Engineering. Sie wird genauso als Anlage mit einer halben Million Tonnen pro Jahr beginnen, mit dem Potenzial, später eine Million Tonnen zu erreichen. Der Bau dieser Anlage wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres beginnen; sie soll 2024 in Betrieb gehen. Ein Großteil des in der texanischen Anlage abgeschiedenen CO2s wird jedoch für die sogenannte optimierte Ölförderung verwendet: Das Gas wird unter Tage injiziert, um zusätzliches Öl aus Erdölquellen im Perm-Becken freizusetzen. Bei sorgfältiger Durchführung könnte dieser Prozess potenziell sogenannte kohlenstoffneutrale Kraftstoffe erzeugen, die zumindest nicht mehr Emissionen in die Atmosphäre eintragen als daraus entfernt wurden.

Oldham stimmt zu, dass der Bau weiterer Anlagen der Schlüssel zur Kostenreduzierung sein wird. Carbon Engineering werde von der ersten Anlage zur zweiten einen enormen Rückgang verzeichnen. Wie stark sich die Kurve von dort aus verändert, hängt davon ab, wie schnell die Regierungen CO2-Preise und andere Klimaregelungen verabschieden, die mehr Nachfrage nach Kohlendioxidentfernung schaffen, fügt er hinzu. Eine solche Politik wird im Wesentlichen „schwer zu optimierende“ Sektoren wie Luftfahrt, Zement und Stahl dazu zwingen, jemanden für die Beseitigung ihrer Verschmutzung zu bezahlen.

(vsz)