Shoshana Zuboff: Undemokratischer Coup von Google, Facebook & Co. muss enden

Die US-Ökonomin Shoshana Zuboff wirft den Tech-Giganten vor, die Daten ihrer Nutzer zu rauben und absolute Kontrolle über Informationsinfrastrukturen zu wollen.

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(Bild: chainarong06/Shutterstock.com)

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Abgeordnete und Regierungen müssen aufwachen und die Macht von Google, Facebook, Amazon & Co. umgehend einschränken. Dies forderte die US-Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff, die das Konzept des Überwachungskapitalismus prägte, am Montag bei einer Online-Debatte der grünen EU-Abgeordneten Alexandra Geese und Sven Giegold. Die enormen Schäden des informationellen Coups der Internetriesen insbesondere für die Demokratie seien "bereits überall sichtbar" und dürften nicht länger hingenommen werden.

Ein von Zuboff angeführtes Beispiel: Das Wahlkampfteam von Donald Trump habe es vor dessen Wahl zum US-Präsidenten 2016 geschafft, mit dem Standardkasten Facebooks für algorithmische Werkzeuge Millionen Schwarze und andere Bürger zu identifizieren, die den Immobilienmogul voraussichtlich am wenigsten unterstützen würden. Diesen hätten die Werbeexperten mit Microtargeting, Gamification und vergleichbaren Instrumenten nahegelegt, ihre Stimme besser gar nicht abzugeben. In den "Swing States" Michigan, Wisconsin und Ohio seien so 70 Prozent Farbige gar nicht zur Wahl gegangen, was Hillary Clinton wichtige Punkte gekostet habe.

Der Facebook-Manager Andrew Bosworth betonte später, Trump sei gewählt worden, "weil er die beste digitale Werbekampagne von allen Anzeigenkunden hatte, die ich je gesehen habe". So sei "das geheime Wissen über Menschen", ganz nach dem Prinzip des Überwachungskapitalismus in "geheime Macht über sie umgewandelt worden", erläuterte Zuboff. Dessen Grundprinzip sei der Einsatz versteckter automatisierter Observationsmethoden zum Extrahieren und Analysieren personenbezogener Daten, die als "privates Eigentum" beansprucht, genutzt und weiterverkauft würden.

Facebooks Rechenarchitektur für Künstliche Intelligenz (KI) verarbeite Billionen an Datenpunkten täglich und spucke in jeder Sekunde Millionen von Empfehlungen aus, führte die emeritierte Harvard-Professorin aus. Entdeckt habe die Grundmechanismen der Überwachungswirtschaft im Netz aber Google. Der Co-Gründer der Suchmaschine, Larry Page, sei vom Dotcom-Sterben rund um die Jahrtausendwende besonders erschreckt gewesen und habe daher dringend nach einem Geschäftsmodell gesucht. Dabei habe er erkannt, dass die Nutzer über ihre persönliche Kommunikation und Sensoren gigantische Datenströme generieren würden, während Speicher und Kameras immer billiger würden.

Letztlich werde das ganze Leben durchsuchbar sein, schilderte Zuboff Pages Schlussfolgerung. Wenig später habe Google Nutzerinformationen wie Klickströme und besuchte Webseiten, die bei dem Betreiber zuvor als Überschuss und "Abfall" gegolten hätten, ausgewertet und für gezielte Werbung nebst Click-Through-Rate genutzt. Schon beim Börsengang des Unternehmens 2004 habe das damit verknüpfte Umsatzwachstum von 3590 Prozent zu einer dicken "Überwachungsdividende" geführt, während die 180-Grad-Wende lange nach außen geheim gehalten worden sei.

Den Ansatz habe Facebook übernommen und inzwischen setzt laut der 69-Jährigen jedes sogenannte "smarte" Produkt und jeder "persönliche" Online-Dienst darauf. Das menschliche Verhalten sei damit insgesamt vorhersagbar geworden, die persönliche Erfahrung werde "umdefiniert als Rohstoff für diese Operationen". Diese hätten mittlerweile zu einem "Coup" mit massiven antidemokratischen Effekten wie dem Ende der Privatheit in vielen Bereichen sowie der viralen Verbreitung von Desinformation geführt.

Der ursprüngliche Raub persönlicher Daten schränkt inzwischen laut Zuboff nicht nur den Handlungskreis des Individuums ein, sondern leite auch zu Chaos über mit dem Teufelskreis, wonach die eingesetzten Algorithmen zu immer extremeren Inhalten führten und den gesellschaftlichen Diskurs vergifteten. Keine Demokratie könne solche Angriffe lange überstehen, mahnte die Forscherin einen raschen Richtungswechsel an. Fließend sei sonst der Übergang zur Stufe der Dominanz, in der die Überwachungskapitalisten ihre Autorität zu verteidigten suchten und die "absolute Kontrolle über kritische Informationsinfrastrukturen" anstrebten.

In diese Richtung weist der Bestseller-Autorin zufolge, dass Google und Apple ihr Hinweisschema für Tracing-Apps im April 2020 trotz verschiedener Ersuchen von Regierungen nicht stärker auf epidemiologische Erfordernisse ausgerichtet hätten. Die beiden Konzerne verwiesen dabei aber auf den Schutz der Privatsphäre der Nutzer vor staatlichem Tracking. Derweil versucht Facebook laut der Beobachterin, sich mit einem "Oversight Board" einen demokratischen Anstrich zu verpassen, ohne aber die Regeln der Volksherrschaft einzuhalten. Auch der Streit mit Facebook und Google über das Leistungsschutzrecht in Australien sei ein Weckruf für die Gesetzgeber, endlich einzuschreiten.

Die Macht der Fabrikbesitzer im 19. Jahrhundert sei erst nach einem langen Kampf eingeschränkt und an demokratische Prinzipien gebunden worden, mahnte Zuboff einen langen Atem an. Europa und die USA sollten im besten Fall eine gemeinsame Regulierungsvision entwickeln, um keine Leerstellen für die Konzerne oder Chinas Autoritarismus zu lassen. Entscheidend seien etwa Transparenz für Algorithmen und Ex-ante-Befugnisse für Wettbewerbshüter, wie sie die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen für einen Digital Services und Markets Act ins Spiel gebracht habe. Datenextraktion sollte verboten, Protokolle und Schnittstellen geöffnet werden. Zudem seien Klagerechte für Bürger nötig.

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Die von staatlicher Seite auch mit dem "Krieg gegen den Terror" vorangetriebene Zerstörung der Privatheit "hat auch unsere Angriffsfläche als Individuen und Gesellschaften vergrößert", gab die Expertin zu bedenken. Jeder mit dem richtigen Werbebudget komme an riesige Informationsmassen heran, was Nutzer verwundbar mache für Manipulation und hybride Bedrohungen aus dem Ausland. Glücklicherweise sei dies auch Vertretern der inneren Sicherheit in den USA mittlerweile bewusst geworden.

In Europa sei die Situation etwas besser, das Datenschutz dort ein unveräußerliches Grundrecht sei, berichtete der österreichische Aktivist Max Schrems. Das große Problem sei aber, dass die darauf aufbauende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO aufgrund des Industrielobbyismus teils recht schwammig ausgefallen und die Durchsetzung schwierig sei. Mitgliedsstaaten wie Irland und Luxemburg verweigerten hier die Arbeit und hätten ein "Geschäftsmodell daraus gemacht, sich nicht darum zu kümmern".

Dass "Jahre meines Online-Klickverhaltens" mit jeder besuchten Seite von Google, Facebook & Co. mitgeschrieben und gespeichert würden, ist auch für den Juristen ein Skandal, den die Verursacher kleinzureden versuchten. Dabei gehe es jedoch um sensible Inhalte und nicht um Standort- und Verbindungsinformationen wie bei der Vorratsdatenspeicherung. Auch Schrems plädierte "in gewissen Bereichen" zumindest für eine Pflicht der Plattformbetreiber, offene Schnittstellen und Open Source zu verwenden, um "den Markt wieder in Gang zu bringen". Die Grünen-Verhandlungsführerin Geese unterstrich, es sei überfällig, "spionierende Werbung" zu untersagen.

(mho)